Links
17.09.2022 KolumneAn der Sitzung vom 29. August stimmten 70 von 180 Zürcher Kantonsrätinnen und Kantonsräten für die Dringlichkeit eines Postulates von drei SVP-Fraktionsmitgliedern. Es fordert eine Untersuchung der politischen Neutralität von Mittel- und Berufsschulen. Ausgehend von einer Maturarbeit von Aargauer Gymnasiasten steckt die Frage dahinter, ob auch im Kanton Zürich die Mittelschülerinnen, die Lehrerschaft mehrheitlich als «links» einschätzen würde. Man reibt sich die Augen, aber die Postulanten meinen das offenbar ernst. Sie scheinen auch zu wissen, was links ist und was Schüler als links einschätzen. Zum Beispiel Genderfragen oder die Gegnerschaft zum Kampfjet F35? Inhaltlich entschieden ist im Kantonsrat noch nichts, die Abstimmung über die Überweisung folgt erst im zweiten Schritt. Aber ja, vielleicht würde in der Untersuchung auch untersucht, wie viele Lehrerinnen «rechtes» Gedankengut pflegen oder gar keines oder anthroposophisches oder freikirchliches. Ich denke auch daran, dass wir schon lange gerne gewusst hätten, ob Polizisten mehrheitlich repressiv gesinnt sind oder ob Zahnärzte meist Sadisten sind und Coiffeure schwul.
Im Ernst: Bisher war ich der Meinung, unser Schulwesen hätte andere Probleme. Es herrschen nicht solche mit der politischen Einstellung von Lehrpersonen, sondern wir könnten froh sein, es gäbe überhaupt genug davon. Deshalb wäre es dringlich, nicht ihr Hirn zu röntgen, sondern sich Gedanken darüber zu machen, wie wieder gute und motivierte Berufsleute gewonnen werden könnten. Da gibt es sinnvollere Vorstösse, zum Beispiel jenen unseres ehemaligen Gemeindepräsidenten und Sekundarlehrers zur Stärkung von Klassenlehrpersonen. Ich habe die Stimmen von vielen Bekannten und Freunden im Ohr, die gar nicht so viel fordern, sondern rufen: «Lasst uns einfach Schule geben.» Sie sprechen damit die Entlastung von Administrativem an, die teils übertriebene Einmischung von Eltern, die Klassengrössen oder das integrative System, das an die Grenzen stösst. Auch die teils formalistischen Bedingungen für die Quereinsteigerausbildung könnten sich die zuständigen Ausbildungsstätten und die Stellen des Kantons mal zur Brust nehmen. Mit all dem würde mehr für unsere Schulen und unsere Kinder und Jugendlichen erreicht werden als mit Gesinnungsvorstössen.
Ich selbst bin übrigens nicht von «linken» Lehrern traumatisiert. Mein erster in der Unterstufe war ein Militärkopf, der viel herumschrie, wie wenn wir Rekruten wären; mein zweiter in der Mittelstufe konnte gut Schule geben, war aber ein brutaler Schläger. Die beiden Sekundarlehrer waren nicht links, aber gute, fähige Lehrer (und später wie ich auch Kantonsräte). Vor allem der Vater des oben Erwähnten förderte mein Interesse für Geschichte und politische Zusammenhänge. Dass ich später der SP beitrat, hat er nicht zu verschulden. Der grösste Skandal im Zürcher Bildungswesen sei auch noch erwähnt: die schwarze Liste des früheren Bildungsdirektors Gilgen, der Linke und alles, was er als links einstufte, schon gar nicht in den Schuldienst liess.