Unbedingt nötig oder eher ein Beschiss?
03.09.2024 AbstimmungenFür die Befürworter der BVG-Reform, über welche der Souverän am 22. September zu befinden hat, ist diese wegen nicht ausreichender Finanzierung zwingend notwendig. Die Gegnerinnen sehen darin eine Scheinreform und sprechen von einem Beschiss.
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Für die Befürworter der BVG-Reform, über welche der Souverän am 22. September zu befinden hat, ist diese wegen nicht ausreichender Finanzierung zwingend notwendig. Die Gegnerinnen sehen darin eine Scheinreform und sprechen von einem Beschiss.
Für viele Menschen ist die berufliche Vorsorge (2. Säule) eine wichtige Ergänzung zur AHV (1. Säule). Während ihres Berufslebens sparen sie mit ihren Lohnbeiträgen und den Beiträgen ihrer Arbeitgeber in der Pensionskasse ein Altersguthaben an. Damit wird später die Pensionskassenrente bezahlt. Bis zu einem bestimmten Einkommen legt das Gesetz fest, wie viel Rente pro gesparten Franken mindestens ausbezahlt werden muss.
«Wegen zu tiefer Erträge an den Finanzmärkten und der steigenden Lebenserwartung sind die Renten im sogenannten obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge aber nicht mehr ausreichend finanziert», schreibt der Bund im Abstimmungsbüchlein. Davon betroffen seien insbesondere Pensionskassen, die nur das gesetzliche Minimum oder ein wenig mehr anbieten. Hinzu komme ein zweites Problem: Wer wenig verdiene, habe später keine oder eine sehr kleine Pensionskassenrente. Darunter seien überdurchschnittlich viele Frauen, weil sie häufig Teilzeit arbeiten oder in Branchen mit tiefen Löhnen.
Deshalb stimmen die Stimmbürgerinnen und -bürger am 22. September über eine Reform der beruflichen Vorsorge ab. Diese sieht laut Unterlagen Massnahmen vor, mit denen die künftigen Renten sicherer finanziert werden sollen. Zudem würden viele Geringverdienende später eine höhere Rente erhalten: Sie und ihre Arbeitgeber sollen dafür jeden Monat höhere Sparbeiträge bezahlen als heute. Die meisten Arbeitnehmerinnen hätten eine Pensionskasse, die deutlich mehr als die gesetzlichen Mindestleistungen anbietet. In dieser Hinsicht habe die Reform auf sie wenig Auswirkungen. Die Renten von Menschen, die bereits pensioniert seien, wären nicht betroffen.
Finanzielle Auswirkungen
Der Umwandlungssatz von heute 6,8 soll auf 6 Prozent gesenkt werden. Das heisst: Bei einem Altersguthaben von 100’000 Franken beträgt die jährliche Rente heute 6800 Franken. Mit der Reform läge sie noch bei 6000. Um eine Kürzung der künftigen Renten möglichst zu verhindern, haben Bundesrat und Parlament Ausgleichsmassnahmen beschlossen, wobei eine Annahme dennoch in gewissen Fällen zu tieferen Renten führen wird.
Als eine der Massnahmen soll der sogenannte Koordinationsabzug wegfallen, was Menschen mit tiefen Einkommen besserstellt, weil sie so mehr Pensionskassenkapital anhäufen können als bisher. Und zur Abfederung für die Übergangsjahrgänge sollen künftige Neurentnerinnen während einer 15-jährigen Frist einen monatlichen Zuschlag von bis zu 200 Franken erhalten.
Das BVG-Gesetz ist veraltet
In der ersten SRG-Umfrage zur Abstimmung vom 22. September unterstützte eine knappe Mehrheit von 49 Prozent die Reform der beruflichen Vorsorge. Doch viele der Befragten sind noch unentschlossen und der Rechenfehler bei der AHV-Abstimmung 2022 könnte das Misstrauen gegen die Vorlage verstärken. Deshalb weibeln Politiker von der Mitte bis Rechts intensiv für eine Zustimmung. Das gilt auch für den Arbeitgeberverband. Das heutige BVG-Gesetz stamme aus einer Zeit, in welcher der Mann in einer Familie meist allein fürs Erwerbseinkommen zuständig war und die Frau auf Kinder und Haushalt schaute. Inzwischen sei die Lebens- und Arbeitsrealität aber eine andere.
Besonders störend am heutigen Gesetz sei es, dass viele Teilzeiterwerbstätige, aber auch Personen mit mehreren Jobs oder tiefen Löhnen, keine BVG-Rente erhalten.
Und auch aufgrund der höheren Lebenserwartung hinke die berufliche Vorsorge den Entwicklungen hinterher. Die Reform bringe sie ins 21. Jahrhundert: Sie sei zwingend notwendig für mehr Generationengerechtigkeit, zur besseren Absicherung von Teilzeitarbeitenden und Personen mit mehreren Jobs. Aber auch für mehr Stabilität des bewährten Drei-Säulen-Prinzips.
Die Befürworterinnen sehen naturgemäss die Vorteile der Reform. 359’000 Personen erhielten dadurch eine höhere Rente, rund 275’000 davon Frauen. Dies zeige eine Studie im Auftrag der Frauenorganisation Alliance F. Es profitierten insbesondere Teilzeitarbeitende und tiefe Einkommen. Mit einer Annahme der Vorlage würden 100’000 tiefe Einkommen neu versichert. Sie würden künftig auch von Beiträgen der Arbeitgebenden und den Zinsen auf ihrem BVG-Kapital profitieren.
Scheinreform und Beschiss
Von einer Scheinreform, ja gar einem Beschiss reden die Gegnerinnen der BVG-Reform. Die Pensionskassenrenten sinken seit Jahren und es gebe immer weniger Rente für das Geld. Mit einer Annahme der Abstimmungsvorlage würden die Renten nochmals um bis zu 3200 Franken jährlich sinken. Besonders betroffen seien Arbeitnehmende über 50 Jahren und die Mittelschicht. Aber auch Jungen drohten Renteneinbussen. Gleichzeitig bleibe das Problem des fehlenden Teuerungsausgleichs ungelöst – das treffe insbesondere die Rentnerinnen.
Mit dem BVG-Beschiss würden die obligatorischen Lohnabzüge steigen. Die Beschäftigten müssten damit jährlich 2,1 Milliarden Franken mehr in die Pensionskassen einbezahlen. Die Kosten pro Arbeitnehmer würden um bis zu 2400 Franken jährlich steigen. Personen mit tiefen Löhnen seien davon besonders stark betroffen, obwohl gerade sie am meisten unter den höheren Lebenshaltungskosten leiden.
Für die Frauen sehen die Gegnerinnen eine teure Mogelpackung in der Vorlage. Denn insbesondere sie würden zur Kasse gebeten, ohne dass ihnen eine höhere Rente garantiert werde. Viele Berufstätige mit Betreuungsaufgaben würden im Alter nicht besser dastehen, denn Lösungen für familienbedingte Erwerbsunterbrüche und Teilzeitarbeit fehlen. Und viele Mehrfachbeschäftigte wie beispielsweise Tagesmütter oder Putzfrauen würden weiterhin keinen Pensionskassenanschluss haben.
Heute zweigen Banken, Makler, Manager und Experten jährlich über sieben Milliarden aus den Pensionskassen ab, so die Nein-Seite. Der BVG-Beschiss ändere daran nichts, im Gegenteil: Mit der Reform werde der Kuchen grösser, aus dem sie sich bedienen können, während immer weniger bei den Versicherten ankommt. Das sei inakzeptabel und bedürfe eines klaren Neins am 22. September.
RENÉ FISCHER
Parolen
Ja: EVP, FDP, SVP, EDU, GLP, Die
Mitte
Nein: SP, Grüne
keine Angabe: AL