Initiative fordert das Bio-Land Schweiz in der Tierhaltung
10.09.2022 AbstimmungenDass die Schweiz eines der weltweit strengsten Tierschutzgesetze hat, geht den Initianten der Massentierhaltungsinitiative zu wenig weit. Der Bund müsse strengere Mindestanforderungen festlegen, die den Bio-Suisse-Richtlinien entsprechen. Für die Gegner eine unnötige Initiative, die uns teuer zu stehen käme.
Am 25. September hat die Schweizer Stimmbevölkerung über die Massentierhaltungsinitiative abzustimmen. Gemäss den Unterlagen von Bundesrat und Parlament habe die Schweiz eines der weltweit strengsten Gesetze zum Schutz der Tiere. Ihre Würde und das Wohlergehen seien geschützt, unabhängig davon, wie viele an einem Ort gehalten werden. Der Bund fördere ausserdem landwirtschaftliche Produktionsformen, die besonders naturnah, umwelt- und tierfreundlich seien. Das schreibt die Verfassung vor. Immer mehr Nutztiere leben in speziell tierfreundlichen Ställen und haben regelmässigen Zugang ins Freie.
Die Initiative will den Schutz der Würde von Nutztieren wie Rindern, Hühnern oder Schweinen in die Verfassung aufnehmen. Ausserdem soll die Massentierhaltung verboten werden, weil man dabei das Tierwohl systematisch verletze. Der Bund müsste strengere Mindestanforderungen festlegen für eine tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den Zugang ins Freie, die Schlachtung und maximale Gruppengrösse pro Stall. Diese Anforderungen sollten mindestens den Bio-Suisse-Richtlinien von 2018 entsprechen und alle Landwirtschaftsbetriebe müssten sie bei der Tierhaltung einhalten. Die Anforderungen gelten auch für den Import von Tieren und Tierprodukten wie von Lebensmitteln mit tierischer Herkunft.
Grundbedürfnisse der Tiere missachtet
Für eine Annahme der Initiative, die aus der Tierschutzecke kommt, sind SP, Grüne und GLP. Laut Initiativkomitee würden die Grundbedürfnisse der Tiere bei der Massentierhaltung in praktisch allen Belangen missachtet. Grosse Gruppen von Individuen würden auf engstem Raum zusammengepfercht und hätten meist keinen Zugang ins Freie. Trotz ihrer Leidensfähigkeit würden Tiere nicht als Lebewesen, sondern als Produkte betrachtet – entgegen den Werbebildern der Milch- und Fleischlobby. Die Befürworter führen auch Gesundheitsrisiken ins Feld, denn die industrielle Tierproduktion führe zu höheren Krankheitsrisiken, mehr Keimen und einem höheren Antibiotika-, beziehungsweise Medikamenteneinsatz. Indirekt trage die industrielle Tierproduktion zu Problemen betreffend Gesundheit bei, indem sie mit Billigfleisch den Konsum fördere.
Wie die InItianten auf ihrer Website schreiben, wären gemäss Bundesrat nur rund fünf Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe von der Initiative betroffen. Dazu gehörten vor allem die grossen, fabrikähnlichen Mastbetriebe, die bis zu 27’000 Hühner, 1500 Schweine oder 300 Rinder in einem Stall halten. Hauptprofiteure des heutigen Systems seien die Futtermittelfabrikanten und -händler sowie Grossverteiler, beziehungsweise Micarna und Bell mit ihren Schlachthöfen und Fleischverarbeitungsindustrien. Die bodenunabhängige industrielle Tierproduktion sei nicht auf Landwirtschaftsland angewiesen. Es stelle sich die Frage, wieso Masthallen auf Kulturland gebaut werden dürfen und nicht in die Industriezone gehören.
Für die Befürworter der Initiative ist klar, dass diese eine zukunftsfähige Landwirtschaft sichere. Tierprodukte seien schliesslich für 85 Prozent aller Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft verantwortlich. Die industrielle Tierproduktion führe zudem zu lokal erhöhten Ammoniak- und Lärmemissionen. Aktuell importiere die Schweiz 1,4 Millionen Tonnen Futtermittel pro Jahr. Dies erlaube es, viel mehr Tiere zu halten, als standortangepasst im Land wären. Die Schweiz könne ihrem Selbstverständnis einer ressourcenschonenden, tierfreundlichen Landwirtschaft gerecht werden, indem Tiere wieder vermehrt auf Grasland gehalten und der Import von Futtermitteln reduziert werde.
Strenges Gesetz, umfassende Kontrollen
Eine systematische Verletzung des Tierwohls sehen die Gegner aus SVP, FDP, EDU, Die Mitte und einer Allianz von über 100 Firmen, Verbänden und Genossenschaften nicht. Die Tierhaltung in der Schweiz sei kleinstrukturiert, basiere auf dem strengsten Tierschutzgesetz der Welt und werde umfassend kontrolliert. Der von der Initiative geforderte Standard existiere mit dem Bio-Angebot und anderen Tierwohllabels bereits. Es sei zudem absolut nicht stufengerecht, ja geradezu absurd, die Anforderungen eines privatwirtschaftlichen Labels in die Bundesverfassung zu schreiben. Das Angebot sei heute in vielen Bereichen höher als die Nachfrage. So liessen sich beispielsweise nur 30 Prozent aller Mastschweine über ein Tierwohllabel mit Mehrwert verkaufen, obwohl über deren 60 in einem besonders tierfreundlichen Stall leben und auch nach draussen können. Als weiteres Gegenargument führen die Initiativgegner ins Feld, dass der geforderte Bio-Standard mit hohen Mehrkosten in der Produktion verbunden sei. Tierische Lebensmittel würden sich je nach Produkt um 20 bis 40 Prozent verteuern und das Portemonnaie der Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten mit rund 1800 Franken im Jahr zusätzlich belasten. Und: Weil sich das nicht alle leisten können oder wollen, würde der Einkaufstourismus angekurbelt.
Die Initiative sehe vor, dass für Importe von tierischen Produkten ebenfalls strengere Regeln gelten sollen. Das wäre eine klare Verletzung der Verpflichtungen gegenüber der WTO. Es sei anzunehmen, dass sich bei den Importen schlussendlich keine gleichwertigen Tierschutzvorgaben durchsetzen liessen. Und nicht zuletzt müssten die betroffenen inländischen Tierbetriebe ihre Ställe vergrössern, mehrere kleinere bauen oder den Tierbestand reduzieren, weil die Anzahl Tiere pro Stall begrenzt würde und der verlangte Platz pro Tier viel grösser wäre. Dies aber sei aufgrund der raumplanerischen Vorgaben kaum mehr möglich.
RENÉ FISCHER