«Loslassen ist eine Kunst»
28.06.2025 Aadorf, Tänikon33 Jahre lang war Daniel Bachmann als Seelsorger und Pfarrer in der katholischen Pfarrei Aadorf-Tänikon tätig. Nun geht er am 31. Juli in Pension. Am morgigen Sonntag findet sein Abschiedsgottesdienst statt. «Ich bin Seelsorger mit Leib und Seele», sagt er im ...
33 Jahre lang war Daniel Bachmann als Seelsorger und Pfarrer in der katholischen Pfarrei Aadorf-Tänikon tätig. Nun geht er am 31. Juli in Pension. Am morgigen Sonntag findet sein Abschiedsgottesdienst statt. «Ich bin Seelsorger mit Leib und Seele», sagt er im Interview.
Sie waren insgesamt 33 Jahre in Aadorf-Tänikon als Seelsorger tätig. Was hat die Pfarrgemeinde Aadorf-Tänikon, was andere Gemeinden nicht haben?
Daniel Bachmann: Es hat mir hier einfach sehr gut gefallen. Von den Menschen her, dem Kirchgemeinderat und dem Seelsorgeteam. Da stimmte alles. Und ich bin glücklich gewesen. Nach meiner Priesterweihe 1986 war ich sechs Jahre lang Vikar in Frauenfeld. Danach wurde ich überraschend von Aadorf kontaktiert, ob ich dort Pfarrer werden möchte. Ich bin gebürtiger Stadtluzerner und habe mich im Thurgau wohl gefühlt. Deshalb dachte ich, das wäre eine Chance, nicht gleich wieder die Wurzeln vollständig zu erneuern. So bin ich 1992 Pfarrer von Aadorf geworden, denn zu dieser Zeit gab es noch die zwei eigenständigen katholischen Kirchgemeinden Aadorf und Tänikon. Kurz darauf habe ich auch die Pfarrverantwortung und die priesterliche Leitung der damaligen Pfarrei St. Bernhard in Tänikon übernommen. Dann hat sich für mich die Gelegenheit ergeben, im Kantonsspital Frauenfeld interimistisch als Spitalpfarrer zu wirken. Ende 2004 habe ich deshalb das erste Mal als Pfarrer von Aadorf-Tänikon Abschied genommen.
Sie sind aber wieder zurückgekommen...
Genau. Ich muss dazu sagen, dass ich nach 2004 auch weiterhin liturgische Dienste in der Gemeinde leistete, einfach ohne Leitungsfunktion. Ganz zurückgekehrt bin ich 2010, im Zuge der problematischen Situation mit dem damaligen Pfarrer.
Im genannten Jahr wurde der ehemalige Pfarrer* von Aadorf-Tänikon von der Polizei abgeholt. Warum, konnte man in der Presse lesen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Es war ein Schock. Wir befanden uns im freien Fall. Als Spitalseelsorger hatte ich eine Ausbildung in Krisenintervention – das hat mir sehr geholfen.
Das kam alles so plötzlich. Wir hatten am Vorabend noch eine gemeinsame Sitzung und am nächsten Tag wurde er weggebracht. Niemand wusste etwas Konkretes. Er konnte sich nicht von der Gemeinde verabschieden. Auch lange danach haben viele Menschen nach ihm gefragt. Ich erinnere mich nicht gerne an diese Zeit zurück – das ist immer noch eine offene Wunde. Das Gute, was daraus entstanden ist: Diese Krise hat uns als Kirchgemeinde erst recht gefestigt.
Sie amteten als Pfarradministrator, bis 2011 mit Kenneth Ekeugo ein neuer Pfarradministrator gefunden war. Der nigerianische Seelsorger blieb aber nur knapp drei Jahre. Sie haben dann 2014 abermals das Ruder übernommen. Warum?
Dem damaligen Kirchenpräsidenten habe ich dargelegt, dass es wichtig ist für die Pfarrei eine Konstante zu schaffen mit einer verantwortlichen Person. Darum war ich bereit, nach dem Weggang von Kenneth Ekeugo für ein Jahr, zusätzlich zu meiner Tätigkeit als Spitalpfarrer, als Pfarradministrator zu wirken. Anschliessend wollten die Menschen in Aadorf und Tänikon, dass ich definitiv in die Pfarreiarbeit zurückkehre. Ich habe mich dazu bereit gefühlt und bin dann ab Sommer 2015 geblieben. Das passte auch zur Bitte von Bischof Felix Gmür, der mir nach Ostern 2014 vorschlug, mittelfristig wieder als Pfarrer in einer Pfarrei zu arbeiten.
Katholisch rechtlich sind Sie aber immer noch Pfarradministrator, nicht Pfarrer. Wo liegen die Unterschiede?
Das stimmt. Pfarradministrator ist der kirchenrechtliche Begriff. Im praktischen Alltag bin ich Pfarrer. Der Pfarradministrator hat die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Pfarrer, aber es handelt sich dabei nicht um eine kanonische Wahl. Vielmehr ist es ein gegenseitiges Provisorium von unbekannter Dauer. In meinem Fall waren das jetzt zehn Jahre. Das ist schon überdurchschnittlich lang.
Was waren die positiven Momente, die Ihnen in Ihrem Amt in Erinnerung geblieben sind?
Ich bin Seelsorger mit Leib und Seele. Und das, obwohl ich nie Theologie studieren und Priester werden wollte. Ursprünglich hatte ich angefangen, Medizin zu studieren. Seit 39 Jahren bin ich jetzt mit den Menschen unterwegs – ein Grossteil davon in dieser Gemeinde. Das ist wunderbar und faszinierend. Natürlich ist es so: Allen Leuten recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann. ist es schwierig, das in der Universalkirche umzusetzen. Einerseits ist diese grosse Vielfalt in einer weltumspannenden Gemeinschaft ein Vorteil. Gleichzeitig eine Herausforderung, weil in diesen Fragestellungen völlig unterschiedliche Meinungen vorherrschen. Es muss möglich sein, hier einen Konsens zu finden.
Haben Sie Ihre Berufung nie infrage gestellt? Beispielsweise als die ganze Vertuschung rund um den sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche ans Licht gekommen ist?
Das hat mich natürlich sehr traurig gemacht. Die Kirche als absolut perfekte heile Welt. Was nicht sein kann, darf nicht sein. Doch die 2023 veröffentlichte Missbrauchsstudie hat gezeigt, es ist gemauschelt worden. Das hat mich ebenso erschüttert, wie die Missbräuche selber. Ich kann nachvollziehen, warum die Kirche in der Öffentlichkeit nicht mehr so einen guten Ruf hat. Trotzdem tut mir das auch weh. Es war für die Kirche insofern heilsam, zu sehen, dass Seelsorger keine Übermenschen sind und genauso Schuld auf sich laden können. Doch solche Übergriffe sind ein No-Go, insbesondere gedeckt durch den Mantel einer Institution, die eine solch rigide Sexualmoral vertritt. Doch meine Berufung habe ich deshalb nie angezweifelt. Ich bin Pfarrer geworden, um für die Menschen da zu sein. Dafür brenne ich auch heute noch.
Sie waren rund elf Jahre als katholischer Spitalseelsorger am Kantonsspital Frauenfeld tätig. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?
Für mich war das eine faszinierende Erfahrung, weil ich ja eigentlich Arzt werden wollte. Ich habe das mit Herzblut gemacht. Als Spitalseelsorger muss man sehr spontan und flexibel sein. Durch diese Arbeit habe ich gelernt, Geduld zu haben und loslassen zu können. Man begleitet Menschen, die eine schwierige Diagnose bekommen haben, was unterschiedliche Gefühle auslöst. In diesem Prozess muss immer wieder neu entschieden werden, wie es weitergehen soll. Ich habe Hunderte von Menschen in den Tod hinein begleitet. Diese Momente sind natürlich schwer, können aber auch etwas Versöhnliches und Hoffnungsvolles in sich tragen.
St. Aurelia wird zusammen mit drei anderen Pfarreien ab dem 1. August zur «Katholischen Kirche Hinterthurgau». Was bedeutet das für die Zukunft der Pfarrei?
Es ist ein neuer Weg. Ich glaube fest daran, dass es ein guter Weg ist. Die Vision «Dual kongruent» der katholischen Landeskirche Thurgau möchte die Pfarreien auch in Zukunft als lebendige kirchliche Orte gestalten. Dazu soll die duale Kirchenstruktur von Pfarreien und Kirchgemeinden wieder deckungsgleich werden. Jede Kirchgemeinde soll eine Pfarrei umfassen. Ein wichtiger Bestandteil dieser Vision sind sogenannte Netzwerker in den Pfarreien. Sie sollen Verbindungen unter den Menschen schaffen, aber auch zum Seelsorgeteam der «katholischen Kirche Hinterthurgau». Vor Ort wird Cornel Stadler als engagierter Netzwerker das Leben in unserer Pfarrei koordinieren und mit Impulsen bereichern. Das übergeordnete Seelsorge-Team unter der Leitung von Petra Mildenberger und mit P. Gregor Brazerol als leitendem Priester wird die liturgischen Feiern und Dienste gestalten. Es wird eine Veränderung. Aber Veränderungen bergen auch Chancen.
Jüngst wurde das Pfarrhaus in Tänikon an die derzeitigen Mieter verkauft. Ein guter Entscheid?
Ja, ein sehr guter Entscheid. Ich bin erstaunt gewesen, dass das vorher von einer Kirchbürgerin in der Presse negativ kommentiert wurde, ohne das vorgängig mit dem Kirchengemeinderat, dem ich auch angehöre, Kontakt aufgenommen wurde. Aber das ist Demokratie. Schlussendlich hat der Bericht aber auch dazu geführt, dass 126 Personen an die Kirchgemeindeversammlung kamen, normalerweise sind so um die 50 anwesend. Der Verkauf wurde deshalb von vielen Kirchgemeindemitgliedern gestützt und mit grosser Mehrheit gutgeheissen.
Morgen, am 29. Juni, findet in der Klosterkirche St. Bernhard in Tänikon um 16.15 Uhr Ihr Abschiedsgottesdienst statt. Wie sehen Sie diesem entgegen?
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Loslassen ist eine Kunst. Doch es muss sein. Ich bin jetzt 66 Jahre alt und es tut gut, die Verantwortung abzugeben. Ich habe mich 33 Jahre lang nie geschont. Ich freue mich darauf, mehr Zeit für andere Tätigkeiten zu haben. Trotzdem bleibe ich der Kirche verbunden – ab dem 1. August dann als «Freelancer für den liturgischen Dienst». Ich bin gespannt auf den Abschiedsgottesdienst. Das ist übrigens ein ganz besonders Datum für mich. Am 29. Juni 1986 habe ich in der Franziskanerkirche in Luzern meine Primiz gefeiert und nun feiere ich 39 Jahre später am selben Tag meinen Abschied. Es wird emotional. Aber ich bin dankbar und sehe die Zukunft positiv.
Haben Sie schon Pläne für Ihren Ruhestand?
Ganz viele. Ich habe allein durch meine Hündin Ella einen strukturierten Tagesablauf. Dann bin ich im «hohen Alter» am Promovieren. Damals habe ich aufgrund meiner pastoralen Tätigkeit meine wissenschaftliche Forschungsarbeit auf Eis gelegt. Es ist eine Herausforderung, aber ich möchte das nun durchziehen. Ich habe keine Lust meine Doktorwürde mit dem Rollator zu empfangen. Zudem habe ich mich sehr darüber gefreut, dass ich nun das erste Mal seit Jahren spontane Ferien buchen konnte. Ella kommt natürlich auch mit.
SARAH STUTTE
Der persönliche Abschied von Daniel Bachmann kann auf der Webseite der Katholischen Pfarrei St. Aurelia nachgelesen werden: aadorf-taenikon.kath-tg.ch