Zwischen Resignation und Wahrheit – Veri rechnet ab
26.06.2025 Aadorf«In Veri Veritas» – in Veri liegt die Wahrheit. So zumindest behauptet es Kabarettist Thomas Lötscher in seinem Programm, in Anspielung auf «In Vino Veritas». Auf der Bühne beweist der bodenständige Zeitgenosse einmal mehr, dass er mit scharfem Blick und ...
«In Veri Veritas» – in Veri liegt die Wahrheit. So zumindest behauptet es Kabarettist Thomas Lötscher in seinem Programm, in Anspielung auf «In Vino Veritas». Auf der Bühne beweist der bodenständige Zeitgenosse einmal mehr, dass er mit scharfem Blick und trockenem Humor den Nerv des Alltags trifft..
Trotz des herrlichen Sommerabends war der Kleinkunstsaal sehr gut besetzt – oder vielleicht gerade deswegen, weil die Temperaturen auch um 20 Uhr noch hoch waren und der heisse Tag nachwirkte? Die Klimaerwärmung liess auch Veri nicht kalt – er wetterte gegen die Veränderung, schliesslich mache sie seinen Schneeräumdienst im Hintermoos überflüssig. Überhaupt wetterte er gegen alles und jeden, regte sich genüsslich auf und liess sein Publikum am allumfassenden Weltschmerz teilhaben, der ihn plagt. Pascal Mettler hatte die Gäste gewarnt: «Jetzt wird es vielleicht etwas unangenehm, aber sehen Sie selbst», kündigte er Veri, alias Thomas Lötscher aus dem Entlebuch, an.
Die Show war eine fast zweistündige Nachrede an seinen verstorbenen Freund Päuli, dem er mal heiter, mal bekümmert und mal sehr wütend Lebewohl sagt. Ein Rückblick auf den langen gemeinsamen Weg, geprägt von unzähligen gemeinsamen Erlebnissen und Geschichten, die eng miteinander verflochten waren, ineinander übergingen und ausschweiften. Veri bringt die Wahrheit, die früher noch gemütlich im Wein lag, bei einem «Halben Roten» pointiert und politisch unkorrekt auf den Bartisch.
Die vielen Ärgernisse des alltäglichen Wahnsinns
Eigentlich ist das Leben zum Verzweifeln. Diese modernen Eltern mit ihren verzogenen Kindern, ein Ärgernis! Beim kleinsten Vorfall wird sofort ein Elternabend einberufen. Das Kind mit dem unaussprechlichen Namen, das ein anderes mit ebenfalls mysteriösem Namen an den Zöpfen gezogen hat, kommt ins Sondersetting mit schulpsychologischer Begleitung. Oder die Pandemie – sie hätte zwar auch gute Seiten gehabt: «Während dieser Zeit mussten die Pfarrherren und Ministranten in der Sakristei Abstand halten. Hätte man beibehalten können.» Aber warum musste plötzlich alles englisch sein? «Lockdown» habe es geheissen, als das Blumenlädeli in Hintermoos schliessen musste. Oder «Home-Office», wenn die Banker statt im Anzug von zu Hause im Pyjama ihre nächsten Ferien buchten?
Sein Rundumschlag traf alle: Tesla-Fahrer, Eltern, Politiker, Vegetarier, Naturschützer, Klimakleber, die verstorbene englische Königin – und sogar den Wolf. Um Bundesrat zu werden, reiche es heutzutage, ein «Gmögiger» zu sein oder Schwarznasenschafe zu züchten. Bald werde wohl jeder gewählt, der kein «Tubel» sei. Immerhin anders als ennet dem grossen Teich, wo gerade diese Eigenschaft Grundvoraussetzung sei, wie das aktuelle Beispiel zeige.
Über alles konnte sich Veri herrlich aufregen – und auch darüber, dass im Dorflädeli immer öfters die Fonduemischung fehlte, aus Gründen von Lieferengpässen. Besonders traf ihn die Sorge um seinen Job in den Diensten der Gemeinde: Seine Reinigungstätigkeit fiel dem chinesischen Putzroboter zum Opfer, das Schneeschaufeln dem Klimawandel und die Totengräberei der Tatsache, dass sich mittlerweile auch immer mehr Katholiken kremieren liessen.
Richtig resignieren will gelernt sein
Anders Päuli. Er habe ein Urvertrauen gehabt. Das habe sich darin gezeigt, dass sein Glas immer halb voll gewesen sei, «einfach nie sehr lange». Oder dass er das Sudoku von Anfang an mit Kugelschreiber ausgefüllt habe.
Veris Leben hingegen war zum Durchdrehen, bis er merkte, dass richtig resignieren gelernt sein will und durchaus Spass macht. Seither referierte er an der Volkshochschule, am Stammtisch und an Begräbnissen als versierter Resignationsexperte. Die drei Resignationsstufen von «mehreren gescheiterten Versuchen» über «keine Optionen mehr» bis zum «persönlichen Kontrollverlust» hatte er verinnerlicht und wendete sie mehr oder weniger erfolgreich an: «Wenn ich vor Beizenschluss im Rössli noch etwas bestellen will, aber nichts mehr bekomme, dann habe ich mehrere gescheiterte Versuche hinter mir. Wenn der Bären auch schon zu hat, bleiben mir keine Optionen mehr. Und wenn ich dann beim Rausgehen die Treppe herunterstolpere, kommt der Kontrollverlust hinzu.»
Je schneller er sein Glas – und jenes des verstorbenen Freundes – leerte, desto bunter wurden die Geschichten. Er erzählte vom Papagei einer Liebschaft des untreuen Päulis, der beseitigt werden musste, weil er zu viel plapperte. Oder von der Geiss mit dem Hashtag auf dem Hintern, die kurzzeitig Wohlstand und Massentourismus nach Hintermoos lockte.
Viel bittere Wahrheit hübsch verpackt
Es war ein lustiger Abend mit einem grossen Aber: Viele von Lötschers Pointen sind Realität. Die Arroganz einiger Politiker und Politikerinnen auf dem Buckel der Steuerzahlenden, die Wegrationalisierung vieler weniger qualifizierter Jobs, die Ungerechtigkeit gegenüber älteren Menschen während der Pandemie und andere gesellschaftskritische Anliegen sind mehr Wirklichkeit als Kabarett. Wie einst der Hofnarr verpackt auch Veri unbequeme Wahrheiten in hübsches Glanzpapier – und lässt das Publikum lachen, bis es im Hals stecken bleibt.
MARIANNE BURGENER
Der GONG macht Sommerpause. Am 22. August startet die neue Saison mit dem Openair-Kino in Ettenhausen. Gezeigt wird «Bohemian Rhapsody». www.gong.ch