Zum Tod von Bernhard Greuter vor 200 Jahren

  10.09.2022 Region

Die herrliche Kastanienallee der Frauenfelder Promenade vergnügt immer. Jahrhunderte zuvor wäre man dort, auf dem Wasser wandelnd, als Wunderkind erschienen. Der metertiefe Weiher schützte im Osten und Süden die Stadt, im Westen die Murg und im Norden die Felsen. Der Fabrikant Bernhard Greuter aus Islikon, mit dem Bürgerrecht ausgezeichnet, hatte sich anerboten, den alten, wassergefüllten Stadtgraben zuzuschütten und durch einen Weg zu ersetzen. Diesen bepflanzte man zuerst mit Pappeln, später mit Kastanien. Der neue Bürger hatte 1805 in Frauenfeld Fuss gefasst, indem er einen grossen Bauplatz zwischen Schlossmühle und Kapuzinerkloster kaufte und eine Kattundruckerei einrichtete. Aber erst nach Greuters Tod nahm das Unternehmen in Frauenfeld richtig Fahrt auf, als es seinen Hauptsitz von Islikon in die nahe Stadt verlegte und in seinen Farbhäusern in den 1830er Jahren bis 400 Arbeitende beschäftigte. Mit dem Rückgang des Färbereigewerbes in der ganzen Schweiz schloss auch die Färberei an der Murg. Die mächtigen Gebäude wurden leer, blieben aber im Stadtbild unübersehbar.

Der Strebsame und sein bedeutendes Unternehmen

Bernhard Greuter wird im Jahre 1745 im Hause seiner Grosseltern in Ulisbach bei Wattwil geboren. Sein Vater, in frühen Jahren in holländischen Kriegsdiensten, stirbt auf einer Handelsreise mit Schweizerfabrikaten nach Ostindien und hinterlässt seine Frau mit drei kleinen Kindern. Die Witwe fördert ihre munteren Knaben. Bernhard wird, nach einer Hauslehrerstelle am Zürichsee, Arbeiter in der Kattundruckerei Streif in Glarus. Hier kommt bei der Blaufärberei ein geheim gehaltenes Verfahren zur Anwendung. Es animiert die Wissbegierde des Aufgeweckten. Er schleicht auf den Dachboden des Färbhauses und beobachtet, was im Färbraum geschieht. Nach dieser Werkspionage ist ihm geraten, schleunigst dem Lande Glarus zu entfliehen. In Kefikon richtet er eine kleine Lohnfärberei ein, muss aber erneut vor dem Glarner Fabrikherrn Streif fliehen, der im benachbarten Frauenfeld auch noch als thurgauischer Landvogt herrscht.
Nach jahrelangem Experimentieren in der Blaufärberei im In-und Ausland zurückgekehrt, vermag Greuter die, seinem Bruder anvertraute aber heruntergewirtschaftete, Färberei auszubauen und kreditfähig zu machen. Das Startkapital soll er beim zürcherischen Gerichtsherrn Escher in Kefikon durch Hinterlage seiner silbernen Uhr und seiner Schuhschnallen erhalten haben. Im nahen Islikon vermag der Jungunternehmer – er hatte unterdessen die einzige Tochter des Wirtes aus dem «Sternen» geheiratet – auch auf den Grundstücken des Schwiegervaters sein Gewerbe einzurichten und diese zu einer dorfähnlichen Anlage auszubauen. Er kauft rohe Baumwolltücher, färbt und bedruckt sie, um sie in Winterthur und Zürich zu verkaufen. Bald kann er auch auf seine Söhne zählen, und Winterthurer Geldgeber unterstützen die Greutersche Färberei und Druckerei. Ihre Produkte gefallen auf der damals sehr bedeutenden Messe von Zurzach. Einheimische aus den benachbarten Orten Islikons finden in der Fabrik, neben ihrer kleinen Landwirtschaft, Arbeit und Verdienst. Alfred Huggenbergers Grossvater sei als Färber abends mit blauem Gesicht und blauen Händen nach Hause gekommen. Auch Bundesrat Forrers Grossvater arbeitete in Greuters Manufaktur. Schliesslich tritt die Färberei und Druckerei von Islikon und von Frauenfeld als Winterthurer Handelshaus der Firma «Gebrüder Greuter und Rieter» auf, welche das Fabrikat im Grossen organisiert und zu einem der bedeutsamsten Textilunternehmen der Schweiz avanciert. Es vermag seinen Absatz weltweit und in erfolgreicher Konkurrenz auszudehnen. Um 1810 beschäftigt das Unternehmen über 3300 Arbeitnehmer. 1830 wird in Islikon die Rotfärberei eingeführt mit rund 300 Beschäftigten. In den 1870er Jahren gerät das Unternehmen jedoch in Schwierigkeiten und muss 1880 stillgelegt werden.

Fürsorger, Kommandant, Politiker und Landwirt

Bernhard Greuter steigt nicht nur zum erfolgreichen Unternehmer, Firmengründer und Wirtschaftsführer auf. Er wird auch Pionier in der Fürsorge. Seine »Geselschaft Druker und Modelstecher Islicon B.G.» ist die erste betriebliche Sozialversicherung der Schweiz. Sie besteht aus Kranken-, Militär-, Alterssparund einer Reisekasse zu Ausbildungszwecken sowie einer Viehversicherung. Greuter errichtet auch einen Schulfonds, um allen Kindern die Möglichkeit zu geben, lesen, rechnen und schreiben zu lernen.
Während er sich mehrheitlich von den Geschäften zurückzieht, engagiert er sich in der helvetischen und kantonalen Politik. In den 1780er Jahren wird Greuter zum «Freihauptmann» ernannt. Er befehligt die erste Kompanie des Militärquartiers Tänikon. Als die Eidgenössische Tagsatzung am 3.März 1798 die Entlassung des Thurgaus aus seiner Untertanenschaft (seit 1460) beschliesst, wird Greuter Mitglied des Landeskomitees, der ersten thurgauischen Regierung, dazu Vertreter des neugeschaffenen Kantons Thurgau im Grossen Rat der helvetischen Republik und von 1803 bis 1822 Mitglied im Thurgauer Grossen Rat.
Während seine vier Söhne zunehmend das Geschäft übernehmen, widmet sich der Vater der Landwirtschaft. Er kauft versumpftes Land und lässt es entwässern. Er pflanzt als einer der Ersten Kartoffeln, züchtet Rinder und legt Obstkulturen an. Um 1800 baut er die damals grösste Scheune der Schweiz für den landwirtschaftlichen Musterbetrieb und die Färberei. Der renovierte Gebäudekomplex des Greuterhofs in islikon gehört seit 1981 der «Stiftung Bernhard Greuter», später «Stiftung Greuterhof Islikon» genannt.
Bernhard Greuter stirbt am 11. September 1822. Nachfahren jedoch, die Greuters Namen in die Gegenwart tragen, leben teilweise heute noch in Islikon und Umgebung. Sie sorgen persönlich mit Recht, teils merkbar, teils diskret dafür, dass sein Nachruf nicht verhallt. Der Autor meint sogar, bei Begegnungen mit ihnen, in ihrer Empfindsamkeit und Zugänglichkeit, wie in ihrer prüfenden Distanz, immer noch etwas von Bernhard Greuters Aussergewöhnlichkeit und seinem Charisma zu verspüren.

MARKUS SCHÄR


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