Schon ab 16 wählen und abstimmen
14.04.2022 AbstimmungenSoll im Kanton Zürich bereits mit 16 statt wie bisher 18 Jahren abgestimmt und gewählt werden dürfen? Mit dieser Frage befassen sich Befürworter und Gegner der kantonalen Vorlage, die eine Änderung der Verfassung zur Folge hätte. Die Wählbarkeit ab 18 Jahren soll aber unangetastet bleiben.
Mit einer Änderung der Kantonsverfassung soll das Stimm- und Wahlrechtsalter im Kanton Zürich von bisher 18 auf 16 Jahre gesenkt werden. Das soll für Abstimmungen auf Gemeinde- und Kantonsebene gelten. Für ein öffentliches Amt wählbar sein sollen jedoch weiterhin nur Personen ab 18 Jahren. Ausser SVP und FDP sprachen sich alle Kantonsratsparteien für die Ausweitung der Demokratie auf 16- und 17-Jährige aus. Nun entscheidet das Stimmvolk am 15. Mai.
Auslöser für die nun angestrebte Neuerung war eine 2018 eingereichte parlamentarische Initiative von Sonja Gehrig (GLP). «Viele Jugendliche möchten mehr Verantwortung für ihre Zukunft übernehmen», begründete sie ihr Anliegen. Kantons- und Regierungsrat argumentieren mit der immer älter werdenden Bevölkerung. Damit spitze sich die Untervertretung von jungen Menschen zu. Gleichzeitig müssten sie am längsten mit den Folgen von politischen Entscheiden leben. Der Politikunterricht in der Schule laufe zudem ins Leere, wenn die Jugendlichen nicht gleichzeitig in der Praxis mitbestimmen können. Und: Mit einer Senkung des stimm- und Wahlrechtsalters lasse sich das Interesse und der Einsatz für politische Themen fördern.
Gute Erfahrungen mit dem Stimmrechtsalter 16
1991 wurde in der Schweiz das Stimm- und Wahlrechtsalter von 20 auf 18 Jahre gesenkt. Gemäss Abstimmungsunterlagen können im Kanton Glarus 16- und 17-Jährige seit 2007 wählen und an Versammlungen teilnehmen. Im Kanton Zürich kenne die evangelisch-reformierte Landeskirche das aktive Stimm- und Wahlrecht ab 16 Jahren. Auf Bundesebene fordere eine parlamentarische Initiative das aktive Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige auf nationaler Ebene und wird zurzeit in den eidgenössischen Räten diskutiert. In Europa würden Österreich, Malta, Schottland und Wales das Wahlrechtsalter 16 kennen und ausserdem gelte es in vier deutschen Bundesländern.
Bisher gebe es gemäss Weisung noch wenig Forschung zu den Auswirkungen des Stimm- und Wahlrechtsalters 16. Eine vergleichende Studie aus fünf Ländern aus dem Jahr 2020 komme zum Schluss, dass die Wahlbeteiligung in Ländern mit tieferem Wahlrechtsalter höher sei. Studien aus Österreich würden zeigen, dass 16- und 17-jährige Erstwählerinnen und -wähler tendenziell etwas mehr an Wahlen teilnähmen als 18- bis 25-Jährige. Insgesamt sei die Beteiligung der 16- und 17-Jährigen allerdings tiefer als diejenige der Gesamtbevölkerung. In Österreich sei mit der Einführung des Wahlrechtsalters 16 seit 2007 die durchschnittliche Wahlbeteiligung zwar nicht gestiegen, jedoch unter den teilnehmenden Personen der Anteil der jungen Menschen gewachsen. Auch in der Schweiz habe sich die durchschnittliche Wahlbeteiligung nicht bedeutend geändert, nachdem 1991 das Stimm- und Wahlrechtsalter gesenkt wurde.
Mit 16 Jahren fehlt die Reife
Für die Gegner der Vorlage seien Rechte und Pflichten des Einzelnen in der Schweiz eng miteinander verbunden. Das Recht, ab 18 Jahren stimmen und wählen zu dürfen und selbst wählbar zu sein, gehe mit zahlreichen Pflichten einher – beispielsweise mit der Steuerpflicht. Die Entkoppelung des Stimmrechts vom Mündigkeitsalter 18 schaffe Ungleichgewichte, die sachlich nicht erklärbar wären: 16- und 17-Jährige sollen zwar bei weitreichenden politischen Entscheiden mitbestimmen, aber noch keinen Vertrag rechtsgültig unterschreiben dürfen. Auch für Straftaten könnten sie nicht wie mündige Stimmbürger belangt werden. Konsequenterweise soll mitbestimmen, wer auch die Folgen mittragen müsse. Deshalb soll das Stimmrecht weiterhin an die Volljährigkeit gebunden bleiben.
Weiter argumentieren die Gegner, dass sich Jugendliche in einer unruhigen Lebensphase befinden. In Körper und Gehirn würden sich altersbedingt gewichtige biologische Entwicklungen abspielen. Viele Jugendliche seien stark mit sich selbst beschäftigt und oft auch persönlich belastet durch existenzielle Fragestellungen wie Berufswahl, Lebensentwurf oder Beziehungen. Unterschiedliche politische Ideen und Konzepte, auch radikale, würden studiert, debattiert, akzeptiert, aber ebenso oft auch wieder verworfen. In dieser turbulenten Lebensphase politische Sachfragen in ihrer ganzen Tragweite beurteilen und entscheiden zu müssen, überfordere viele Jugendliche.
RENÉ FISCHER