Ein Lob der Beiz
03.04.2025 KolumneVor kurzem ist, fast 90-jährig, der Autor Peter Bichsel gestorben.
Der Schauspieler Mike Müller, der ihn in köstlicher Weise samt der typischen näselnden Stimme imitiert hat, prägte den Satz: «I sitze haut gärn ir Beiz!». Und das tat Peter Bichsel ...
Vor kurzem ist, fast 90-jährig, der Autor Peter Bichsel gestorben.
Der Schauspieler Mike Müller, der ihn in köstlicher Weise samt der typischen näselnden Stimme imitiert hat, prägte den Satz: «I sitze haut gärn ir Beiz!». Und das tat Peter Bichsel tatsächlich ausgiebig und gerne wie in allen Nachrufen bestätigt wird. Das veranlasst mich, ein bisschen Bichsel zu spielen und über die Beiz zu sinnieren. Was ist denn eine Beiz? Nur schon das Wort ist ein Stück Heimat. Eine Beiz ist ein Wirtshaus, in meiner Vorstellung eine warme Wirtsstube mit einem runden Stammtisch, Holztischen und -stühlen, Täfer, vielleicht gar einem Kachelofen. Anders ausgedrückt stellt die Beiz kein Restaurant dar mit weiss gedeckten Tischen, vielerlei Besteck und einer Batterie Gläser. Nein, die Beiz ist gemütlich, früher noch mit den obligaten Rauchschwaden aus Zigaretten, Brissagos und Stumpen. Da gibt es keine Viergänger sondern einfache Mahlzeiten wie Ghackets mit Hörnli und Öpfelmues, Bratwurst und Rösti oder eine deftige Käseschnitte. Getrunken wird ein grosses Bier oder ein Tischwein, kein Chateau irgendwas oder schwerer Kalifornier.
Der Wirt oder die Wirtin kennen die Stammgäste, begrüssen sie mit Vornamen und fragen nach dem Befinden. Sie spüren auch, zu wem sie sich hinsetzen und ein wenig Freud und Leid teilen sollen. Sie sind Gesprächspartne:innen, besonders für Alleinstehende, oft ein wenig Sorgentelefon und nicht selten gar Seelsorgende bei Schicksalsschlägen. Die Trinkerinnen machen sie nicht zu Abstinenten, geben ihnen aber auch zu verstehen, wenn es dann mal gut ist.
Die Beiz ist kein Blog, kein Chat und kein Instagramm, sondern menschliche Begegnung, Austausch, Informations- und Diskussionsplattform und natürlich Gerüchteküche. Man geht auch hin nach Training, Turnen, Sauna, Chorprobe, Sitzungen, Gemeindeversammlungen und vielem mehr. Oft wird nachbesprochen, verarbeitet und Auge in Auge eine Auseinandersetzung beigelegt.
Nun habe ich das Idyll geschildert. Die Realität zeigt einen dramatischen Verlust an Beizen (und Restaurants). Elgg und teilweise auch Aadorf blieben bis jetzt noch einigermassen verschont. Aber es gibt Dörfer, in denen es keine Dorfbeiz mehr gibt, vielfach nicht einmal mehr einen Laden. Das ist ein enormer Verlust an sozialem Leben. Wo soll man denn noch «eis go zie», einen gemütlichen Schwatz halten oder auch ein wenig Dampf ablassen über Erlebtes oder den unglaublichen Wahnsinn in der Welt? Verlust an sozialen Kontakten fördert die Vereinsamung und Verdrossenheit bis hin zu jüngsten Entwicklungen mit Staatsverweigerern und anderen struben Figuren. Klar findet Vieles in der Coronazeit und all den Einschränkungen und Massnahmen sowie in der Regelungsdichte seine Erklärung. Aber das ist mir zu einfach.
Um das soziale Leben muss man sich auch bemühen, sich einen Schupf geben. Peter Bichsel hatte in der Beiz immer ein Glas Roten vor sich; das stimmt, aber er ging auch hin um einfach zu schauen wie er sagte. Er toggelte nicht gestresst ins iphone. Ein Tipp um 90 zu werden?