Politikverdrossenheit
06.07.2023 KolumneWenn es irgendwie geht, besuche ich jedes Jahr die Generalversammlung einer börsenkotierten Firma. Im Frühling 2019 war ich an derjenigen der Swiss Re. Meist sind dies eher trockene Veranstaltungen, bis auf den Imbiss nach dem offiziellen Teil, wo man oft interessante Leute trifft und ...
Wenn es irgendwie geht, besuche ich jedes Jahr die Generalversammlung einer börsenkotierten Firma. Im Frühling 2019 war ich an derjenigen der Swiss Re. Meist sind dies eher trockene Veranstaltungen, bis auf den Imbiss nach dem offiziellen Teil, wo man oft interessante Leute trifft und sich dabei angeregte Gespräche ergeben. An meinem Tisch war ein deutsches Ehepaar, gut situiert, Besitzer von Aktien namhafter Schweizer Unternehmen. Da damals in Deutschland regionale und der Schweiz nationale Wahlen gleichzeitig stattfanden, kamen wir auf das Thema Politik zu sprechen. Der Gesprächsfluss endete abrupt als ich anfügte, dass für mich in Deutschland nur noch die AFD wählbar wäre. Von da an herrschte eisiges Schweigen, bald schon verliess das Paar den Tisch.
Vor Kurzem wurde der erste Landrat der AFD in einem deutschen Bundesland gewählt. Auf den ersten Blick eine Sensation, bei genauerer Analyse keine Überraschung. 2019 lag ihr Wähleranteil im einprozentigen Bereich, würde heute gewählt, wäre die Partei mit gut 20 Prozent auf Platz 2 – Tendenz steigend. Nun kann man diese Partei durchaus kritisch sehen, tummeln sich doch in deren Reihen auch rechtsextreme Exponenten. Wenn sie weiterhin Erfolg haben will, muss sie sich so schnell als möglich von solch zwielichtigen Figuren mit braunem Gedankengut trennen.
Dennoch ist es in höchstem Masse unredlich, wenn Politiker und Medien den Wählern der AFD per se Rechtsextremismus vorwerfen. Wenn eine Partei in Deutschland von der Verfassung her als wählbar eingestuft wird, gilt es die Demokratie zu akzeptieren. Ihr Erfolg ist auch weniger ihrem Programm als dem Versagen der anderen Parteien zuzuschreiben. Diese haben – und nun kommt eine frappante Parallele zur Schweiz – oft an den Anliegen und Bedürfnissen der Bürger vorbei politisiert.
In Deutschland und der Schweiz möchte die Bürgerin eine sichere, kostengünstige Energie- und Stromversorgung und keine Klimaziele mit utopischen Vorgaben. Das Klimagesetz in der Schweiz fand erst dann eine Zustimmung, als der Vorlage einige kostspielige, faule Zähne gezogen wurden. In beiden genannten Ländern und wohl in ganz Europa herrscht ein weiterer Konsens: Flüchtlinge und Migranten haben dann ein Bleiberecht, wenn sie an Leib und Leben bedroht sind. Die Kriterien dazu sind streng definiert, wirtschaftliche oder klimatische Gründe gelten zurecht nicht als Fluchtgrund. Aber, statt den Grenzschutz auszubauen, wurde dieser sträflich vernachlässigt.
Nachbefragungen in Deutschland ergaben, dass sich viele Menschen um ihre Renten sorgen und kein Vertrauen mehr in die etablierten Parteien haben, dass sich diese ernsthaft darum kümmern. Zahlreiche Rentner können ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen, mussten sich letzten Winter entscheiden, ob sie die spärlichen Mittel fürs Essen oder Heizen ausgeben wollten. Eine unwürdige Situation, die zu denken gibt. Auf den Punkt brachte es nach der Wahl ein Malermeister der sinngemäss sagte, es sei etwas faul in seinem Land, wenn Rentner die 40 und mehr Jahre arbeiteten, täglich die Abfallbehälter nach Pfandflaschen absuchen müssen, um überleben zu können, und gleichzeitig Migranten, die nie einen Cent ins Sozialsystem einbezahlt haben, mit überaus üppigen