Zweiwurstgesellschaft
31.05.2025 LeserbriefeDer Federdirigent … schreibt sich augenzwinkernd von der Seele, was er nicht für sich behalten kann.
Mein Vater pflegte zu sagen: «En rechte Maa hät es Messer im Sack!» Das war vor bald 50 Jahren und soviel ich weiss, braucht er es heute im ...
Der Federdirigent … schreibt sich augenzwinkernd von der Seele, was er nicht für sich behalten kann.
Mein Vater pflegte zu sagen: «En rechte Maa hät es Messer im Sack!» Das war vor bald 50 Jahren und soviel ich weiss, braucht er es heute im Altersheim nicht mehr. Weder zur Verteidigung noch um seinen Kafi Fertig umzurühren. Auch wenn es heute immer noch erlaubt ist, ein Schweizer Sackmesser in der Öffentlichkeit bei sich zu tragen, gilt dieses antiquierte Ungesetz nicht mehr. Kann sein, dass eine Schweizer Volksparteizugehörigkeit davon abhängt, aber das ist mir egal. Ich bin parteilos.
Kürzlich stiess ich auf eine neue «En rechte Ma»- Variante, die mich entmannte. Ist die Sackmesser-Mär bald Geschichte?
Anderweitig in Frauenfeld unterwegs, schlendere ich über den Jahrmarkt. Die Düfte des Rummelbetriebs und der damit hergebrachten Essstände aktivieren meinen Magen.
Vor einiger Zeit verlor ich mein Portemonnaie und dank eines ehrlichen Finders, hatte ich es gleichentags wieder im Briefkasten. Aus diesem Grund, aber auch aus purer Bequemlichkeit habe ich schon länger kein Portemonnaie, und schon gar kein Bargeld mehr auf Mann. Ein gewisser Virus hat den digitalen Zahlungsweisen Vorschub geleistet. Dankbar habe ich diese Entwicklung in meinen Alltag integriert. Mein Handy – meine Bank. Als Informatiker ist man Teil dieser technikorientierten Denkweise. Auf öffentlichen Plätzen wie diesem, kommt mir kein Portemonnaie oder Geld mehr abhanden. Vielleicht das Handy, aber an mein Geld kommen die Diebe deshalb nicht.
Mir ist bewusst, dass das digitale Zahlungswesen in seiner Vielschichtigkeit nicht jedem Geschäftetreibenden ein Frohlocken aufs Gesicht zaubert. Denn entgegen dem virusverseuchten und fettigen Bargeld krabbeln hier fette Gebühren vom Bankkonto, wenn man Apple-Pay, Twint und Co. akzeptiert. Bei Twint sind dies 1,3 Prozent einer Transaktion, doch dafür entfällt ja das ganze Bargeld-Handling. In Berg- und Dorfbeizen habe auch ich Bargeld dabei. Aber auf einem städtischen Jahrmarkt würde ich digitale Zahlweisen begrüssen.
Nun stehe ich also vor einem Wurststand. Zwei ältere Semester hüten ihren Grill, der mit Schüblig, Bratwurst und Hamburger brutzelnd belegt ist. Ernste, pralle und mit roten Adern durchzogene Gesichter unterstreichen meine Vorstellung von Fleischer-Aussehen. Olma-Bratwurst: Zäh Stutz? Stolzer Preis. Hier aber, auf diesem kleinen Rummelbetrieb, einzigartig und somit Angebot und Nachfrage ausgesetzt. Und ich habe gerade Lust auf diese St. Galler Spezialität. Natürlich ohne Senf. Ich suche nach einem Twint-Code am Stand. Vergebens! Daher werfe ich, beinahe scheu, die Frage in die Grillhütte: «Chan ich mit Twint zahle?» Stille. Versteinerte, noch rötere Gesichter.
Der eine druckst rum: «Aso …, liäber nöd!», man merkt, dass er nicht weiss, was er sagen soll. Dann folgt die ultimative «Der Kunde ist König»-Aussage aus dem Hintergrund (offensichtlich der Chef des Anderen) in grummelndem Ton, die mir meine Männlichkeit nimmt: «En rechte Ma hät doch Bargeld im Sack!»
«Okay, isch das so?», denke ich ernüchtert.
«Nei, han ich nöd. Aber kei Problem, denn lueg ich wiiter.» Ich wende mich ab, um zu gehen. «Wenns sii muess, häts do no e Nummere, wo du anetwinte chasch!», tönt es hinter mir. «Also, goht doch!», denke ich. Beinahe triumphierend über diese arrogante Inkonsequenz, drehe ich mich um und zücke mein Handy, um die Zahlung auszuführen. Der Vasall des Anderen streckt mir einen zerfetteten Zettel hin, auf dem die Nummer steht. Die Gesichter noch eine Stufe zerknirschter, aber ich ignoriere gekonnt.
Nach der Zahlung drückt mir der Knecht Wurst und Brot in die Hand und ich verlasse siegesgewiss das Schlachtfeld. Doch nach einigen Bissen merke ich, dass die Bratwurst innen nicht wirklich heiss ist, eher lödelig. Aha, hat er 13 Rappen Gas gespart, um seinen satten Gewinn nicht zu schmälern. Hätte ich bar bezahlt, wäre die Wurst innen heiss gewesen. Das ist ja eine Zweiklassen-Gesellschaft! Oder besser, eine Zweiwurst-Gesellschaft?
«Das hät er extra gmacht, de Sack!», denke ich erstens, und zweitens: «Zum Glück trau ich mich nöd, das öpperem zsäge!»
Nein, ich gehe nicht zurück und reklamiere. Würge die lauwarme Wurst runter, nicht mehr so siegesgewiss. Mit Senf würde es bedeutend besser gehen.
Eines beruhigt mich. In 20 Jahren heisst es vermutlich: «En rechte Maa hät Twint!» Aber dann habe ich wieder verloren, weil ich nur Zahlungen mit Iris-Scan machen möchte. Oder mit einem Fingerschnipp, der sich als Zahlungsmittel zu etablieren beginnt. Wie auch immer: Auf dem Jahrmarkt hole ich mir in Zukunft einen Falafel für acht Franken, den ich offiziell mit Twint bezahlen kann und der dafür durch und durch heiss ist.
«Isch ersch no gsünder!» murmelte verschmitzt meine Liebste, als ich ihr diesen Text vorgelesen habe.
STEFAN WANZENRIED federdirigent.ch