Katzengeschichten
21.06.2025 KolumneSchaffen Sie es noch, Bekannte und Freunde zu treffen, ohne unweigerlich beim aktuellen Kriegsgeschehen, Amokläufen oder Bergstürzen zu landen? Kaum, oder? Es ist deprimierend. Wie viele hören ich schon sagen, dass sie gar keine Nachrichtensendungen mehr schauen oder Zeitung lesen! ...
Schaffen Sie es noch, Bekannte und Freunde zu treffen, ohne unweigerlich beim aktuellen Kriegsgeschehen, Amokläufen oder Bergstürzen zu landen? Kaum, oder? Es ist deprimierend. Wie viele hören ich schon sagen, dass sie gar keine Nachrichtensendungen mehr schauen oder Zeitung lesen! Auch das ist eigentlich erschreckend! Darf man da über ein Wesen schreiben, das gar nichts tut? Weder sprechen noch sich ärgern noch Fernsehen noch Dorfklatsch austauschen, sondern das sich geheimnisvoll, lautlos und scheinbar ziellos unter Menschen bewegt? – Ja, man soll! Damit man diese Welt überhaupt noch aushält! Ich spreche von der schwarzen Katze, der Heimkatze im Pflegezentrum Eulachtal. Ich bin ihr in all den Jahren, in denen ich meine Mutter schon besuche, unzählige Male begegnet. Ich weiss nicht, ob das Heimbüsi einen Namen hat. Nennen wir sie Nera. Sie bewegt sich im Heim mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit und Sicherheit. Nera beherrscht es, durch die Eingangsschleuse zu huschen, wenn Besuchende kommen oder gehen. Sie fährt routiniert Lift, ohne in der Tür eingeklemmt zu werden und ist so auf allen Stockwerken zu Hause. Lieblingsbewohnerinnen hat sie meines Wissens keine, lässt sich auch nicht vereinnahmen. Mal streicht sie um die Beine, lässt sich kraulen, mal ist sie launisch und kratzt. Aber sie ist einfach da, braucht nicht über die Welt zu klönen noch sich Gedanken zu machen darüber, ob die Person, die ihr gerade über das Fell streicht, Sorgen hat, Angst vor dem Sterben oder grübelt, ob sie lange im Heim wird bleiben müssen.
Man könnte auch auf abergläubische Ideen kommen. Denn schwarze Katzen verheissen im Aberglauben je nach Situation Unglück. Dass jemand das so empfunden hätte, ist mir noch nie aufgefallen und habe ich im Heim auch noch nie gehört. Es ist vielmehr so, dass diese bedingungslose, unkomplizierte und zu nichts verpflichtende Präsenz eines Tieres offensichtlich einfach gut tut. Ich habe auch beobachtet wie eine Heimbewohnerin, die gesundheitlich schwer angeschlagen war, sich unglaublich gefreut hat, wenn Ehemann und Sohn mit dem Hund zu Besuch kamen. Für das Tier und für die Freude über seine Zuwendung spielt es dabei absolut keine Rolle, ob die Kontaktperson im Kopf noch ganz beieinander ist oder wie sie körperlich zwäg ist oder ob sie im Rollstuhl sitzen muss. Tiere und Katzen speziell haben ein eigenes Sensorium (von Bewusstsein wird man nicht sprechen dürfen), zu wem sie sich begeben und wo sie sich hinlegen sollen. Klar, manchmal haben sie schlicht Hunger und geben mit Charmeattacken zu verstehen, dass es Zeit für einen Happen ist. Bilden wir uns nicht ein, dass sie die reine Liebe mit uns verbindet.
Was hat das mit meinen Eingangssätzen zu tun? Wir könnten lernen, dass es oft kein langes Reden, keine Vorleistungen, keine Erwartung von Gegenliebe und schon gar keine Gewalt bräuchte, um das Verhältnis zu Mitmenschen und Nachbarn zu gestalten. Es bräuchte wohl mehr Sensorium für das Gegenüber, mehr Eigenheiten von Nera.
Welche Eigenheiten ich aktuellen Präsidenten und Diktatoren zuschreiben würde und was ich ihnen wünsche, überlasse ich Ihren Gedanken, liebe Leser und Leserinnen.