Vanessa Sacchet im Gespräch mit Andreas Marti
14.12.2024 Leute aus der Region, AadorfAndreas Marti, Jahrgang 1964 aus Basel, wuchs gemeinsam mit seiner Zwillingsschwester auf. Der gelernte Betriebssekretär absolvierte seine Ausbildung bei der damaligen PTT, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Heute, mit 60 Jahren, kann Marti auf ein vielseitiges berufliches Spektrum ...
Andreas Marti, Jahrgang 1964 aus Basel, wuchs gemeinsam mit seiner Zwillingsschwester auf. Der gelernte Betriebssekretär absolvierte seine Ausbildung bei der damaligen PTT, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Heute, mit 60 Jahren, kann Marti auf ein vielseitiges berufliches Spektrum zurückblicken. Seine langjährige Erfahrung als Journalist, Moderator und Mediensprecher sowie seine kommunikative Vielseitigkeit prägen seine Karriere. Seit über 30 Jahren begeistert er zudem als Samichlaus Kinder und Erwachsene. Wie es zu dieser besonderen Rolle kam, erzählt er mir im Gespräch.
«Vor vielen Jahren diskutierten meine Frau und ich darüber, dass ich als Samichlaus die Kinder in der Nachbarschaft besuchen könnte. Wir organisierten ein passendes Kostüm, das ich bis heute besitze. So trat ich zum ersten Mal als Samichlaus auf und besuchte ein Kind aus dem Nachbarblock, das mich nicht kannte. Ich stand im Wohnzimmer, während der Vater laut nach seinem Kind rief, das sich hinter dem Sofa versteckte. Er kniete sich hin, packte es am Hosenbund und zog es hervor. In diesem Moment brach ein Gekreische aus. Ich stand da und fragte mich, warum ich das eigentlich machte.
Im zweiten Jahr lud ich einen Kollegen ein, mich als Schmutzli zu begleiten. Er sagte zu, und wir waren über einige Jahre gemeinsam unterwegs, bis er wegzog. Dann gab es einen erneuten Wechsel, bis ich schliesslich vor mehr als zehn Jahren einen neuen Partner aus Ettenhausen fand. Unsere Zusammenarbeit funktioniert wunderbar: Jeder weiss, was zu tun ist, und wir haben viel Spass dabei. Interessanterweise haben wir das ganze Jahr über fast keinen Kontakt, lediglich unsere Frauen pflegen einen regelmässigen Austausch.
Traditionell beginnt unsere Samichlaus-Tour am letzten Freitag im November bei der Männerriege in Matzingen. Das ganze Spektakel dauerte früher eineinhalb Stunden, da einer nach dem anderen drankam und jeder versuchte, Jahr für Jahr mit noch besseren Sprüchen zu punkten.
Wir besuchen verschiedene Veranstaltungen. Im vorletzten Jahr waren wir in einer kleinen Hütte im Wald, bei mehreren engagierten Frauen aus Politik und Wirtschaft. Ihr Lachen hörte man schon von weitem, und die Stimmung war ausgelassen. Vor unseren Auftritten bekommen wir Informationen über die Personen, über die wir sprechen sollen. Diese Personen geben sofort Kommentare ab, auf die ich spontan reagieren muss, was dann oft für Lacher sorgt. Solche Interaktionen sind gleichzustellen mit einem Komiker, der mit seinem Publikum interagiert. Man weiss nie, was kommt, und genau das stellt für mich eine spannende Herausforderung dar. Der Tag, an dem wir am meisten gefragt sind, ist der 6. Dezember. Dann sind wir von 16 Uhr bis 21 Uhr im Einsatz, und jeder Termin ist minutengenau durchgetaktet. Zwischen den Besuchen essen wir oft im Auto ein Sandwich. Die Organisation dieser Termine liegt seit Beginn in den Händen meiner Frau, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Viele Familien buchen gleich nach unserem Besuch bereits für das kommende Jahr.»
Unvergessliche Begegnungen mit dem Samichlaus
«Immer dabei haben wir Mandarinen, Nüsse und Zeltli. Da es während den geplanten Besuchen häufig vorkommt, dass Kinder unseren Weg kreuzen und spontan ein Sprüchli aufsagen. Bei den geplanten Terminen sind es in der Regel die Eltern, die kleine Säckli vorbereiten und diese vor die Tür stellen. Oder wir haben sie in unserem grossen Sack. Bei unseren Auftritten erleben wir immer wieder Überraschungen. Einmal besuchten wir eine Frau, die von Sozialhilfe lebte und ihren Kindern einen schönen Chlaus-Abend bereiten wollte. In der Wohnung war alles liebevoll geschmückt. Als sie uns das Geld überreichte, lehnten wir ab und gaben es ihr zurück. Solche eindrucksvollen und berührenden Momente bleiben im Gedächtnis. Ein weiterer bewegender Augenblick war, als wir erfuhren, dass ein Kind an Krebs erkrankt war. Dann stehst du vor diesem kleinen Geschöpf und hättest weinen können, besonders weil du selbst Kinder hast. Wir mussten dem Kind vermitteln, dass es seine Medikamente wirklich einnehmen muss. So nach dem Motto: ‹Wenn du deiner Mami nicht glaubst, dann glaub bitte dem Samichlaus›.
Ein wichtiger Aspekt für mich ist, dass wir nicht herumpoltern. Klar haben wir auch eine Fitze mit dabei. Wir versuchen mit den Kindern zu interagieren und frage sie: ‹Seht ihr, was wir mitgebracht haben? Glaubt ihr, wir brauchen die Fitze?› Dann rufen sie ‹Nein!› und ich lege sie zur Seite. Wenn ein Kind vor dem Samichlaus steht, ist das eindrucksvoll genug. Wir sind beide 1.80 Meter gross, tragen unsere Militärschuhe und eine Zipfelmütze, die uns noch grösser erscheinen lässt. Da muss ich nicht zusätzlich mit Strafe drohen. Ich betrachte das ganze Schauspiel als eine Art Theaterstück, in dem ich mit tiefer Stimme im Thurgauer Dialekt spreche, damit mich niemand erkennt. Und trotzdem: Als ich meinen damals zweieinhalbjährigen Götti-Bueb besuchte, fragte er, nachdem ich die Wohnung verlassen hatte, seine Mutter: ‹Chlaus Götti gsi?› Die Kinder sind unglaublich aufmerksam und nehmen alles wahr. Ihnen entgeht nichts. Sie sind äusserst feinfühlig. Eine weitere amüsante Geschichte ereignete sich, als ich beim Skifahren eine Kundin mit ihrer Tochter traf. Wir fuhren gemeinsam auf dem Dreiersessellift den Berg hinauf, und ich unterhielt mich mit der Mutter ganz normal in meinem Dialekt. Oben angekommen sagte ich: ‹Tschüss zusammen, ich wünsche euch einen schönen Tag›. Das Mädchen war wie vom Donner gerührt und meinte zu ihrer Mutter: ‹Mami, jetzt waren wir mit dem Samichlaus auf dem Lift!›
Eine Tradition, die Herzen erwärmt
«Ein fester Brauch ist es, dass die Kinder Sprüchli aufsagen, wenn der Samichlaus zu Besuch kommt. Interessanterweise haben wir manchmal das Gefühl, dass im ganzen Kanton Thurgau und Zürich die Kindergärtnerinnen und Kindergärtner denselben Spruch lehren, sodass alle Kinder dasselbe Sprüchli aufsagen. Viele kommen auch mit einem Lied, und es gibt sogar solche, die mit einer Blockflöte, Geige oder einem anderen Instrument auftreten. Eine Familie bleibt mir besonders in Erinnerung: Der Vater hatte eine selbstgeschriebene Geschichte vorbereitet, die seine Kinder vortrugen. Es handelte sich dabei nicht um einen kleinen Spruch, sondern um eine sehr lange Geschichte, die sich reimte. Die beiden Kinder trugen diese auswendig vor, ohne Unterbrechung. Chapeau! So etwas habe ich noch nie erlebt.
Haben die Kinder oder die Erwachsenen kein Sprüchli gelernt, wird oft und gerne das altbewährte Sprüchli ‹Sami niggi näggi› vorgetragen. Unabhängig vom aufgesagten Spruch ist mir besonders wichtig, dass jedes Kind positiv an den Chlaus-Besuch zurückdenkt. Ich möchte ihnen einen schönen Abend bereiten, der ein Leben lang in Erinnerung bleibt. Ich bin nun 60 Jahre alt, mein Kollege 61 Jahre. Wir möchten nicht mehr eine ganze Woche lang jeden Abend unterwegs sein. Deshalb lautet unser Motto: lieber Qualität statt Quantität. Nach über 30 Jahren kann ich sagen, dass vieles gleich geblieben ist. Obwohl man heutzutage oft den Eindruck hat, dass die Kinder früher in die Pubertät kommen oder ständig am Handy sitzen. Familien, die den Chlaus zu sich nach Hause einladen, möchten einen schönen Abend verbringen, bei dem das Handy nicht im Vordergrund steht. Klar sind die Eltern damit beschäftigt, den ganzen Anlass zu fotografieren und zu filmen. Aber die Atmosphäre ist wie früher und die Kinder stehen mit grosser Ehrfurcht dem Samichlaus gegenüber. Was mich persönlich ungemein stört, ist, wenn ich an jeder Ecke Samichläuse stehen sehe, bei denen unter ihren Bademänteln Jeans und Turnschuhe hervorschauen. Was aber für mich spricht, ist, die Kinder merken das und meinen jeweils: ‹Weisch, zu mir hei chunnt dä richtig Samichlaus!›»
VANESSA SACCHET