Zum Tode Josua Malers vor 425 Jahren
27.04.2024 ElggDerzeit runden sich – im Rückblick auf die Reformationszeit in Zürich – immer wieder 500 entscheidende Jahre: Im Jahre 1522 hatte Zwingli dem Fastenbruch zugestimmt; 1523 beendet die Erste Zürcher Disputation die Heiligenverehrung; 1524 verwirft die Zweite Disputation ...
Derzeit runden sich – im Rückblick auf die Reformationszeit in Zürich – immer wieder 500 entscheidende Jahre: Im Jahre 1522 hatte Zwingli dem Fastenbruch zugestimmt; 1523 beendet die Erste Zürcher Disputation die Heiligenverehrung; 1524 verwirft die Zweite Disputation Bilderverehrung und Messe, erschüttert der Ittingersturm die Eidgenossenschaft. Ab 1525 entfaltet sich bis 1531, bis zur Tragödie von Kappel, das volle Reformationsprogramm. Dann übernimmt eine zweite Generation. Zu ihren Leitpersonen gehört Josua Maler (1529 – 1599). In einer konfessionell angespannten und durch die Pestseuche niedergedrückten Zeit bewältigt er das schwierige Pfarramt in Zürich, in Elgg, im thurgauischen Bischofszell, in Winterthur und zuletzt in Glattfelden. Ohne jegliche Resignation resümiert er sein Leben in einer vielbeachteten umfänglichen Autobiografie.
Das erste Pfarramt in Elgg
In Zürich als Sohn von aus Villingen (Schwarzwald) eingewanderten Eltern geboren, studiert Josua in Lausanne und nach einer Reise durch Frankreich im fernen England Theologie. Er wird 1553 nach Elgg gewählt. Beim Umzug von Zürich nutzt er dieselben Fuhrleute, die sein Vorgänger von Elgg nach Zürich beauftragt, welche «min Husrätli hinuss gen Elgauw füeren söllen.» Es gibt bittere Abschiedstränen auf der langen Treppe beim Grossmünster. Dazu «ist min l. Husfrauw Margret Ochsnerin des nächsten Gangs uss ihrer Kindbett, uf die Straß gen Elgouw wegfertig worden mit unserm jungen Sun dem Balthasar, den unser l. Schwager, Hans Stutgarter zu Hirslanden, in der Wiegen uf einem Räf getragen hat.» Das Pfarrhaus Bassersdorf wird zur ersten, Winterthur zur zweiten Zwischenstation (der schnelle ÖV ist noch kein Thema), «und nach gehaltnem Imbiss rucktend wir fürbass, kamend gar wol und zytlich, von Gott wol beleitet, an unsere nüwe Herberg im Pfarhof zu Elgauw.» Maler wird über seine Arbeit Rechenschaft ablegen, auch über seine Predigten.
Er beginnt mit der Auslegung des Lukasevangeliums. «Daruf auch die Gschicht der Apostlen, das Evangel. Marci u. s. f. Ein guter Teil über das Evang. Joh., die Epistlen zun Römern und Corinthern und in der Wuchen etliche der minderen Propheten.» Sein Vater hält ihn im Auge, «zu sehen wie es sich anlass mit miner Hushaltung, sonderlich aber mit der Kilchen.» Schreckliches fällt auf Elgg. «Im Herbstmonat 1566 hub an der Sterbent zu regieren, macht etliche Hüser leer. Starb fast gmeinlich Wybervolk.»
Maler ist mit dem Zürcher Gelehrten Conrad Gessner befreundet. Dieser hegt Erwartungen an ihn. Es gibt zwar lateinischdeutsche Wörterbücher, aber Mahler soll ein erstes deutsch-lateinisches Wörterbuch erarbeiten. Der mit der Familie der Zürcher Druckerei Froschauer Verwandte müsste imstande sein, das erstmalige Projekt zu bewältigen. Maler arbeitet und das Wörterbuch erscheint mit der Überschrift: «Die Teütsch spraach. Alle wörter, namen und arten zuo reden in Hochteütscher spraach, dem ABC nach ordenlich gestellt unnd mit guotem Latein gantz fleissig unnd eigentlich vertolmetscht, dergleychen bisshär nie gesähen, durch Josua Maaler. Mit Vorrede von Conrad Gesner. Christophorus Froschouerus, Tiguri 1561.» Ohne die Stellung der klassischen Sprachen des Hebräischen, Griechischen und Lateinischen zu mindern, hebt Gessner einleitend die Bedeutsamkeit der deutschen Sprachfamilie hervor. Er betont, dass auch das alltägliche Deutsch als eine heilige Sprache zu beachten und zu pflegen sei.
Mit dem «Husplunder» nach Bischofszell
Maler wirkt an der Grenze zur Gemeinen Herrschaft Thurgau. Dann wird Bischofszell in seinen konfessionellen Nöten auf ihn aufmerksam. Dem zarten Pflänzlein des neuen Glaubens droht im Städtchen der Garaus. In diesem Notfall schickt die Stadt Zürich unverzüglich den 42jährigen Pfarrer aus Elgg. Er hatte sich schon im «Grossen Sterben» als belastbar erwiesen und in Zeiten der Sprachabbrüche eine sprachliche Meisterleistung vorzuweisen.
Die Anspannung ist in Bischofszell derart gross, dass der Rat seinen Boten Hans Rietmann mit einem «Manungsbrief» nach Elgg zu laufen befiehlt. Der Bestürmte lässt alles fallen, trifft bereits anderntags am 3. Februar 1571 in Bischofszell ein, wird zu Stadtschreiber Melchior Schärb geführt, «der mir ein gar lustigs und warm Stüble geben», um sich auf seine Antrittspredigt vorzubereiten. Seinen Hausrat aus Elgg holt er später nach: «mit siben Schlitten; die liess ich laden mit dem allernotwendigsten Husplunder. Ich sass auch mit miner Husfrauwen und unser Tochter uf einen besonderen Schlitten mit einer ufgestellten Trucken und kamend glücklich und von Gott wol beleitet gen Bischofzell ... diewyl es eben spat, dass man nit abladen konnt, wurdind die Schlitten all ins Kornhus geführ.»
Der Modus vivendi zwischen den Konfessionen
Im Städtchen herrschen Intoleranz mit drakonischen Strafen. Sein Nachbar Hetzer, ein noch junger Schneider, trifft im Winter, anstelle einer Frau «mit einer Schneeballen an ein gemalet Cruzifix bym Kilchhof.» Hetzer kommt in Untersuchungshaft und wird dazu verurteilt, «eben an dem Ort, an wölichem er die Schneeballen geworfen, in die Kilchstraßen geführt, daselbst er für Cruzifix und Bild niederknüwen, in der einen Hand ein birchene Schulruten und in der andern ein brünnende Wachskerzen so lang hat halten müssen, bis dass der Chorherren gesungen Amt und Predig, zusamt unserer evangelischen Predig und Gebet vollfüert und geendet wurdind.» Maler wird angefleht, er solle es doch kurz halten mit der Predigt. Und weil für diese «schwere Tat» mit langer Gefangenschaft und hohen Kosten zu rechnen war, «hat man by den dryen Kilchenthüren, uss Erlauben und Verwilligung der Obrigkeit zu Bischofzell, Hetzern ein allgemeine Stür sammlen und ufnemen lassen.»
Der von Zürich heimkehrende, über das Schloss Oettlishausen ahnungslose Mahler erfährt einen grossen Schreck und eine noch grössere Überraschung. Am Wäschetag war zu stark eingeheizt worden, «also dass die Platten mit denen die Küche besetzt, darunder auch, der Esterich und Dile, gar erhitziget worden: hat sich alsbald am Mittwuchen z’nacht ein mottend Für merken lassen.« Die Schlafenden werden geweckt und Fürjo gerufen. Hinter dem Täfer in Malers Studierzimmer stösst man auf das Mottfeuer. Malers Bücher sind angebrannt. Da schreit Probst Hieronymus Kyd, «unangesehen dass wir in der Religion keineswegs zusamen gesehen«, dass die Bücher nicht beschädigt werden dürften. Mahler: «also hat mir ein Papist, aber hierby ein trüwer lieber Nachpur und redlicher Eidgnoss von Schwyz, nit nur allein mine Bücher beschirmt, sunder diewyl dis Alles in minem Abwesen beschehen, miner bekümmerten erschrocknen lieben Husfrouwen und allem Husvölkle gar trostlich zugesprochen und ihnen mit Worten und Werken in Angst und Sorg alle nachpürliche Trüw erzeigt und bewisen.»
1575 gibt es in Bischofszell während Monaten nur ein einziges Gesprächsthema: die Pest, «nüt Gemeiners war, als von gestorbnen und kranken Lüten zu reden (...) ich auch Tag und Nacht als ein Kilchendiener zu kranken und sterbenden, rychen und armen Personen erfordert war, hat der lieb Gott auch min Husfrouw Margreta Maalerin heimgsucht.» Während ihr Mann die Frühpredigt hält und im Andwiler Hof einen Krankenbesuch macht, geht sie zum Schärer Abraham Liner mit der Bitte, ihr eine Ader zu öffnen und fällt dabei in Ohnmacht. «Nachdem sy aber etwas Spys und Tranks genossen, ward es umb so vil besser, dass sy im Hus Hin und wider us einem Gmach in das ander gieng und gar begirlich den Himmel anschauwet, wie das ir stäter Bruch und lobliche Gwonheit gsin, by schönem Wetter und nächtlicher Wyl den Mon und das Gestirn flyßig zu besehen und sagt: Ist dann der Laubsack so schön, wie schön und lieblich wird dann syn die Bettstatt selbst im Himmelrych.»
Es gelingt nicht, die konfessionellen Gräben zu überwinden. Auch Maler muss seine kranke Frau alleine pflegen, «dann es wolt kein Nachpur zuhinkommen und warind etliche uss der Stadt gewichen. Ich konnt auch kein Pflegerin finden noch erfragen, bis letstlich eine von der Oberkeit geboten ward, eine Ussburgerin und Hindersässin.» Erinnert sich Maler an Elgg? Waren Leid-, Verlust- und Trauerschmerz nicht genug? Wozu noch konfessionelle Gräben?
Der Witwer geht mit Witwe Magdalena Müller eine zweite Ehe ein. Er zieht in ihr Haus zum «Eisenbeisser», «dann sy mir ihres Vychs und Plunders halb nit konnt nachziehen.»
Erst beim Abschied von Bischofszell wird ihm seine tiefe Verbundenheit mit dem Städtchen bewusst: «Es kam mich diese Predig gar sur an, von wegen der Liebi, so ich zu dieser Gmeind also getragen, das ich sy nit bis an min End lassen wird.»
MARKUS SCHÄR