Krieg in der Sprache
10.02.2024 KolumneEs ist selbstverständlich, dass wir nicht mehr Fräulein und Krankenschwester sagen. Auch im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen wählen wir eine behutsamere Sprache. Man sagt zum Beispiel nicht mehr taubstumm und schon gar nicht mongoloid. Eine gewisse Süssigkeit ...
Es ist selbstverständlich, dass wir nicht mehr Fräulein und Krankenschwester sagen. Auch im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen wählen wir eine behutsamere Sprache. Man sagt zum Beispiel nicht mehr taubstumm und schon gar nicht mongoloid. Eine gewisse Süssigkeit wird neu Schokokuss oder ähnlich genannt.
In einer nachdenklichen Phase angesichts all der schrecklichen Kriege in der Ukraine, im nahen Osten und weniger beachtet auch anderswo, ist mir aber aufgefallen, wie viele Worte und Ausdrücke im alltäglichen Sprachgebrauch in einer Selbstverständlichkeit gebraucht werden, die aus dem Kriegsgeschehen stammen. Folgende Beispiele mögen das veranschaulichen:
• Die Vorlage des Bundesrates zum Thema xy ist «unter Beschuss» geraten.
• Das Thema sowieso hat gar «Sprengkraft».
• Die Parteien liefern sich dazu «Grabenkämpfe».
• Ein «Trommelfeuer» von Argumenten wird verwendet.
• Die Genderdiskussion ist ein «Minenfeld».
• Der Auftritt auf dem Podium war für Kandidat N.N. ein einziger «Spiessrutenlauf».
• Oder im Sport: Die unterlegene Fussballmannschaft war «Kanonenfutter» für die Siegerin.
Ich kann mir das nur so erklären, dass vor allem die beiden Weltkriege sowie die alltägliche Berichterstattung in den Medien über all die gewalttätigen Konflikte auf dieser Welt unsere Sprache sehr beeinflussten und immer noch prägen. Aber muss das denn sein? Klar Können wir mit bedachterer Sprache nicht unmittelbar zum Weltfrieden beitragen. Doch wir könnten immerhin die Ausdrücke von der Kriegsfront dort lassen, wo sie hingehören. Und eine friedlichere Sprache könnte mindestens zum Dämpfen von Aggressionspotenzial beitragen.
Auch politischer Anstand hat mit Sprachgebrauch zu tun. Formuliert ein politischer Gegner scharf, braucht man ihn deshalb nicht «Scharfschütze» zu nennen. Man kann zum Beispiel seine Argumente als übertrieben, verfehlt oder verletzend und zynisch bezeichnen. Nur, wir wissen es: Die Zuspitzung und Provokation bringt Beachtung und Presse.
Von wegen Krieg bin ich kürzlich auf das sehr eindrückliche Gedicht «’s ist Krieg» von Matthias Claudius gestossen (1778; viel bekannter ist sein Abendlied «Der Mond ist aufgegangen …»). Ich kommentiere es nicht weiter, aber lesen Sie es (s. Box) mit Blick auf das Weltgeschehen und die gegenwärtige Schweizer Neutralitätspolitik!
’s ist Krieg
’s ist Krieg! ’s ist Krieg!
O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre,
Nicht schuld daran zu sein!
Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blass,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?
Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten und mir fluchten
In ihrer Todesnot?
Wenn tausend tausend Väter, Mütter,
Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?
Wenn Hunger, böse Seuch und ihre
Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich’ herab?
Was hülf mir Kron’ und Land und
Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
’s ist leider Krieg – und ich begehre,
Nicht schuld daran zu sein!