Was der Thurgau Alfred Escher und dieser Elgg verdankt
04.04.2023 Thurgau, ElggDer Thurgau verdankt dem aussergewöhnlichen Zürcher Alfred Escher, dem Begründer der Schweizerischen Kreditanstalt viel. Der immer noch eindrückliche Palast, als Hauptsitz der einstigen Grossbank am Zürcher Paradeplatz, war 1877 gebaut worden, nachdem an dieser Stelle der ...
Der Thurgau verdankt dem aussergewöhnlichen Zürcher Alfred Escher, dem Begründer der Schweizerischen Kreditanstalt viel. Der immer noch eindrückliche Palast, als Hauptsitz der einstigen Grossbank am Zürcher Paradeplatz, war 1877 gebaut worden, nachdem an dieser Stelle der Fröschengraben zur Bahnhofstrasse gewechselt hatte. Obwohl sich auf alten Fotografien vor der imposanten Fassade noch die pferdebespannten Fahrzeuge reihen, ist die Zeit der Pferdekutschen vorbei. Die Zukunft gilt den Bahnen.
Die ersten Pläne für den Bau einer Eisenbahnlinie im Thurgau von Zürich ins Thurtal bis nach Romanshorn sind zwar schon in den 1830er-Jahren entworfen. In den 1840er-Jahren setzt sich der Frauenfelder Ingenieur Johann Jakob Sulzberger für die Weiterführung des schweizerischen Eisenbahnnetzes an den Bodensee ein. Jedoch verzögert die Krise während der Zeit des Sonderbundes die Realisierung.
Erst die Gründung des Bundesstaates verbessert die Ausgangslage. Der Thurgauer Regierungspräsident Johann Konrad Kern stösst die Bildung einer Eisenbahngesellschaft an, die sich vorerst einer entsprechenden von Alfred Escher geführten Organisation anschliesst. Im neuen Eisenbahnunternehmen wiederum erhält der Thurgau zwar Einsitz in der Führung, hat aber Mühe bei der Finanzierung. Obwohl thurgauische Interessenten 4000 Aktien zu 500 Franken zeichnen, hilft Escher bei der erwünschten Eigenfinanzierung aus der Klemme. Nun baut die Schweizerische Nordostbahn-Gesellschaft die erste Eisenbahn im Thurgau. Für die 54,4 Kilometer lange Strecke zeichnet der Stuttgarter Oberingenieur A. Beckh verantwortlich.
Am 16. Mai 1855 wird die Thurtallinie eröffnet. Ihr erster thurgauischer Direktor wird der Freund Eschers: Johann Konrad Kern. Gleichzeitig wird die Bahnlinie Winterthur-Aadorf-Sirnach-Wil der St.-Gallisch-Appenzellischen-Eisenbahngesellschaft eröffnet. Um die Linienführung der Seetalbahn, der Strecke Rorschach-Kreuzlingen, entbrennen im Oberthurgau in den 1860er-Jahren heftige Auseinandersetzungen. Im weiteren Verlauf der immer wieder umstrittenen Eisenbahnprojekte teilt sich das Thurgauer Volk auch bei den Alpenbahnvorlagen: der westliche Thurgau unterstützt das Gotthard-, der östliche das Ostalpenprojekt (Lukmanier).
Das realisierte Bahnprojekt der ersten Thurtallinie ist eines der vielen bleibenden Beispiele, die vor Augen halten könnten, wofür sich der titanartige Alfred Escher engagierte und zustande brachte und was ihm im Thurgau zu verdanken ist.
Zwei Königsmacher
Der Name, die Person und das Lebenswerk Alfred Eschers, dem Begründer der ehemaligen Kreditanstalt, der jetzt mit Getöse fallierten Credit Suisse, interessiert allgemein und die Leserschaft der «Elgger/Aadorfer Zeitung» im Besonderen. Denn der Aussergewöhnliche war in seinem Tatendrang, am Anfang der politischen Karriere, während zehn Jahren von den Stimmberechtigten des Wahlkreises Elgg gleich viermal in den Grossen Rat gewählt worden.
Ausgangssituation für das künftige Zusammenwirken des aufsteigenden Politikers Escher aus dem feinen Herrenhaus Belvoir in Zürich-Enge und der an der Grenze zum Kanton Thurgau liegenden, «randständigen» Gemeinde Elgg, war ein ganz normaler Rücktritt aus dem Zürcher Kantonsparlament. Als ein Kantonsrat (Grossrat) aus dem Wahlkreis Elgg sein Mandat niederlegte, taten sich zwei in Winterthur wohnhafte Politiker zusammen: Johann Jakob Huggenberg und Jonas Furrer. Sie versuchten den freisinnigen Escher als Nachfolgekandidaten zu überzeugen, was ihnen erstaunlicherweise auch gelang.
Vor allem der aus Elgg stammende, in Winterthur wohnhafte Huggenberg (1805-1882) förderte tatkräftig Eschers Wahl in den Grossen Rat. Huggenberg hatte zunächst Einblicke in verschiedene Verwaltungsbereiche der Kyburger Kanzlei und des Winterthurer Amtsgerichtes gewonnen, wurde Bezirksratsschreiber und Sekretär des Statthalters, dann selbst Statthalter (1851-1869) sowie Präsident des Bezirksgerichtes und Mitglied des Grossen Rates. Als Verfechter liberaler Ideen trat er stets für die Beseitigung aristokratischer Vorrechte und Vermehrung der Volksrechte ein. Im Jahre 1836 wählte ihn der Wahlkreis Elgg, der damals 3897 Einwohner zählte, zu seinem Vertreter im Grossen Rat.
Der während seiner Lebenszeit in höheren öffentlichen Funktionen des Bezirks Winterthur wirkende Huggenberg, auch als Bataillonskommandant im Sonderbundskrieg, blieb zeitlebens seinem Heimatort verbunden. Als ein Zeichen dafür wird man auch seine Unterstützung des Armbrustschützenvereins der Elgger Knaben deuten können. Der Statthalter schenkte dem – nach der revolutionären, armbrustfeindlichen (!) Zeit – wiedererstandenen Verein der jugendlichen Schützen ein Legat von 200 Franken zur Nutzung seiner Zinsen (noch im Jahre 1892 betrug der Zins acht Franken – damals ein respektabler Betrag).
Eschers Dank an die Stimmberechtigten
Alfred Escher war im Wahlkreis Elgg erstmals am 21. Juli 1844 in den Zürcher Grossen Rat gewählt worden. Er stösst in der Folge – wie von ihm erwartet und mit ihm beabsichtigt – in der damaligen politischen und wirtschaftlichen Welt die Tore ungestüm und weit auf. Es bleibt aber nicht bei dieser ersten Wahl. Er wird am 3. Mai 1846 wiedergewählt, am 5. Mai 1850 erneut und nochmals am 7. Mai 1854. Somit vertritt der aussergewöhnliche Politiker den Wahlkreis Elgg viermal während zehn Jahren im kantonalen Parlament.
Der mächtige Escher wendet sich nach der zweiten Wahl am feinen städtischen Wohnsitz Belvoir in Zürich-Enge am 9. Mai 1846 im bescheidenen Lokalblatt «Elgger Wochenblatt» auf dem Lande an die Stimmberechtigten im Wahlkreis Elgg und erklärt Annahme der Wahl:
«Verehrte, theure Mitbürger! Neuerdings haben Sie mich zum Mitgliede des Grossen Rathes ernannt. Als Sie mich vor etwa anderthalb Jahren in die oberste Landesbehörde abordneten, thaten Sie es auf Zureden von Männern hin, die mich Ihnen empfehlen zu können glaubten und denen Sie Zutrauen schenkten. Ich habe Ihnen damals die Grundsätze, die mich in meiner Stellung als Mitglied des gr. Rathes leiten sollen, weitläufig auseinandergesetzt, und anderthalb Jahre lang haben Sie nun Gelegenheit gehabt, mein Wirken auf dem Schauplatz des öffentlichen Lebens zu beobachten u. zu beurtheilen: Die Wahl, die Sie neuerdings in so ehrender Weise auf mich fallen liessen, gibt mir die erfreuliche Bürgschaft dafür, dass sie theils mit den Grundsätzen einverstanden seien, die ich Ihnen bei Annahme Ihrer ersten Wahl darlegte, theils dafür halten, ich sei in meinem bisherigen öffentlichen Wirken diesen Grundsätzen threu geblieben.
Obgleich ich auch von der Zunft Wiedikon, in der ich wohne, in den gr. Rath gewählt worden bin, so nehme ich dennoch die in Ihrem Wahlkreis auf mich gefallene Wahl an. Sie haben mir dadurch, dass Sie mich im Jahr 1844 in den gr. Rath wählten, ohne dass auch nur ein einziger Bürger Ihres Wahlkreises mich persönlich gekannt hätte, einen Beweis von Zutrauen gegeben, der mir unvergesslich bleiben wird und es mir zur freudigen Pflicht macht, solange von Ihrem Zutrauen Gebrauch zu machen, als Sie die Gewogenheit haben, es mir zu erhalten.
Empfangen Sie meinen herzlichen Dank für die Auszeichnung und Aufmunterung, die Sie mir durch Ihre Wahl angedeihen liessen, und die Versicherung, dass, wie ich in trüben Tagen immer entschieden zu der Fahne des Freisinns gehalten, ich ihr auch in der sich so freundlich gestaltenden Zukunft nicht minder treu bleiben werde. Genehmigen Sie, verehrte, theure Mitbürger, den Ausdruck meiner Hochachtung und Ergebenheit. Dr. A. Escher, Belvoir in Enge, 7. Mai 1846.»
Der Titan Alfred Escher wird schon zu Lebzeiten bewundert und kritisiert, später masslos abgewertet. Für die einen war der Bahnpionier, Bankengründer, ETH-Vater, liberaler Politiker, Ausbeuter, Grosskapitalist und noch viel mehr. Für Andere war er schlicht von zweifelhaftem Ruf. Er war jedenfalls zum Vergessen. Heute hat der Wind wieder zugunsten Eschers gedreht.
Je erbärmlicher die Verantwortlichen im Bankendebakel in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, umso grösser die Achtung vor dem Pionier jenes Geldinstitutes, das beispielsweise den Aufbau eines Schienennetzes und den Durchstoss des Gotthards mitermöglichte. Seitdem Escher masslos abgewertet, dann wieder rehabilitiert und zum Vater der modernen Schweiz ausgerufen worden ist, widerspiegelt sich an ihm aber auch das Auf und Ab menschlicher Gunst und Missgunst. Die relativierte menschliche Beurteilungsfähigkeit überhaupt.
MARKUS SCHÄR