Zum ersten öffentlichen Abendmahl an Ostern 1525
10.04.2025 RegionDer grosse Umbau in der Stadt und Herrschaft Zürich zur Reformationszeit erfasst die Bevölkerung in ihren verschiedensten Lebensbereichen. Weltweit erstmalig masst sich der weltliche Rat von Zürich kirchliche Kompetenzen des Bischofs von Konstanz an: die Aufhebung der Fastengebote, ...
Der grosse Umbau in der Stadt und Herrschaft Zürich zur Reformationszeit erfasst die Bevölkerung in ihren verschiedensten Lebensbereichen. Weltweit erstmalig masst sich der weltliche Rat von Zürich kirchliche Kompetenzen des Bischofs von Konstanz an: die Aufhebung der Fastengebote, die Abkehr von der Heiligen- und Bilderverehrung, die Abschaffung des Pflichtzölibates, die Aufhebung der Klöster, die Fortführung der Neuerungen im Sinne der Synodenbeschlüsse und nach Zwinglis Schriftprinzip gegenüber kirchlicher Tradition und Hierarchie.
Der Umbau betrifft auch den Abbau des kirchlichen Brauchtums. Prozessionen finden nicht mehr statt, auch jene mit den Reliquien der Stadtheiligen auf den Lindenhof am Pfingstmittwoch, ebenso die Prozession des Fronleichnams. Die Einsiedler Wallfahrt am Pfingstmontag wird untersagt. Erstaunlich: die katholische Position bricht schneller zusammen als erwartet, gewünscht oder befürchtet. Die alten Formen sterben ab.
Die Messe in Pantoffeln und roten Hosen
In der Schwebe aber bleibt beim Rat von Zürich die substanzielle Frage nach der Abschaffung der Messe, dem Kerngeschehen der katholischen Gottesdienste. Nicht ohne Schwierigkeiten war zuvor die Beseitigung der Heiligenbilder geglückt. Nun gar die Messe abzuschaffen, hält der Rat lange Zeit für zu gewagt. Er befürchtet eine Rebellion der eigenen Bevölkerung oder eine Intervention von aussen durch die katholisch gebliebenen Miteidgenossen.
Der Pfarrer von Knonau im Säuliamt hatte Klagen veranlasst. Er zelebriere die Messe in Pantoffeln und roten Hosen. Der Rat in Zürich stellt die Sache ab. Es kehrt wieder Ruhe ein. Monate später beklagt sich ein Zürcher Chorherr, die Messe werde verachtet und in der Allgemeinheit eine Abgötterei genannt.
Als der Chorherr Lorenz am Grossmünster in Zollikon eine Messe gehalten hatte, kommt ein Bauer auf ihn zu und kritisiert ihn: Er habe vom Leib Jesu falsch gepredigt. Er solle nicht mehr nach Zollikon kommen. Der Bauer wolle von jetzt an Christus nur noch in beiderlei Gestalt empfangen, nicht nur in der gewandelten Hostie oder Oblate, er wolle auch noch den Laienkelch empfangen. Der geistig regsame Laie, ein Täufer hatte ein Problem bei der Messe erkannt.
Als Erste feiern die Täufer das Abendmahl
In Zürich hatten sich Zirkel von biblizistisch gesinnten Christen gebildet, welche die Spannung zwischen abwartender reformierter Verkündigung und bleibendem katholischem Kultus nicht mehr ertragen. Sie streben nach einer reinen Kirche von nach Busse, Lebensänderung und auf Christus getauften Gläubigen. Je länger der Rat mit der Einführung des Abendmahls zögert, desto mehr trennen sie sich zu eigenen Gemeinschaften. Sie beginnen das Abendmahl im Geheimen in ihren privaten Häusern zu feiern: dass weder der wahrhaftige Leib noch das Blut Christi im Mahle seien, sondern dass es sich hier um Symbole für den anwesenden Christus handle.
Mit ihren getrennten Abendmahlsfeiern entfremden sie sich der Gemeinde, drohen der Obrigkeit zu entgleiten und nötigen diese zum Handeln. Schon im Januar 1525 hält der Täuferführer Konrad Grebel im Hause Jakob Hottingers in Zollikon eine Abendmahlsfeier ab. Weitere schlichte Feiern folgen die ganze Woche hindurch in privaten Häusern. Zur Einleitung werden die neutestamentlichen Abendmahlsberichte verlesen und über den Sinn des Abendmahls gesprochen, dann geniesst man das Brot und den Wein.
Zu jenem Zeitpunkt feiern Zwingli und seine Kollegen noch die römische Messe. Auf dem Altar im Grossmünster, in der Kirche Zollikon und in allen anderen zürcherischen Kirchen steht noch die Monstranz mit der Hostie. Davor steht der reformierte Prädikant im Messgewand, die Messe (mit Wegfall des Opferteils), lateinisch zelebrierend. Er reicht der Gemeinde Oblaten, aber nicht den Kelch. In «De canone missae epichiresis» (August 1523) hatte Zwingli immer noch ausdrücklich das Tragen der Messgewänder (bis vor Ostern 1525) und den Gebrauch der lateinischen Sprache gebilligt.
Aber in den Bauernstuben im Fischerdorf zu Zollikon brechen Laien gewöhnliches Brot und teilen es zusammen mit dem Wein an alle Teilnehmer aus – innerhalb der Geschichte des Abendmahls eine Revolution! Die Teilnahme am Abendmahl schliesst in sich die Verpflichtung zu einem christlichen Lebenswandel, zur Liebe gegen Gott. Und als «zeichen bruederlicher lieby und dess fridens.»
Warum hat Zwingli nicht damals schon eine ähnliche Abendmahlsfeier eingeführt? Wer ihn hinderte, war einzig der Zürcher Rat, dem er sich Zwingli fügte. So kamen ihm die Täufer zuvor, indem sie – erste Vorboten der freikirchlichen Idee – den Aufbau ihrer Gemeinde ohne obrigkeitliche Bevormundung ordneten.
Der gefährliche Stadtschreiber und ein knappes Mehr für das Abendmahl
Bereits jedoch an der Herbstsynode 1523 war in Zürich die Messe, die Frage der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi, vor allem aber die ständige gottesdienstliche Wiederholung des Opfers Christi im Mittelpunkt gestanden. Die zukünftige Messe soll ein Gedächtnismahl des einmaligen, unwiederholbaren Opfers Christi werden. Aber diese Mehrheitsansichten werden vom Rat nicht vollzogen. Die Messe bleibt bis zum Mittwoch, den 12. April 1525.
Jedoch schon am 11. April hatten die Theologen Zwingli, Engelhard, Jud, Grossmann und Myconius beim Rate vorgesprochen. An dieser Ratssitzung erwuchs dem Reformator von katholisch-konservativer Seite in Joachim Amgrüt, dem Unterschreiber der Stadt, ein gefährlicher Gegner. Er kritisierte und traf Zwinglis symbolische Abendmahlsauffassung an ihrem schwachen Punkt, den Einsetzungsworten Jesu: «Dies ist mein Leib». Amgrüt kritisierte Zwinglis symbolische Auffassung: «Dies bedeutet mein Leib». Nein, meinte Amgrüt, das Brot hier ist Jesu Leib. Der darob ratlos gewordene Rat, der vom aramäisch sprechenden Jesus nicht wissen konnte, welcher das griechische» ist «linguistisch wohl gar nicht verwendet hatte, bestellte daraufhin eine Kommission.
Dessen ungeachtet beschliesst der Rat, die Messe in Zürich abzuschaffen. Der Beschluss für das Abendmahl erreicht nur ein knappes Mehr. Aber bereits am Gründonnerstag, den 13. April, am Karfreitag, den 14. April und an Ostern beginnen die ersten Abendmahlsfeiern in der Stadt. Vorgesehen sind sie inskünftig für Ostern, Pfingsten, den Kirchweihtag von Zürich am 11. September und Weihnachten, also nicht für jeden Sonntag.
«Widergedächtnuss eyn dancksagung und frolocken»
Die Reformation in Zürich stand vor einer ihrer schwersten liturgischen Aufgaben, anstelle des in Jahrhunderten gewordenen Kunstwerkes der römischen Messe eine dem neu gewonnenen Verständnis der Schrift gemässe Umgestaltung des Abendmahles zu schaffen.
Aber Huldrych Zwingli hatte schon im März oder Anfang April 1525 für die bevorstehenden Abendmahlsfeiern eine neue Gottesdienstordnung vorbereitet: «Action oder bruch des nachtmals, gedechtnus oder dancksagung Christi, wie sy uff osteren zuo Zürich angehebt wirt im jar, als man zalt 1525. « (...) so söllend sich uff den hohen donstag das jüngste volck, das yetz glöubig unnd in erkantnuss gottes und sines worts kommen, und dise dancksagung unnd nachtmal began wil, in das gefletz, so zwüschend dem chor und dem durchgang ist, fuegen, die mansbild zuo der gerechten, die wybsbild zuo der lincken hand, unnd die andren sich uff dem gewelb, borkilchenn unnd an anderen orten enthalten. Und so die predig beschicht, wirt man ungeheblet brot und wyn ze vorderst im gefletz uff einem tisch haben, und demnach den vergriff unnd handlung Christi, wie er dise widergedächtnuss yngesetzt hat, mit offenlichen, verstentlichen, tütschen worten erzellen, unnd demnach durch verordnete diener das brot in höltzenen, breiten schüsslen harumbtragen von einem sitz zuo dem anderen, und da einen yeden mit siner hand lassen einen bitz oder mundvoll abbrechen unnd essenn, ouch demnach mit dem wyn glycherwyss harumbgan, also, das sich nieman ab sinem ort muoss bewegen.»
Hölzerne Becher und Teller, die Männer zur Rechten, die Frauen zur Linken.
Zwingli will keine Kultgeräte mehr in kostbarem und glitzerndem Edelmetall. Er befüchtet, jedes Prunkstück könnte die Gläubigen ablenken. Er schlägt für das Abendmahl schlichte hölzerne Gefässe vor. «Die schüsslen unnd bächer sind höltzin, damit der bracht (Pracht) nit wider kömme. Und dise ordnung werdend wir, so veer es unseren kilchen gefallen wirdt, viermal im jar bruchen: zuo ostren, pfingsten, herbst, wienacht.»
Die hölzernen Kultgegenstände bewähren sich. Bis tief ins 19. und vereinzelt bis Anfangs des 20. Jahrhunderts bleiben sie im Gebrauch. Noch im Jahre 1954 liest man über sie: « So waren bis vor wenigen Jahrzehnten im Zürichbiet allgemein, Holzbecher, Holzteller und geflochtene Brotkörbe Sitte.» Die später einsetzenden Schenkungen von metallenen Kultusgegenständen an die Kirchgemeinden verraten oft auch zugleich das Verwendungsende der hölzernen Abendmahlsgeräte. Die erste Zürcher Gemeinde, welche die Verwendung der Holzgeräte beim Abendmahl aufgab, war Uster, wo um 1850 ein Mitbürger der Kirche zwölf silberne Becher und zwei silberne Abendmahlsschüsseln vermachte.
An Ostern 1525 steht vorn im Grossmünster ein mit weissem Linnen bedeckter Tisch, darauf befinden sich die Schüsseln für die Oblaten und die Becher für den Wein, beide aus Holz und nicht aus Edelmetall hergestellt.
Die Liturgie wird durch Zwingli und zwei Helfer (Diakone) gelesen. Sie tragen kein Messgewand mehr, überhaupt kein besonderes Kirchengewand, sondern den gewöhnlichen Anzug. Gebete und Lobpreis sind in deutscher Sprache verfasst. Das deutsche Glaubensbekenntnis leitet zum Unservater über, das kniend gebetet wird, und zur Verlesung des Einsetzungstextes. «Demnach tragind die verordneten diener das ungeheblet (ungesäuerte) brot harumb, und nemme eyn yetlicher glöubiger mit siner eygnen hand einen bitz oder mundvoll darvon, oder lass im dasselbig bieten durch den diener, der das brot harumb treit. Und so die mit dem brot so vil vorggangen sind, das ein yeder sin stücklin gessen habe, so gangind die anderen diener mit dem tranck hinnach, und gäbind glycherwyss einem yetlichen ze trinken.» Den Abschluss der Feier bildeten das Gebet des II3. Psalmes und das Sendungswort.
Mit diesem Nachtmahlsformular erarbeitet Zwingli, unabhängig von der einstigen Messe, aber auch von der «Deutschen Messe» Luthers einen selbstständigen Abendmahlsgottesdienst. Er wird in der zürcherischen Kirche bis 1868 allein verwendet. Aber auch das zürcherische Kirchenbuch in den 1950er Jahren führt noch unter andern die zwinglische Form auf.
Für und gegen das reformierte Abendmahl in Elgg
Bald nach den ersten Abendmahlsfeiern in der Stadt Zürich dürften sie auch auf der Zürcher Landschaft und in Elgg begonnen haben. Denn was in der Stadt Gültigkeit besass, sollte auch auf dem Lande, in den kleineren Städten, Flecken, Dörfern und Pfarreien gelten, freilich nicht geräuschlos. Zwar hatte die Mehrheit der Bevölkerung in Elgg längst zum neuen Glauben gewechselt. Im Frühjahr 1524 hatte sich die örtliche Vorsteherschaft in Zürich darüber beschwert, dass Dekan Meiss immer noch die Messe lese, obwohl die grosse Mehrzahl der Gemeinde für die neue Lehre sei. Seit dem Jahre 1522 war die Mehrheit empfänglich für den Wandel. Zwei Emissäre Zwinglis, Heinrich Lüthy aus Zürich und Georg Lüthy aus Winterthur rücken das Evangelium ins Zentrum. Ihre mit Leidenschaft vorgetragenen Predigten werden stark beachtet, im Flecken, in der Umgebung und in der thurgauischen Nachbarschaft.
Aber es gibt auch gegen Reformation und Abendmahl Widerständige. Der Gerichtsherr Jörg von Hinwil hatte Elgg und das Zürcher Gebiet bereits verlassen, nachdem er die Anfrage der Regierung in Zürich über die Abschaffung des Reislaufens und der Pensionen als Einkommensverlust beantwortete. Das Abendmahl in Elgg nicht mitgefeiert hat sein Sohn, der Schlossherr Hans von Hinwil (+ 1544), einer der prominentesten lokalen und regionalen Gegner der Reformation. Er lässt sich im Schloss weiterhin die Messe privatim lesen. Und in seinem Elgger Herrschaftsrecht haben die Heiligen weiterhin ihren schriftlichen Ehrenplatz. Mit Beatrix von Hohenlandenberg vom Schloss Hegi verheiratet, ist er ein naher Verwandter des Konstanzer Bischofs Hugo von Hohenlandenberg geworden.
Zu den heftigsten Gegnern der neuen Lehre in Elgg jedoch gehören der Leutpriester Dekan Bernhard Meiss und die vier Kapläne Hans Benz, Bartholomäus Brun, Jörg Markstein und Hans Offener. Sie fürchten um ihre Lebensstelle. Auch der Vogt Hans Meiss, die Verwandten der Priester und die meisten Bedürftigen sind nicht reformfreudig. Letztere bangen um die ihnen in den Jahrzeitstiftungen versprochenen Zuwendungen. Der eidgenössische Landvogt in Frauenfeld bekämpft die Reformation mit allen Mitteln und beklagt sich bitter bei der Tagsatzung, dass viele nach Elgg liefen, um die Predigten Hans Oechslis zu hören. Schliesslich behindert die Stadt Rapperswil, Inhaberin des Elgger Kirchensatzes und der Kollatur, den ersten reformierten Pfarrer.
Erfrischend und ansteckend nach 500 Jahren
Zwingli hat seine Ansichten über die Messe und das Abendmahl zögerlich und zaghaft veröffentlicht. Er wusste als praktizierender Priester um die jahrhundertalte Tradition und die tiefe Verletzlichkeit der Gläubigen. Auf der ersten Disputation im Januar 1523 ist er selbst noch stark von der katholischen Auffassung geprägt. Im Sommer 1523 äussert er sich etwas deutlicher, und auf der zweiten Disputation im Oktober wagt er mehr. Zwar hält er noch an der Vorstellung fest, in der Messe werde Christi Leib und Blut genossen. Aber ihm ist klar: das Gedächtnismahl hat keinen sakramentalen Charakter.
Es ist bemerkenswert (bei allen glücklicherweise tolerierten Auffassungsunterschieden über Messe und Abendmahl), wie erfrischend auch Zwinglis Einführungstext zum Abendmahl heute noch auf die Lesenden zu wirken vermag: nach 500 Jahren!
«Und so dise widergedächtnuss eyn dancksagung und frolocken ist dem allmechtigenn gott umb die guothät, die er uns durch sinen sun bewisen hatt, unnd, welcher in disem fäst, mal oder dancksagung erschynt, sich bezügt, das er deren sye, die da gloubind, das sy mit dem tod und bluot unsers herren Jesu Christi erlösst sind.«
MARKUS SCHÄR