Vanessa Sacchet im Gespräch mit Ernesto Longo
01.03.2025 Leute aus der Region, AadorfErnesto Longo, geboren am 18. April 1965 in Corsano, einem Dorf in der Provinz Lecce in Apulien, wuchs gemeinsam mit seinen beiden Geschwistern auf. Der gelernte Radiotechniker zog 1993 mit seiner Frau nach Aadorf. Er hat zwei Töchter, arbeitete zunächst als Gipser und machte ...
Ernesto Longo, geboren am 18. April 1965 in Corsano, einem Dorf in der Provinz Lecce in Apulien, wuchs gemeinsam mit seinen beiden Geschwistern auf. Der gelernte Radiotechniker zog 1993 mit seiner Frau nach Aadorf. Er hat zwei Töchter, arbeitete zunächst als Gipser und machte sich schliesslich selbstständig. Warum er heute ein kleines Bistro führt und Spezialitäten aus seiner Heimat Italien anbietet, erzählt mir der bald 60-Jährige.
«Es war unsere Nonna, die uns wie eine zweite Mutter umsorgte, da unsere Mamma sich unermüdlich um unser Land kümmerte. Wir besassen frisches Gemüse, Kaninchen, Hühner und Olivenbäume, die wir jedes Jahr zur Erntezeit pflückten. Das war unser Leben, und es war ein gutes, einfaches Leben. Nonna war eine wunderbare Frau, die uns mit viel Herz das Kochen beibrachte. Oft standen wir mit ihr in der Küche, die von Düften erfüllt war und wir kochten mit dem Öl unsere eigenen Oliven. Für meine Geschwister und mich war das Kochen mit viel Spass verbunden. Schon früh half ich tatkräftig beim Pasta machen und Teig kneten mit und formte selbstgemachte Orechiette. So konnten wir drei Geschwister bereits als Kind kochen. Als ich neun Jahre alt war, habe ich zum ersten Mal Pommes Frites in der Pfanne gemacht, der Stolz darüber war riesig! Das Leben damals war streng und wir lernten schnell erwachsen zu werden. Wir hatten nicht viel und dass wenige, dass wir besassen, haben wir wertgeschätzt. Mamma und Nonna hatten uns so viel Vertrauen geschenkt und uns damit nicht nur das Kochen beigebracht, sondern auch eine Art, das Leben zu geniessen. Die Leidenschaft fürs Kochen ist für mich ein Geschenk, das mir Nonna und Mamma hinterlassen haben, und dass ich heute voller Freude weitertrage».
Vom Gipser zum Foodtruck-Besitzer
«Mein Vater ging immer wieder für ein paar Monate im Jahr in die Schweiz, um zu arbeiten. Auch mein Bruder ging zum Arbeiten in den Kanton Glarus. Als junger Mann habe ich ihn 1981 zum ersten Mal besucht. Das war im Sommer, wenn die Schulen in Italien geschlossen sind. Ich blieb drei Monate und konnte so etwas Geld verdienen. Wieder zurück, schloss ich die Oberstufenschule ab, arbeitete erneut für ein paar Monate in der Schweiz und kehrte zurück, um den Militärdienst zu absolvieren. Schon damals ahnte ich, dass die Schweiz vielleicht eines Tages mein Zuhause werden könnte. Einige Jahre später war es tatsächlich so weit. Ich kam in die Schweiz und begann hier als Gipser zu arbeiten. Es war eine harte, aber ehrliche Arbeit und ich war motiviert und ehrgeizig. Später war ich stolz darauf, nach ein paar Ausbildungen mein eigenes Geschäft aufzubauen. Nach einigen Jahren kamen die gesundheitlichen Probleme. Es folgten mehrere Operationen über mehrere Jahre und irgendwann war klar, dass ich diesen Beruf nicht mehr ausüben kann. Das war ein harter Schlag für mich. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte und was ich machen würde. In Basel absolvierte ich einige Kochkurse und den Grundkurs zum Sommelier. Doch in dieser schweren Zeit habe ich wieder zu dem zurückgefunden, was mir seit meiner Kindheit Freude bereitet: das Kochen. Ich erinnerte mich daran, wie ich als kleiner Junge mit meiner Mamma in der Küche stand, wie sie mir das Kochen beigebracht hatte und wie glücklich mich das gemacht hat. Also habe ich mich entschieden, einen Neuanfang zu wagen. Im Jahr 2016 kauften wir einen Foodtruck und gab ihm den Namen Gioie Salentine. Gioia bedeutet Freude. Es ist gleichzeitig der Name meiner Enkelin. Ich habe die Firma eröffnet, als sie geboren wurde. Zudem war es für mich eine grosse Freude Nonno zu werden. Und was könnte mehr Freude bringen als gutes Essen und die Familie. Salentine steht für die Region, aus der ich stamme».
Eine Reise voller Geschmack und Heimatliebe
«Ich nahm mit dem Foodtruck an vielen verschiedenen Anlässen teil wie Geburtstagsfeiern, Hochzeiten und Food Festivals. Es war eine grossartige Zeit, und ich habe es geliebt, den Menschen an so vielen Orten gutes Essen anzubieten. Von vielen kam die Rückmeldung, dass es schön wäre, wenn ich an einem fixen Standort wäre, wo sie zu mir zum Essen kommen könnten. Ich fand einen Platz an der Wittenwilerstrasse, im Industriegebiet und viele kamen zu mir zum Essen. Ich wollte den Leuten lokal mehr bieten, als dass sie bei Wind und Wetter vor dem Foodtruck stehen müssen. Meine Idee war, etwas Einzigartiges zu schaffen, das nicht nur praktisch ist, sondern auch Charme hat und die Leute anzieht. Heute steht mein Bistro fest in Aadorf, und ich könnte nicht glücklicher sein. Die Gäste kommen zu mir, geniessen das Essen und die entspannte Atmosphäre. Es ist ein Treffpunkt geworden, und es macht mich stolz zu sehen, wie mein Traum, der in einem Foodtruck begann, hier seinen festen Platz gefunden hat. Kochen ist für mich nicht nur Arbeit, sondern pure Leidenschaft. Hier kann ich die Gerichte meiner Heimat anbieten und stehe jeden Tag in meiner kleinen mobilen Küche, rieche die Aromen aus Corsano, denke an meine Mamma und Nonna und weiss: Es gibt nichts Schöneres als das zu tun, was ich liebe! Auch zu Hause gehört die Küche an den Sonntagen mir allein. Dann koche ich für die ganze Familie frische Pasta, Fischgerichte, Lasagne, alles Rezepte aus unserer Familie. Diese Gerichte sind mein Weg, die Erinnerung an mein Zuhause lebendig zu halten und sie mit meiner Familie und den Menschen hier zu teilen. Kochen ist für mich mehr als ein Handwerk; es ist eine Verbindung zu meinen Wurzeln und zu den Menschen, die mir das Leben und diese Leidenschaft geschenkt haben».
Die Tradition des Sugo
«Jeden Sommer packen wir unsere Koffer und machen uns auf den Weg nach Hause, zurück nach Corsano. Meine Frau, meine Töchter, meine Schwiegersöhne und meinen Enkelkindern. Es ist für uns alle eine Reise, die uns zurück zu unseren Wurzeln bringt. Kaum angekommen, atme ich die warme, vertraute Luft ein und fühle mich wieder wie der Junge, der zwischen Olivenbäumen und Hühnern gross geworden ist. Das Herzstück unseres Sommer Aufenthalts ist das Sugo herstellen. Im Sommer 2024 haben wir 250 Kilo Tomaten verarbeitet. Früher haben wir immer im Elternhaus gekocht, und meine Mamma stand dabei und gab uns allen strikte Anweisungen. Sie hat darauf geachtet, dass der Sugo genauso wurde, wie sie es sich vorstellte. Heute ist meine Mutter nicht mehr unter uns, aber ihre Rezepte und ihre Art zu kochen, leben weiter. Jetzt machen wir den Sugo bei meiner Schwester daheim und ich habe die Rolle meiner Mamma übernommen. Mein Vater ist der Einzige von der alten Generation, der noch lebt. Er ist 91 Jahre alt. Bin ich hier in Italien, stimmt mich das manchmal ein wenig traurig. Es ist der Ort, an dem ich geboren bin und es wird immer meine Heimat bleiben. In der Schweiz lebt nur meine eigene Familie, meine gesamte Herkunftsfamilie lebt in Italien. Ich bin seit vielen Jahre in der Schweiz und kann mir nicht vorstellen, zurück nach Italien zu gehen. Damals, als meine erste Tochter geboren wurde und später die zweite Tochter zur Welt kam, haben meine Frau und ich darüber gesprochen, was wir machen wollen. In der Schweiz bleiben oder nach Italien zurückkehren. Vor fast 30 Jahren haben wir den Entschluss gefasst, zu bleiben. Wir fühlen uns wohl hier, sind sehr gut integriert und der Familienzusammenhalt ist gross. Trotzdem schlagen in meiner Brust zwei Herzen. Die Schweiz ist unsere Heimat geworden, aber Italien wird immer meine Wurzeln und meine Seele prägen».
VANESSA SACCHET