Eine reife Leistung für sein Reifezeugnis
22.12.2022 Guntershausen, AadorfMit seiner Maturarbeit «Internierte im Thurgau während des Zweiten Weltkrieges» verblüfft der 18-jährige Maturand Andrin Töngi aus Guntershausen. Zugänglich ist die Arbeit auch der Öffentlichkeit.
Dass im August 1940 rund 250 ...
Mit seiner Maturarbeit «Internierte im Thurgau während des Zweiten Weltkrieges» verblüfft der 18-jährige Maturand Andrin Töngi aus Guntershausen. Zugänglich ist die Arbeit auch der Öffentlichkeit.
Dass im August 1940 rund 250 Franzosen im Saal der Restaurants Linde und Falken sowie 40 im «Aatal» vorübergehend aufgenommen wurden und Marianne Sulzer im November die «Rootfarb-Wiese» zur Unterbringung der Internierten an die Armee verpachtete, sind schon bemerkenswerte Ereignisse. Auch dass dort ein Lager von 18 Baracken mit 450 Plätzen für rund 250’000 Franken zu stehen kam, eingezäunt mit Stacheldraht, ist eine weitere beachtliche Historie.
Kommt dazu: Nachdem die Franzosen in ihre Heimat zurückkehren konnten, trafen 562 Belgier anfangs 1941 im neugebauten Barackenlager ein. Eine Schiesserei und die Auflehnung gegen die Internierung erregten höchstes Aufsehen in der Schweizer Bevölkerung. Gemäss einem Polizeirapport hinterliessen die Internierten eine «Sauordnung» und wurden in ihre Heimat zurückgebracht. Mit einer Hetzkampagne wurde das Aadorfer Lager in der belgischen Presse gar verunglimpft.
Die Polen kamen
1941 wurden die Baracken abgebrochen. Darauf entstand ein kleineres Lager für rund 40 polnische Internierte, derweil höhere Armeemitglieder im «Sulzerhof» untergebracht wurden. Während den Kriegsjahren leisteten die meisten der insgesamt 10’400 Polen Arbeitseinsätze zugunsten der schweizerischen Landwirtschaft.
Darunter befanden sich auch viele jüdisch-gläubige polnische Soldaten, genauestens beobachtet vom Deutschen Reich. Rund 20 Juden waren im Kloster Tänikon untergebracht. Am Hang des nahen Haselbergs leisteten sie von frühmorgens bis abends Waldarbeiten. Erst bei Dunkelheit kehrten sie ins Kloster zurück, um einem Verrat zu entgehen. Ein «Polenweg» erinnert noch heute an die damaligen Geschehnisse.
Kaum bekannt sind nicht nur diese Ereignisse, sondern auch der sogenannte «Weiber-Zulauf»: Vorab an Sonntagen besuchten jeweils zahlreiche Frauen per Bahn oder zu Fuss das Lager in Aadorf. Augen hatten jedoch die Kontaktfreudigen nicht für die Schweizer Soldaten, sondern für die Internierten, was die Heerespolizei zum Einschreiten bewog und dem Treiben ein Ende setzte.
All das und vieles mehr lässt sich aus der umfangreichen Maturarbeit Andrin Töngis entnehmen. Mit der ausführlichen Familiengeschichte der Polachowskis endet das lesenswerte Narrativ des Verfassers aus Guntershausen. Ein Fundus, der nicht nur historisch Interessierte zu fesseln vermag.
Eine reife Maturarbeit
Die Maturarbeit ist zweifellos eine reife Leistung: Die 67 Seiten sind leichtfüssig zu lesen, die Hintergründe sorgfältig recherchiert und mit zuverlässigen Quellen mittels Fussnoten belegt. Den Vorgaben der Mittelschule, nämlich ein Thema mit klaren Konturen zu erarbeiten, den Stoff gedanklich zu durchdringen und strukturieren, ist der junge Mann bestimmt gerecht geworden. Nächsten Sommer wird er das Maturazeugnis in Empfang nehmen können. Ob er für sein gelungenes Werk noch eine besondere Auszeichnung erhält, bleibt offen. Interessierte Leser hingegen müssen sich nicht länger gedulden: Das mit zahlreichen Dokumenten und Bildern bereicherte Werk kann ab sofort in der Aadorfer Bibliothek ausgeliehen oder in der nahen Buchhandlung Büecherchorb.ch zu Entstehungskosten gekauft werden.
KURT LICHTENSTEIGER
Interview
FRAGE: ANDRIN, WIE BIST DU AUF DAS THEMA GESTOSSEN? FAST NAHELIEGEND, DASS BILDHAUER ROMUALD POLACHOWSKI SPIRITUS RECTOR WAR.
Antwort: Das trifft zu. Ein Zeitungsartikel hat mich dazu bewogen, den Ortsansässigen zu kontaktieren. Seine Ausführungen faszinierten mich, worauf ich beschloss, meine Maturaarbeit über die bewegten 40er-Jahre des letzten Jahrhunderts zu schreiben, zumal mich die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges schon immer interessierten.
EINEN WICHTIGEN BESTANDTEIL DEINER MATURAARBEIT HAST DU MIT DIESEM PROJEKT ERFÜLLT. WAS STEHT NOCH BEVOR?
Die 4. Klasse des Gymnasiums an der Kanti Frauenfeld endet nächsten Sommer. Zuvor gilt es, die schriftlichen und mündlichen Prüfungen in 13 Fächern zu bewältigen. Ausruhen kann ich also nicht.
UND WAS KOMMT NACH DER MATURAFEIER?
Dann schalte ich ein Zwischenjahr ein: Im Sommer die RekRutenschule als Fliegersoldat in Payerne, dann Arbeiten und Reisen, ehe ich an der ETH das Studium naturwissenschaftlicher Richtung aufnehmen werde.
ICH KENNE DIE TÖNGIS AUCH ALS SPORTLICHE FAMILIE. NICHTS HÄNGEN GEBLIEBEN?
Doch, doch: Ich bin Mitglied des Turnvereins Guntershausen und polysportiv tätig. Lesen, Geschichte und Philosophie sowie mit meinen Freunden unterwegs zu sein, gehören ebenfalls zu meinen Vorlieben.