Der Federdirigent
08.05.2025 Kolumne… schreibt sich augenzwinkernd von der Seele, was er nicht für sich behalten kann.
Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie ...!
Irgendwann im Jahr 1979. Der Kanton Jura wurde am 1. Januar als neuer Kanton der Eidgenossenschaft aus der ...
… schreibt sich augenzwinkernd von der Seele, was er nicht für sich behalten kann.
Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie ...!
Irgendwann im Jahr 1979. Der Kanton Jura wurde am 1. Januar als neuer Kanton der Eidgenossenschaft aus der Wiege gehoben. Daher müssen wir in der 6. Klasse das neue Kantonswappen in unser Zeichenheft malen, vollkommen analog, versteht sich: mit Buntstift und Lineal.
Ich bin 12 Jahre alt, ein bisschen pummelig, aber aktiv, wie jedes andere Kind. Besitze ein altes, selber knallrot angestrichenes Damen-Fahrrad, ohne Motor. Noch ein ganzes Weilchen – bis später einmal der Rahmen durchgerostet bricht und die Kette am Boden streift.
Ich fahre mit dem noch intakten Velo zum Arzt in die Praxis. Weiss nicht genau, warum. Vermutlich wegen der Epilepsie, an der ich damals noch leide. Kontrolltermin. In der Praxis angekommen, wird mir unter anderem einmal der Blutdruck gemessen. Nach der Konsultation gibt mir der Arzt eine Packung Medikamente mit und murmelt etwas von hohem Blutdruck.
Dieser Halbgott in Weiss hat gesprochen – zumindest für mich. Aber nicht für meinen Vater. Als er erfährt, dass seinem Zwölfjährigen Blutdrucksenker verschrieben worden ist, erhöht sich sein Blutdruck und seine Augen treten hervor. «Der will doch nur wieder etwas daran verdienen!», ereifert er sich, verordnet mir die Nichteinnahme und sofortige Rückführung der Medikamente. So schwinge ich mich auf meinen schicken Fahruntersatz und führe den Befehl aus.
Irgendwann im Jahr 2025 – genauer im Februar 2025. Seit drei Jahren herrscht Krieg in der Ukraine und es ist zu befürchten, dass das Wappen dieses Landes verschwindet. Von Gelb-Blau auf Blau-Weiss-Rot ändert. Ich war, wie viele andere, anfangs konsterniert. Habe einen Tag nach dem Einfall der Russen 2022 einen Artikel auf meiner Webseite veröffentlicht, vollkommen digital, versteht sich: mit Tastatur, Computer und Internet.
Ich werde in diesem Jahr 58 Jahre alt, bin immer noch gut gebaut, knapp unter der Grenze zu irgendwas wie «Asiweissnichtwas»? Moment ...! Ah, richtig: Adipositas heisst es ja! Danke, Mr. Google. Ich fahre inzwischen mit einem S-Pedelec, der schnellen E-Bike-Variante, meine Runden.
Dieses ist nicht mehr knallrot, sondern schwarz. Der Rahmen wird nicht brechen, da er gar nicht rosten kann.
Heute parkiere ich vor dem Gesundheitszentrum mit meinem Schwedenpanzer und sehe zum zweiten Mal den Arzt, der mir zugeteilt wurde. Eigentlich habe ich keine Beschwerden, möchte nur mal zum Ohrenarzt, wozu ich die Überweisung des Arztes benötige.
Er hat beim ersten Besuch vor zwei Wochen den Blutdruck gemessen – dreimal. Und hat dann gemeint: «Ich möchte fair bleiben. Aufgrund der möglichen Weisskittelhypertonie, messen Sie bitte in den nächsten sieben Tage den Blutdruck. Zweimal morgens, zweimal abends. Und dann entscheiden wir, wie es weitergeht», sagt er, gibt mir einen Blutdruckpass und weitere Anweisungen. «Wir sehen uns in 14 Tagen wieder.» Der Tag der Entscheidung ist heute. Und er endet, wie befürchtet. Die Werte der Blutdruckmessungen zuhause sahen nicht besser aus und daher erwischt mich die fast schon entschuldigende Mitteilung des Arztes nicht auf dem falschen Fuss: «Ich glaube, Herr Wanzenried, es macht Sinn, mit einer Therapie zu beginnen. Wenn es Sie beruhigt: Ich nehme ebenfalls das gleiche Medikament, das ich Ihnen verschreiben werde.»
Es beruhigt mich nicht. Er ist ja schon zwei Jahre älter.
Doch meine Frau freuts. Nicht weil ich die Dinger nehmen muss, sondern weil ich etwas gegen die Hypertonie unternehme. Darum schickt sie mich (leider) auch nicht mit der unangebrochenen Packung zum Arzt zurück mit der Bemerkung «Der will doch nur was verdienen».
Ich werde wohl diese bittere Pille schlucken müssen und stelle fest, dass nicht nur die Medikamenteneinnahme, sondern auch deren verordnete Nichteinnahme anno 1979 Risiken und Nebenwirkungen hatte.
So war ich bisher in meiner Familie als «MedikamentUndPülverli»-Verweigerer bekannt.
Diese Tage scheinen nun gezählt zu sein.
STEFAN WANZENRIED DER FEDERDIRIGENT