Vanessa Sacchet im Gespräch mit Johannes Denzler
18.03.2023 Hagenstal, Leute aus der RegionJohannes Denzler, geboren am 2. August 1986 in Weisslingen, wuchs zusammen mit vier Geschwistern auf. Er absolvierte die Ausbildung zum Pflegeassistenten, machte die Lehre als Fachmann Betreuung in einem Altersheim und wechselte ins Universitätsspital Zürich für das Studium zum ...
Johannes Denzler, geboren am 2. August 1986 in Weisslingen, wuchs zusammen mit vier Geschwistern auf. Er absolvierte die Ausbildung zum Pflegeassistenten, machte die Lehre als Fachmann Betreuung in einem Altersheim und wechselte ins Universitätsspital Zürich für das Studium zum Dipl. Pflegefachmann. Anschliessend arbeitete er für zwei Jahre in der Psychiatrie. Er wohnt in Volketswil und ist seit 2020 als Gruppenleiter im Beatus-Heim in der Aussenwohngruppe Hagenstal tätig. Was es dort alles zu tun gibt, erzählt mir der sympathische 36-Jährige.
«Ich besuchte die Rudolf-Steiner-Schule in Winterthur. Viele, die dort zur Schule gehen, wählen später einen Beruf im sozialen Bereich. So war es auch bei mir. Selbst meine Eltern und Geschwister, bis auf eine Schwester, üben alle einen sozialen Beruf aus. Ich denke, wir haben von unseren Eltern eine grosse Portion Sozialkompetenz geschenkt bekommen. Heute bin ich als Gruppenleiter in der Aussenwohngruppe Hagenstal tätig und führe neun Mitarbeiter wie Sozialpädagogen, Fachfrauen Betreuung, Pflegehelfer und Quereinsteigerinnen. Wir betreuen sechs Bewohner. Drei Frauen und gleich viele Männer mit unterschiedlicher Beeinträchtigung. Es sind Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung, einer geistigen Behinderung. Körperlich sind sie mehrheitlich fit und können selber gehen und kleine Arbeiten verrichten. Beim Duschen benötigen sie eine Anleitung und jemand, der ihnen sagt, wie und was sie tun sollen. Unser jüngster Bewohner ist 20 Jahre alt, die älteste 63. Die Bewohnerinnen leben und schlafen hier. Vier von ihnen haben Eltern und gehen jedes dritte Wochenende am Samstag und Sonntag nach Hause. Zwei, die keine Eltern mehr haben, bleiben an diesen Wochenenden bei uns. Damit auch sie auf ihre Kosten kommen, unternehmen wir lässige Dinge wie ins Kino gehen, Ausstellungen besuchen, Nachtessen im Restaurant oder wir fahren in die Berge. Wir widmen unsere Zeit den beiden und machen das, was sie sich wünschen. So können sie sich ebenfalls auf diese Wochenenden freuen und ihr Programm selber bestimmen.»
Ein riesiges Ferienangebot zur Auswahl
«Als Wohngruppe machen wir auch jedes Jahr Ferien, teilweise getrennt, da die Gruppenkonstellation nicht immer ganz einfach ist. Diese Trennung finde ich wichtig, da Ferien erholsam sein sollen. In Präz, Bündnerland, gibt es ein Ferienort und eine Organisation namens Aquilone in Romanshorn am Bodensee. Erstes bietet eine eins-zu-eins-Betreuung. Man kann zwischen verschiedenen Themenwochen wählen wie: Schlemmer-, Wander-, Tier- oder einem Wellnesswochenende. Wir fragen jeweils die Bewohnerinnen, was ihre Wünsche sind. Eine isst für ihr Leben gerne und somit ist klar, dass sie sich für die Schlemmerwoche anmeldet. Dort kochen die Betreuer gemeinsam mit den Leuten. Bei Aquilone stehen auch Schifffahrten zur Auswahl, oder Baden in Deutschland. Es kommt auf die finanzielle Situation an, ob sich jemand ein, zwei, oder dreimal im Jahr Ferien leisten kann. Zum Teil arbeiten sie bei uns in einer geschützten Form und verdienen ihr eigenes Taschengeld. Wir in der Aussenwohngruppe bieten Arbeit im Bereich Hauswirtschaft, Garten und Kochen an. Eine Bewohnerin arbeitet extern. Sie verlässt viermal die Woche das Haus, fährt mit dem Zug nach Seuzach ins Beatus-Heim, dem Haupthaus, und arbeitet dort in der Lingerie. Sie ist selbstständig, braucht aber doch oft Begleitung. Die anderen fünf arbeiten bei uns und verrichten unterschiedliche Arbeiten. Der Alltag besteht aus Putzen, Kochen, Wäsche waschen und Arbeiten im Garten. Wann immer möglich, gehen wir mit ihnen nach draussen. Die Leute werden nach ihren Interessen und Fähigkeiten aufgeteilt. Der jüngste Bewohner ist gar nicht begeistert von der Gartenarbeit, was ich verstehen kann. Wenn ich etwas nicht mag, habe ich auch keine Lust, mich täglich damit zu beschäftigen. Dafür kocht er extrem gerne, kümmert sich um die Wäsche und bügelt diese akkurat. Das sind seine Fähigkeiten, die wir fördern. Wir setzen die Leute dort ein, wo ihre Stärken liegen und bei Arbeiten, die sie gerne tun und ihnen Freude bereiten. Es ist alles durchdacht. Am Montag und Mittwoch kocht der Jüngste, am Donnerstag ein anderer, Manuela am Dienstag und am Freitag kocht Sylvia. Die Wäsche wird immer von jemand anderem von der Haushaltsgruppe gemacht, während die einen zusammen spazieren, im Garten arbeiten oder einkaufen gehen.»
Nicht nur ein Heim, sondern ein Zuhause
«Dadurch, dass wir alle gemeinsam unter einem Dach wohnen, ist es wichtig, ein gutes Verhältnis zueinander zu haben. Wo Nähe ist, entstehen manchmal Konfliktsituationen und es ‹chlöpft› ab und zu. Das ist menschlich. Durch das, dass eine Bewohnerin ausser Haus ist, die einen sich draussen aufhalten und die anderen im Haus, ist die Gruppe aufgeteilt, das gibt etwas Luft. Wir machen aber auch Ausflüge miteinander. Es muss in einem gesunden Rahmen stattfinden. Wenn ich merke, dass schlechte Stimmung herrscht, oder die Bewohnerinnen aufgekratzt sind, gehe ich nicht mit allen in die Migros einkaufen. Sie sind mal besser gelaunt, mal schlechter. Mal haben sie Lust, ein anderes Mal nicht. Ich habe zuvor nie mit Menschen mit geistiger Behinderung zusammengearbeitet. Die Stelle in der Aussenwohngruppe Hagenstal ging ich anschauen, da mich eine Kollegin darauf aufmerksam gemacht hat. Ich habe mich schockverliebt. Die Leute haben eine so reine Seele und die Atmosphäre ist absolut herzlich. Auch wir Mitarbeiter stehen alle auf einer Ebene, egal welche Qualifikation man hat. Wir sind ein Team und ich vertrete dieses gegen aussen. Von den Bewohnern habe ich sehr viel gelernt und meine Arbeit ist wahnsinnig toll. Sie bedeutet mir viel und ich gehe jeden Tag gerne arbeiten. Klar gibt es Tage, die extrem anstrengend sind. Manchmal ist jemand traurig, manchmal kochen die Emotionen hoch oder man erträgt den anderen nicht. Dann fällt mal ein blöder Spruch und man kann wieder lachen. Wichtig ist: Jeder schätzt den anderen und man ist füreinander da. Es gibt Tage, da komme ich am Feierabend raus und sage: Wow, jetzt brauche ich einfach meine Ruhe und sprechen mag ich auch nicht mehr. Dann gibt es Tage, die mir aufzeigen, wie glücklich die Menschen sind und wie sie sich freuen, hier zu sein.»
«Mir sind fascht e Familie»
«Um mich etwas zu erholen, gehe ich in meiner Freizeit gerne Pilze suchen. Mittlerweile habe ich auch die Bewohnerinnen mit meinem Hobby angesteckt. Das finde ich eine super Sache. So kann ich meine Freizeitbeschäftigung mit meiner Arbeit verknüpfen und alle haben Spass daran. Wenn es regnet an einem Nachmittag, sitzen wir nicht drinnen sondern gehen raus, machen uns auf Pilzsuche und kochen diese am Abend zusammen. Bei mir zu Hause brauche ich einen Rückzugsort, wo ich Energie tanken kann. Wir haben einen Goldendoodle. Sie ist zweieinhalb Jahre alt und heisst Nelly. Wenn ich nach einem strengen Arbeitstag meine zehn Kilometer joggen gehe, ist sie mit dabei. So kann ich meinen Kopf lüften. Nelly ist jeweils der Star in der Wohngruppe, wenn ich sie mal mit zur Arbeit nehme. Dann streiten sich die Bewohner untereinander, wer mit Füttern und Spazieren dran ist und ich muss Buch führen, damit niemand zu kurz kommt» meint Denzler lachend und ergänzt: «Alles in allem sind wir einfach ein geniales Team und die Menschen hier empfinden die Wohngruppe nicht als ein Heim, in dem sie wohnen müssen. Es ist ein Zuhause und ein ganz besonderer Ort. Unser Slogan heisst: ‹Mir sind fascht e Familie›. Bei uns zählen die moralischen Werte und wir nutzen jede Minute, die wir mit den Bewohnerinnen verbringen können. Die Zufriedenheit ist spürbar. Der jüngste kommt aus dem Kanton Zug. Man hat für ihn dort keine passende Wohngelegenheit gefunden. Heute lebt er bei uns und wenn die Eltern ihn an den Wochenenden abholen kommen, fahren sie drei Stunden hin und her. Das nehmen sie gerne auf sich, weil sie wissen, dass er bei uns gut aufgehoben ist und er hier ein schönes Zuhause hat.»
VANESSA SACCHET