Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationen
08.09.2022 AbstimmungenBundesrat und Parlament wollen die Verrechnungssteuer auf Zinsen von neuen Schweizer Obligationen abschaffen, damit hiesige Firmen ihre Anleihen künftig wieder im Inland herausgeben und so Arbeitsplätze zurückbringen. Das Volk stimmt am 25. September darüber ab.
Der Bund erhebt auf das Einkommen aus Zinsen eine Verrechnungssteuer von 35 Prozent. In der Schweiz wohnende Privatpersonen können diese zurückfordern, wenn sie sie in der Steuererklärung angeben. Auf Zinsen aus Obligationen fällt die Verrechnungssteuer nur an, wenn die Obligationen in der Schweiz ausgegeben wurden. Dies sei ein Nachteil für die Schweizer Wirtschaft, sagen Bundesrat und Parlament. Um Geld zu erhalten, würden deshalb viele Unternehmen ihre Verpflichtungen in Ländern ausgeben, in denen keine Verrechnungssteuer erhoben wird. Laut Abstimmungsunterlagen sollen Schweizer Unternehmen vermehrt Verpflichtungen in der Schweiz ausgeben. Darum würden mit der Vorlage inländische Verpflichtungen von der Verrechnungssteuer befreit. Schweizer Obligationen wären so für Anlegerinnen und Anleger attraktiver. Weiter falle mit der Vorlage auch die Umsatzabgabe für inländische Obligationen und weitere Wertpapiere weg. Diese muss heute beim Kauf und Verkauf von Wertpapieren bezahlt werden. Beide Massnahmen kämen der Schweizer Wirtschaft zugute. Im besten Fall könnte sich die Reform bereits im Jahr des Inkrafttretens selbst finanzieren.
Gegen die Reform wurde das Referendum ergriffen, weshalb am 25. September darüber abgestimmt wird.
Steuerausfälle würden kleingeredet
Gegen die Vorlage votieren SP, Grüne und EVP. Das Referendumskomitee argumentiert, dass mit der Abschaffung der Verrechnungssteuer die Kapitalbeschaffung von rund 200 Konzernen, deren Finanzierungsgesellschaften und Banken privilegiert würden. Nachdem die Schweizer Bevölkerung die Stempelsteuer-Vorlage wuchtig abgelehnt habe, soll nun schon wieder «eine kleine Minderheit von 0,03 Prozent aller Unternehmen in der Schweiz neue Sonderrechte erhalten». KMU hingegen würden sich nicht über die Ausgabe von Obligationen finanzieren. Während die Verrechnungssteuer für die Sparkonti der Bevölkerung bestehen bliebe, soll sie für «Obligationen-Grossanleger, dubiose Vermögensverwalter und Oligarchen abgeschafft werden». Damit entfalle für sie der Anreiz, bei den Steuern nicht zu betrügen. Denn wer die entsprechenden Zinseinnahmen korrekt deklariere, könne die Verrechnungssteuer zurückfordern.
Steuerausfälle würden, so die Gegner, kleingeredet. Die Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationen führe laut ihnen je nach Zinssatz zu jährlichen Steuerausfällen von mehreren Hundert Millionen Franken. Das Geld fliesse in die Taschen von Steuerkriminellen und reichen Anlegerinnen aus dem In- und Ausland. Klar sei: Eine Gegenfinanzierung fehle, zahlen werde die Bevölkerung – entweder mit höheren Gebühren und Abgaben oder mit Leistungsabbau. Ein Strategiepapier aus dem Eidgenössischen Finanzdepartement zeige zudem: Economiesuisse und Co. wollten mit immer neuen Vorlagen erreichen, dass die Finanzindustrie und deren Profiteure sowie Konzerne immer weniger Steuern bezahlen müssen. Stattdessen sollen nur noch Lohn, Rente und Konsum besteuert werden.
Mutwillige Verschwendung von Steuergeldern
Die Befürworter der Abstimmungsvorlage aus dem bürgerlichen Lager, nämlich SVP, FDP, EDU, GLP und Die Mitte, meinen, die Verrechnungssteuer benachteilige und schwäche das Land im internationalen Standortwettbewerb. Die Steuer bewirke, dass Schweizer Unternehmen sich Geld im AuslAnd statt in der Schweiz beschaffen. Dadurch verschenke die Schweiz mutwillig Steuergelder und Geschäftsmöglichkeiten ans Ausland. Die Reform belebe den schweizerischen Kapitalmarkt und schaffe Zugang zu günstigeren Finanzierungen. Von diesen zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten würden Bund, Kantone und Gemeinden profitieren. Die eingesparten Zinskosten von jährlich bis zu 200 Millionen Franken würden die Staatskassen und damit auch alle Steuerzahler entlasten.
Langfristig rechnet der Bundesrat mit 215 bis 275 Millionen Franken weniger Einnahmen pro Jahr. Voraussetzung ist allerdings, dass die Bedingungen gleichbleiben, die Zinsen sich also weiterhin auf dem heutigen Niveau bewegen. Die Befürworter sagen, die Reform bringe dem Bund langfristig höhere Einnahmen. So würden die grossen Konzerne häufiger Geld in der Schweiz aufnehmen, also mehr Wertschöpfung im Inland erzeugen und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen – was zu höheren Steuereinnahmen bei Bund, Kantonen und Gemeinden führe. Die Bankiervereinigung sagt, dass durch die Reform innerhalb von fünf Jahren zusätzlich 900 Milliarden Franken Vermögen in die Schweiz flössen. Ob das tatsächlich zutrifft, kann aber heute nur gemutmasst werden.
RENÉ FISCHER