Mehr Bauern im Parlament – was ist mit den Bäuerinnen?
31.10.2023 AbstimmungenDie eidgenössischen Wahlen sind vorbei und die Zusammensetzung für die nächste Legislatur ist gemacht: Das neue Parlament wird aber nicht nur stärker rechtsorientiert und weniger grün, sondern auch wieder männlicher. Ein Rückschritt für die Frauen ...
Die eidgenössischen Wahlen sind vorbei und die Zusammensetzung für die nächste Legislatur ist gemacht: Das neue Parlament wird aber nicht nur stärker rechtsorientiert und weniger grün, sondern auch wieder männlicher. Ein Rückschritt für die Frauen in diesem Land und damit auch für die Bäuerinnen und Landfrauen.
Am 7. Februar 1971 gewährten die Schweizer Männer in einer Volksabstimmung den Frauen die Teilnahme an der nationalen Politik. Bei den eidgenössischen Wahlen vom 31. Oktober desselben Jahres durften die Frauen dann zum ersten Mal wählen und für ein Parlamentsamt kandidieren. Elf schafften die Wahl in den Nationalrat und eine wurde Mitglied des 42 Sitze umfassenden Ständerats. Seit diesen historischen Wahlen machte aber die Geschlechtergleichstellung in der Schweizer Politik nur langsam Fortschritte.
Bei den letzten eidgenössischen Wahlen vor vier Jahren nahm der Frauenanteil im 200 Sitze umfassenden Nationalrat um satte zehn Prozentpunkte zu und erreichte zum ersten Mal einen Anteil von über 40 Prozent. Unter anderem die überparteiliche Bewegung «Helvetia ruft» wie auch der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband (SBLV) mit seiner Kampagne «Mehr Frauen in die Politik» machten sich im Vorfeld zu den Wahlen für eine stärkere Vertretung von Frauen im Parlament stark.
Trotzdem ist deren Anteil nach dem letzten Wahlsonntag wieder gesunken. Obwohl 14 Frauen, die auf der entsprechenden Wahlplattform des SBLV präsentiert wurden, die Wahl schafften, zeigt sich Gabi Schürch, Vizepräsidentin und Präsidentin des Fachbereichs Familien- und Sozialpolitik beim Verband, ob dieser Tatsache enttäuscht. Sie hält aber fest: «Im Moment besteht immerhin noch eine reelle Chance, dass sich im Ständerat der Anteil der Frauen positiv entwickelt.»
Engagement für die Frauenstimme
Für die Gesellschaft sei es elementar, dass Frauen ihre Erfahrungen, Anliegen und Lebensrealitäten in die politischen Diskussionen einbringen könnten. Entsprechend werde sich der SBLV auch weiterhin für die Erhöhung des Anteils im Parlament einsetzen, Frauen fördern und ihre Kandidaturen unterstützen. Und in den letzten vier Jahren seien doch verschiedene grundlegende Themen in ein breiteres Bewusstsein gerückt worden und auf den Tisch gekommen, so Gabi Schürch: «So zum Beispiel das Klima- und Innovationsgesetz, die AHV21, die BVG-Reform, Familienergänzende Kinderbetreuung und die Motion zur Verbesserung der Situation von Ehepartnerinnen und Ehepartnern sowie eingetragenen Partnerinnen und Partnern.»
Diese Themen seien also bekannt und müssten jetzt aktiv weiterverfolgt werden, erklärt die SBLV-Vizepräsidentin weiter. «Wir werden sie wie bis anhin aktiv bearbeiten und uns über persönliche Kontakte, Lobbying und Stellungnahmen einbringen. Für ein Vorwärtskommen stehen aber auch die Männer in der Verantwortung», ergänzt sie. In den letzten Jahren sei den Politikern, aber auch den landwirtschaftlichen Organisationen, stärker bewusst geworden, dass es notwendig sei, die Forderungen des SBLV für die Frauen in der Landwirtschaft zu unterstützen, erläutert Schürch: «Das sind insbesondere Themen wie Scheidung, Sensibilisierung, BGBB-Revision, Frauenvertretung, Anerkennung der wichtigen Rolle des SBLV und der Frauen im ländlichen Raum.»
Wendepunkt in der Frauenfrage?
Während sich der Schweizer Bauernverband, kantonale Bauernverbände und zahlreiche landwirtschaftliche Organisationen über den starken Zuwachs der bäuerlichen Vertreter freuen, werden die Vertreterinnen und die Sitzverluste auf Kosten der Frauen in ihren Mitteilungen kaum erwähnt. Und gerade auf Bundesebene markiert der diesjährige Rückgang beim Frauenanteil doch immerhin das Ende eines langanhaltenden Aufwärtstrends in den letzten Jahrzehnten. Gründe dafür dürften unter anderem die Zusammensetzung der Wahllisten sein. Da dürfte gerade die SVP massgeblich für den Rückgang mitverantwortlich sein, da sie mit nur gerade 25 Prozent den geringsten Anteil an weiblichen Kandidatinnen auf ihren Listen hatte. Sicher dürften die Stimmengewinne der SVP, die am meisten bäuerliche Vertreter im neuen Parlament stellt, den Schweizer Bauernfamilien bei agrarpolitischen Themen entgegenkommen. Soziale und gleichstellungspolitische Themen, die auch Bäuerinnen und Landfrauen umtreiben, stehen bei der SVP aber nicht zuoberst auf der Prioritätenliste. «Ich bin überzeugt, dass die SVP gerade auch bei diesen Wahlen feststellt, wie zentral das Engagement der Frauen in der Partei ist, und ich bin zuversichtlich, dass sich – gerade mit der Wahl jüngerer Exponentinnen – gleichstellungspolitisch auch die SVP in die richtige Richtung bewegen wird», zeigt sich Schürch aber zuversichtlich.
«Nach den Wahlen ist vor den Wahlen»
Der SBLV werde derweil seine seriöse Arbeit mit fundierten Argumenten weiterführen und themenbezogen einen guten Austausch mit den Parlamentariern aller Parteien pflegen. Dem breiten Netzwerk in der Landwirtschaft und in über 30 landwirtschaftlichen Organisationen werde weiterhin grosse Beachtung geschenkt und es werde laufend ausgebaut. «Und wir werden weiterhin Frauen stärken und ermutigen, sich zu engagieren. Beispielsweise mit einem modularen Lehrgang für Bäuerinnen und Landfrauen, die ihre Anliegen in Gremien wirkungsvoll und bedacht vertreten möchten», erklärt Gabi Schürch weiter.
Wichtig sei auch die Arbeit auf regionaler und kantonaler Ebene, ergänzt die SBLV-Vizepräsidentin: «Frauen sollen von Verbänden, Vereinen, Organisationen und Parteien für ein Amt angefragt werden – so können Erfahrungen gemacht und ein Netzwerk aufgebaut werden.» Denn ganz nach dem Motto «nach den Wahlen ist vor den Wahlen» müsse früh damit begonnen werden, sagt Schürch und ergänzt: «Zudem üben die gewählten Politikerinnen eine wichtige Vorbildfunktion aus. Auch dadurch kann es gelingen, Frauen für ein Engagement zu gewinnen.»
RENATE HODEL