Rentenalter soll schrittweise angehoben werden
13.02.2024 AbstimmungenWenn es nach den Jungfreisinnigen geht, genügt das Rentenalter 65 nicht. Es müsse schrittweise auf 66 angehoben und dann an die Lebenserwartung gekoppelt werden. Für Bundesrat und Parlament ist ein solcher Automatismus zu starr, weshalb die Renteninitiative abgelehnt ...
Wenn es nach den Jungfreisinnigen geht, genügt das Rentenalter 65 nicht. Es müsse schrittweise auf 66 angehoben und dann an die Lebenserwartung gekoppelt werden. Für Bundesrat und Parlament ist ein solcher Automatismus zu starr, weshalb die Renteninitiative abgelehnt wird.
Die Renten der AHV sind für die nächsten Jahre sicher finanziert. So zumindest steht es in den Unterlagen für die kommenden Abstimmungen. Zwei Reformen in den letzten fünf Jahren hätten wesentlich dazu beigetragen. So wurden die Lohnbeiträge und die Mehrwertsteuer angehoben und das Rentenalter der Frauen auf 65 Jahre erhöht. Mit dieser Mischung aus höheren Einnahmen und tieferen Ausgaben seien die Finanzen der AHV bis zirka 2030 stabilisiert. Mittelfristig stehe die erste Säule aber vor grossen finanziellen Herausforderungen. Erstens nehme die Zahl der Pensionierten schneller zu als diejenige der Erwerbstätigen, die in die AHV einzahlen. Zweitens müssten mit der steigenden Lebenserwartung die Renten länger ausbezahlt werden.
Die Renteninitiative, über welche der Souverän am 3. März entscheidet, will die Finanzierung der AHV mit der Erhöhung des Rentenalters nachhaltig sichern. Sie fordert, zuerst das Rentenalter für Frauen und Männer bis 2033 schrittweise auf 66 Jahre zu erhöhen. Danach soll es an die durchschnittliche Lebenserwartung gekoppelt werden: Das Rentenalter würde automatisch erhöht, wenn diese steigt – allerdings nicht eins zu eins, sondern um 80 Prozent der gestiegenen Lebenserwartung und in Schritten von höchstens zwei Monaten pro Jahr. Wird die Initiative angenommen, würde die AHV entlastet: Die Erhöhung des Rentenalters auf 66 Jahre würde deren Ausgaben voraussichtlich um rund zwei Milliarden Franken reduzieren. Mit den automatischen Anpassungen an die steigende Lebenserwartung würde die AHV zusätzlich entlastet.
Eine zu starre Vorlage
Bundesrat und Parlament empfehlen den Stimmbürgerinnen und -bürgern ein Nein. Mit der Initiative der Jungfreisinnigen würde das Rentenalter künftig allein durch eine mathematische Formel bestimmt. Ein solcher Automatismus sei zu starr. Bei der Festlegung des Rentenalters müssten stets verschiedene Aspekte berücksichtigt werden, wie die Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes.
Im überparteilichen Nein-Komitee vertreten sind Parteien von links bis rechts sowie auch der Arbeitnehmer-Dachverband Travailsuisse. Sie kritisieren unter anderem, dass die Initiative unsozial, technokratisch und undemokratisch sei. Die automatische jährliche Anpassung des Rentenalters generiere laut eines Beitrags der SRG Unsicherheit bei den Arbeitnehmenden und einen massiven administrativen Aufwand. Weder der Bundesrat noch das Parlament oder die Bevölkerung hätten bei der Festsetzung des Rentenalters ein Mitspracherecht.
Laut Komitee vergrössere die Initiative die sozialen Ungleichheiten in der Verteilung der AHV. Schlechter Qualifizierte hätten eine tiefere Lebenserwartung und eine weniger gute Gesundheit im Alter. Die Lebenserwartung dürfe deshalb nicht allein ausschlaggebend sein für die Festsetzung des Rentenalters, sondern auch die Anzahl gesunder Jahre in Rente müsse eine Rolle spielen. Denn für Ältere sei es bereits jetzt schwierig, nach einem Jobverlust eine neue Stelle zu finden.
Gemäss Travailsuisse würden schon heute Menschen ab 55 Jahren vermehrt aus dem Arbeitsleben ausscheiden und eine IV-Rente benötigen, weil sie körperlich oder psychisch nicht mehr in der Lage seien zu arbeiten. Die Renteninitiative würde dazu verdienten Ruhestand körperlich und psychisch ausgelaugt wären und nicht mehr arbeiten könnten.
Länger Leben, länger Arbeiten
Das Initiativkomitee macht geltend, dass es die Schweiz bisher verpasste, strukturelle Reformen in der Altersvorsorge umzusetzen. Weil der Mensch immer länger lebe, müsste er auch länger arbeiten, damit die AHV nachhaltig finanziert bleibe. Viele westeuropäische Länder hätten deswegen das Rentenalter mit der Lebenserwartung verknüpft.
Die Initiative sei zudem kein Problem für die Schwächsten. Einige Sektoren würden es den Mitarbeiterinnen bereits heute ermöglichen, in den Vorruhestand zu gehen. Dies werde weiterhin möglich sein. Auch ohne Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber könnten Männer und Frauen die Rente um ein oder zwei Jahre vorziehen. Wie heute liege es an den Sozialpartnerinnen (Arbeitgeber und Gewerkschaften) Lösungen zu finden, die den Branchen und Schwierigkeiten des Berufsstandes entsprechen. Diese sozialpolitische Komponente sei wichtig und werde begrüsst.
Das Argument der Arbeitslosigkeit bei über 55-Jährigen verfängt bei den Initianten nicht. Sie sei geringer als beispielsweise unter den Jugendlichen. Ältere Personen seien allerdings länger arbeitslos. Doch wegen diesem Problem eine Erhöhung des Rentenalters zu blockieren, wäre nicht zielführend. Schlauer sei es, die betroffenen Personen zum Beispiel mit einer Flexibilisierung des Rentenalters zu unterstützen.
Eine solche steigere die Attraktivität älterer Angestellten auf dem Arbeitsmarkt. Wenn nicht automatisch beim ordentlichen Rentenalter Schluss sei, würden mehr ältere Personen angestellt werden. Ausserdem sollen die Sparbeiträge in die Pensionskasse geglättet werden. Diese benachteiligten ältere Personen auf dem Arbeitsmarkt gegenüber jüngeren, weil sie so für den Arbeitgeber teurer sind. Zudem sollen Aus- und Weiterbildung auch im Alter gefördert werden. Die Chance wieder einen Job zu finden, werde dadurch vergrössert.
RENÉ FISCHER
Pro
Wie werden Sie Ihren Enkelkindern dereinst erklären, wieso diese keine oder nur noch eine kleine AHV-Rente erhalten werden? Weil Sie einfach keine Lust hatten, ihren Enkeln zuliebe ein Jahr länger zu arbeiten? Oder weil Sie den gewerkschaftlichen Falschaussagen zur finanziellen Zukunft der AHV geglaubt haben?
Kurz zu den Fakten: Bei Einführung der AVH 1948 finanzierten 6,5 Erwerbstätige die Rente einer Person. Heute sind es noch drei, 2030 werden es noch 2,6 Erwerbstätige sein. Wir werden glücklicherweise immer älter und dürfen die Rente durchschnittlich zehn Jahre länger geniessen als 1948. Ab 2030 wird die AHV mehr Geld ausgeben als einnehmen, sodass bis 2050 ohne Gegenmassnahmen 140 Milliarden Franken fehlen werden.
Was tun? Die Fakten leugnen, schönreden, oder getreu dem Motto «Wenn jeder und jede für sich sorgt, ist für alle gesorgt» handeln? Letzteres funktioniert bei der AVH eben gerade nicht, denn sie ist auf dem Solidaritätsprinzip aufgebaut: Gutverdienende leisten höhere Lohnabgaben zugunsten weniger gut gestellten Personen und die Jungen finanzieren die Rente der Älteren.
Diese Generationensolidarität ist nun akut gefährdet, denn ohne aktives Mittun der heute arbeitenden Bevölkerung werden unsere Enkelkinder im schlechtesten Fall keine, im besten Fall eine kleine AVH-Rente erhalten. Um dies zu vermeiden, können wir entweder die Mehrwertsteuer und die Lohnabgaben stark erhöhen, oder etwas länger arbeiten. Steuererhöhungen und zusätzliche Abgaben schaden der Wirtschaft und damit uns allen. Länger arbeiten wird somit unumgänglich. Mit dieser zugegebenermassen unpopulären Forderung holt man halt keine neuen Wählerstimmen, weshalb mit Ausnahme von FDP und SVP leider keine andere Partei den Mut aufbrachte, das Anliegen zu unterstützen.
Schauen Sie in den Spiegel und machen Sie sich ein paar Gedanken zur Solidarität. Erklären Sie ihrem Spiegelbild, dass Sie die Realitäten akzeptieren und notgedrungen ein Jahr länger arbeiten werden. Dies, um auch Ihren Enkelkindern eine gesicherte AHV-Rente zu ermöglichen. Die Fakten sind klar. Zaubern kann niemand. Ehrlich sein schon.
Kontra
Es ist ein Fakt, dass wir immer älter werden. Vor diesem Hintergrund ist die Renteninitiative (eine Erhöhung des AHV-Alters) zu sehen. Doch sie ist ein Schnellschuss und unüberlegt. Bereits heute gehen sehr viele Erwerbstätige in Frührente, von den sehr gut verdienenden sogar die Mehrheit. Eine Erhöhung des Referenzrentenalters wäre somit in erster Linie eine für diejenigen, die sich die Frühpensionierung nicht leisten können. Tiefer Qualifizierte haben zudem eine geringere Lebenserwartung und schlechtere Gesundheit im Alter. Bei einzelnen Berufen (zum Beispiel auf dem Bau) verbraucht man sich zudem körperlich schneller als bei anderen. Ein höheres Rentenalter trifft also vor allem den Mittelstand und die ärmere Bevölkerung. Die sozialen Ungleichheiten werden dadurch vergrössert. Vor diesem Hintergrund gesehen ist die Initiative ungerecht. Die im Initiativtext vorgesehene automatische jährliche Anpassung generiert zudem Unsicherheit und einen massiven administrativen Aufwand bei den Arbeitnehmern und -nehmerinnen. Ein höheres Rentenalter finanziert die AHV nicht nachhaltig. Die vielen negativen Auswirkungen, welche die Renteninitiative mit sich brächte, führen wohl dazu, dass im Nein-Komitee SVP, SP, Mitte, Grüne und GLP vertreten sind. Leider sind bei der Vorlage keinerlei Begleitmassnahmen vorgesehen. Sie ist ein sozialpolitischer Rasenmäher. Für die AHV braucht es eine Schuldenbremse. Dieser Vorschlag, für den sich die GLP stark macht, sollte bei der im Parlament anstehenden AHV-Reform wieder einfliessen. Zielführender als ein höheres Rentenalter für alle sind Anreize, dass wir länger arbeiten können. Anreize, dass es sich lohnt, länger zu arbeiten. Lassen wir also die Politik eine mehrheitsfähige Vorlage ausarbeiten, welche die AHV nachhaltig saniert und nicht einseitig zulasten des Mittelstands und von Geringverdienenden geht. Aus all diesen Gründen empfehle ich die Renteninitiative zur Ablehnung.