Gerechtigkeitsinitiative und Gegenvorschlag
12.11.2022 AbstimmungenDie Zürcher SVP will höhere Steuerabzüge und damit mehr Gerechtigkeit schaffen. Mit der Gerechtigkeitsinitiative soll der Mittelstand angesichts der steigenden Krankenkassenprämien entlastet werden. Die Räte reagierten mit einem Gegenvorschlag darauf. Sollten beide Vorlagen angenommen werden, entscheidet die Stichfrage.
ABSTIMMUNG Die SVP-Volksinitiative «Gerechtigkeit schaffen – KranKenkassen-Prämienabzug der Realität anpassen» (Gerechtigkeitsinitiative) verlangt eine Erhöhung des steuerlichen Abzugs für Versicherungsprämien und Zinsen von Sparkapitalien um 1000 Franken je erwachsene Person und um 200 pro Kind. Der Abzug soll laut Abstimmungsunterlagen nicht mehr nach dem Landesindex der Konsumentenpreise, sondern nach der Entwicklung der Durchschnittsprämie der obligatorischen Krankenpflegeversicherung an die Teuerung angepasst werden. Unterstützt wird die initIative nebst der SVP von der EDU.
Gegenvorschlag des Kantons- und Regierungsrats
Kantons- und Regierungsrat sowie die restlichen Parteien lehnen die Volksinitiative wegen der hohen Steuerausfälle ab. Der Gegenvorschlag des Kantonsrates sieht eine erhöhung des Versicherungsprämienabzugs um 300 Franken pro erwachsene Person vor. Über die zwei Vorlagen wird am 27. November das Zürcher Stimmvolk entscheiden. Sollten beide angenommen werden, gilt das Ergebnis der Stichfrage. Die ablehnende Haltung gegen die Gerechtigkeitsinitiative wird unter anderem eben mit den jährlichen Ausfällen der Einkommenssteuern bei Kanton und Gemeinden begründet: je rund 150 Millionen Franken laut Abstimmungsunterlagen. Die Anpassung des Abzugs an die Krankenkassenprämien würde zudem die Finanzhaushalte des Kantons und der Gemeinden zusätzlich belasten. Die geplante Erhöhung des Abzugs für Kinder sei nicht erforderlich, da ihre Krankenkassenprämien mit dem heutigen Betrag in der Regel bereits voll gedeckt seien.
Mit der Annahme des Gegenvorschlags müssten Kanton und Gemeinden mit je rund 45 Millionen Franken Steuerausfällen rechnen, was tragbar sei. Zudem ergebe sich für ein Ehepaar mit zwei Kindern im Vergleich mit den Nachbarkantonen ein relativ hoher Abzug. Die Anpassung dessen nach dem gleichbleibenden Index sei für Steuerzahlende und Budgetplanung übersichtlicher.
Der SVP reicht der Gegenvorschlag nicht
Der erst kürzlich verkündete Prämienschock von durchschnittlich happigen 6,6 Prozent – im Kanton Zürich gar deren 7,1 – sitzt tief und trifft den Mittelstand mit voller Wucht. Ist das Wasser auf die Mühlen der Schweizerischen Volkspartei und deren Initiative? Nun, das wird sich zeigen müssen. Laut SVP sei das System für Zürcherinnen und Zürcher jedenfalls ungerecht: Die Bevölkerung zahle im Vergleich zu allen Nachbarkantonen die höchsten Krankenkassenprämien, könne aber im Vergleich zum Thurgau, Zug, St. Gallen, Schwyz und Aargau am wenigsten von der Steuer abziehen. Denn trotz den deutlich gestiegenen Prämien blieb der Abzug in der Steuererklärung über die letzten Jahre unverändert bei 2600 Franken pro Erwachsenen und deren 1300 je Kind.
Die Initianten sprechen von versteckten Steuererhöhungen und liefern ein Beispiel nach: Sind die Krankenkassenprämien einer vierköpfigen Familie über die letzten zehn Jahre um 5000 Franken angewachsen und hat dieselbe Familie eine ebenso hohe Lohnsteigerung erfahren, habe sie heute zwar gleich viel Geld zum Leben. Sie zahle aber auf den Mehrverdienst zusätzlich Steuern, obschon von diesem faktisch nichts für die Familie übrig bleibe. Mit der Annahme der Initiative würde sich das ändern und der Kanton Zürich damit ähnlich faire Bedingungen für die Bevölkerung schaffen, wie es in den umliegenden Kantonen auch der Fall sei.
Dem Gegenvorschlag kann die SVP nicht viel abgewinnen. Sie signalisiert zwar, dass er ein Schritt in die richtige Richtung sei, damit aber keine wirkliche Gerechtigkeit geschaffen werde. Auch sehe er für die Zukunft keine weitere Anpassung des steuerabzugs und auch keine höheren Abzüge für die Kinder vor. «Bereits der aktuelle Prämienschock frisst die 300 Franken des Gegenvorschlags sofort wieder auf», ist auf der InItiativwebsite nachzulesen. Damit die «Gerechtigkeit» auch in Zukunft gewährleistet bleibt, verlangt der Initiativtext zudem, dass der Steuerabzug der Prämienentwicklung angepasst wird. Steigen die Prämien, erhöht sich auch die Abzugsberechtigung.
RENÉ FISCHER