Vor bald 50 Jahren besuchte ich das Langzeitgymnasium in Winterthur. Es war anfangs eine recht grosse Umstellung, jeden Morgen vor 7 Uhr den Zug zu nehmen und mich an einer Schule mit weit über 1000 Schülerinnen und Schülern zurechtzufinden. Doch meine ...
Vor bald 50 Jahren besuchte ich das Langzeitgymnasium in Winterthur. Es war anfangs eine recht grosse Umstellung, jeden Morgen vor 7 Uhr den Zug zu nehmen und mich an einer Schule mit weit über 1000 Schülerinnen und Schülern zurechtzufinden. Doch meine Erinnerungen an diese Zeit sind weitgehend positiv. Ich ging gerne zur Schule, und zum Glück hatte ich trotz Hausaufgaben weiterhin Zeit, täglich eine Stunde Tennis zu spielen, die Jugendriege in Elgg zu besuchen und meine Freundschaften zu pflegen.
Im Landboten erschien kürzlich ein Artikel mit dem Titel «Mein Sohn geht ins Gymi: Es ist der Himmel – und die Hölle». Dort beklagt sich ein Vater, dass sein 12-jähriger Sohn im Langzeitgymnasium täglich bis weit in den Abend hinein Hausaufgaben machen muss. An jedem Sonntag üben die Eltern mindestens 5 Stunden mit ihrem Sprössling und eine Grosstante als Nachhilfelehrerin wurde auch noch beigezogen. Der Knabe hat alle seine Hobbys aufgegeben und leidet wegen schlechten Noten an Kopfschmerzen. Das Familienleben leidet: Alles dreht sich nur noch um den Sohn.
Beim Lesen dieses Artikels bekam auch ich Kopfschmerzen. Warum ziehen die Eltern nicht die Konsequenzen? Geht es um Prestigedenken? Muss es unbedingt das Langzeitgymnasium sein?
Im Kanton Zürich kann man nach zwei Jahren Sekundarschule ohne Verlust eines Jahres ins Gymnasium eintreten. Dieser Weg ist für die meisten Schülerinnen und Schüler, welche die Matura anstreben, sinnvoller. Wie es übrigens auch kein Beinbruch ist, wenn das Kind nach der Primarschule ins Niveau B eingeteilt wird. Im Gegenteil. Ich stelle immer wieder fest, dass Schülerinnen und Schüler mit guten B-Noten schneller zur gewünschten Lehrstelle kommen als solche mit schlechten Noten aus der Sek A. In der Bildung gilt: Viele Wege führen nach Rom. Ich kenne ganz viele junge Erwachsene, die nach der Sekundarschule, der BMS oder einer Fachhochschule eine höchst erfolgreiche Berufskarriere einschlagen.
Überehrgeizige oder schlecht informierte Eltern sehen dagegen für ihr Kind oft nur den Weg ins Langzeitgymnasium, welchen sie mit Vorbereitungskursen und Büffeln an Wochenenden über Gebühr pushen. Im Kanton Zürich hat man – im Gegensatz zum Thurgau – die Qual der Wahl: Langzeitgymnasium oder Sekundarschule. Bei diesem Entscheid sollten die Eltern die Pros und Contras sorgfältig abwägen und stets das Wohl, die Fähigkeiten und den Entwicklungsstand ihres Kindes im Auge behalten.
Es ist gut, dass Eltern und Lehrpersonen die Kinder fördern und von ihnen einiges fordern. Doch manchmal ist es auch zu viel. Übermässiger Druck und Stress kann sich kontraproduktiv auswirken. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.