Zweimal Ja hier, zweimal Nein dort

  13.09.2022 Abstimmungen

Die Schweizer Stimmbevölkerung hat am 25. September über die AHV-Reform und Mehrwertsteuererhöhung zu befinden. Das Rentenalter der Frauen soll unter Zugeständnis von Ausgleichsmassnahmen erhöht werden. Linksgrün stemmt sich gegen die beiden miteinander verknüpften Vorlagen.

«Die finanzielle Stabilität der AHV ist in Gefahr, weil geburtenstarke Jahrgänge das Pensionsalter erreichen und die Lebenserwartung steigt», ist in den Abstimmungsunterlagen nachzulesen. Die Einnahmen der AHV reichten in wenigen Jahren nicht mehr aus, um alle Renten zu finanzieren. Die Reform zur Stabilisierung der AHV (AHV 21) soll die Renten für die nächsten rund zehn Jahre sichern. Sie sehe sowohl Einsparungen als auch Mehreinnahmen vor. Neu gelte ein einheitliches Rentenalter von 65 Jahren für frauen und Männer. Dasjenige der Erstgenannten werde schrittweise von 64 auf 65 erhöht. Diese Erhöhung soll mit Ausgleichsmassnahmen abgefedert werden: Trete die Reform wie geplant im Jahr 2024 in Kraft, würden sich Frauen der Jahrgänge 1961 bis 1969 zu besseren Bedingungen vorzeitig pensionieren lassen können oder einen Zuschlag auf ihren AHV-Renten erhalten, wenn sie bis 65 arbeiten, wird informiert. Zusätzliche Einnahmen bringe die Erhöhung der Mehrwertsteuer: Der reduzierte Steuersatz wird von 2,5 auf 2,6 Prozent erhöht, der Normalsatz von 7,7 auf 8,1 Prozent. Die Reform bringe zudem mehr Flexibilität: Es werde möglich sein, den Übergang in den Ruhestand zwischen 63 und 70 frei zu wählen und die Erwerbstätigkeit dank Teilrenten schrittweise zu reduzieren. Wer länger als bis 65 arbeite, könne neu unter bestimmten Bedingungen Beitragslücken schliessen und damit die Rente verbessern. Das schaffe einen Anreiz, länger erwerbstätig zu sein.
Gegen die Vorlage stemmen sich SP und Grüne, während alle anderen Parteien Ja-Parolen beschlossen. Abgestimmt wird am 25. September.

Der Reformbedarf sei unbestritten

Die Menschen in der Schweiz werden heute deutlich älter als frühere Generationen. So können sie auch länger eine AHV-Rente beziehen. Das gilt ebenso für die geburtenreichen Jahrgänge, die jetzt das Pensionsalter erreichen. Leider bringe dies das wichtigstes Sozialwerk aus der Balance: Ohne Massnahmen werde die AHV bereits 2025 mehr Geld ausgeben als einnehmen, weshalb der Reformbedarf laut nationaler Ja-Kampagne unbestritten sei. Sie listet deshalb die wichtigsten Massnahmen der reform auf ihrer Website auf:
Durch die Anpassung des Referenzalters der Frauen an jenes der Männer könne das System, welches sich auf ein veraltetes Rollenbild stütze, modernisiert werden. Die schrittweise Anpassung bringe der ersten Säule jährlich rund 1,4 Milliarden Franken bis 2032 ein. Durch die bereits erwähnten Ausgleichsmassnahmen für betroffene Jahrgänge, der Flexibilisierung des Rentenbezugs und Einführung des Referenzalters soll es auch eine soziale Verbesserung geben: Die Wartefrist auf Hilflosenentschädigung, welche Personen unterstützt, die trotz einer Rente noch auf Hilfe angewiesen sind, werde von zwölf auf sechs Monate heruntergesetzt. Somit könnte Rentnerinnen und Rentnern in finanziellen Nöten schneller geholfen werden.
Und dann wären da eben noch die finanziellen Massnahmen, denn allein mit strukturellen Modernisierungen könne die AHV für zukünftige Generationen nicht stabilisiert werden. Diese Massnahmen brauche es deshalb zur Sicherung des wichtigsten Sozialwerks der Schweiz. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer bringe der AHV zusätzliche Mehreinnahmen bis zu 1,5 Milliarden Franken pro Jahr. Von 2024 bis 2032 belaufe sich die kumulierte Gesamtsumme auf über 12,3 Milliarden. Die jährlichen Mehrausgaben für einen durchschnittlichen Schweizer Haushalt sollen sich durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf etwa 200 Franken belaufen.

Diverse Gründe für ein Nein

Für die Linken brauche es ein klares Nein zu beiden Vorlagen. Es werde damit einseitig auf Kosten der Frauen gespart, obwohl sie bereits heute um einen Drittel tiefere Altersrenten erhielten, weil sie weniger verdienen und mehr unbezahlte Arbeit übernähmen. Trotzdem sollen ihre Renten im nächsten Jahrzehnt um sieben Milliarden Franken gekürzt werden, steht auf der gegnerischen Website geschrieben. Damit würden die Frauen in Zukunft rund 26’000 Franken Einkommen verlieren. Ehepaare seien zudem auch betroffen.
Und das sei laut Referendumskomitee nur der erste Schritt: Bei einem Ja zu AHV 21 komme spätestens 2026 der nächste Abbauschritt. Das Parlament habe beschlossen, dass der Bundesrat bis dann eine nächste Reform vorlegen müsse, in welcher «strukturelle Fragen» angepackt werden. Das hiesse nichts anderes als: Rentenalter rauf – und zwar für alle. Bereits im Parlament sei die Renteninitiative; sie fordere nicht nur eine generelle Erhöhung des Rentenalters, sondern auch eine Verknüpfung desselben an die Lebenserwartung, was das Rentenalter auf 67 und später noch höher steigen lassen würde. Und auch in der BVG-Reform drohe ein Abbau-Massaker, sagen die Gegner, damit alle mehr bezahlen für weniger Rente.
Weitere Gründe für ein Nein finden die Vorlagengegner bei Realeinkommen und Kaufkraft, die in der Schweiz zu sinken drohen. Denn erstmals seit 2008 steigen die Konsumentenpreise wieder. Für das gesamte laufende Jahr werde eine Teuerung von 2,7 Prozent erwartet. Zusätzlich drohe bei den Krankenkassen ein Prämienschock von bis zu zehn Prozent. Mit den derzeitigen Rahmenbedingungen hätten Berufstätige mit einem mittleren Lohn ohne Teuerungsausgleich künftig real 1600 Franken weniger Einkommen pro Jahr. Für Paare mit Kindern, wo beide Elternteile berufstätig sind, drohe eine Reallohneinbusse von 2200 Franken.
In diesem schon angespannten Kontext wolle das Parlament mit der AHV 21 die Mehrwertsteuer erhöhen. Diese Zusatzfinanzierung trete nur in Kraft, wenn das Frauenrentenalter erhöht werde. Das heisst: Alle sollen mehr bezahlen für eine AHV-Kürzung. In einem Land, in dem Unternehmen rekordhohe Profite schreiben, gebe es bessere Möglichkeiten, um gute AHV-Renten für alle zu finanzieren, so das Schlussfazit.

RENÉ FISCHER


Zwei Vorlagen – eine Reform

Die AHV-Reform besteht aus zwei Vorlagen. Mit der einen wird die Mehrwertsteuer zugunsten der AHV erhöht. Diese Erhöhung ist eine Verfassungsänderung über die zwingend abgestimmt werden muss. Mit der Vorlage in diesem Bericht werden die Leistungen der AHV angepasst, wogegen das Referendum ergriffen wurde. Die beiden Vorlagen sind miteinander verknüpft; wenn eine davon abgelehnt wird, scheitert die ganze Reform.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote