Z’Alp
30.08.2025der Federdirigen… schreibt sich augenzwinkernd von der Seele, was er nicht für sich behalten kann.
Da! Eine Sternschnuppe huscht über den Nachthimmel. Im Unterland ist der Himmel selten so dunkel und klar. Zu gross ist die ...
der Federdirigen… schreibt sich augenzwinkernd von der Seele, was er nicht für sich behalten kann.
Da! Eine Sternschnuppe huscht über den Nachthimmel. Im Unterland ist der Himmel selten so dunkel und klar. Zu gross ist die Lichtverschmutzung. Hunderte von Sternen funkeln wie Brillanten. Satelliten sehe ich von blossem Auge über den Himmel gleiten. Wieder eine Sternschnuppe!
Es ist der 13. August, der Höhepunkt der Perseiden. Der Meteoritenschwarm, der für uns Erdenbürger jährlich um Mitte August in Form von Sternschnuppen erkennbar wird. Ich staune und liege vor meiner Alphütte in Simplon Dorf. Der Mond geht langsam auf. Immer auf gleicher Bahn, mal näher, mal weiter weg von der Erde, zieht er seine elliptischen Kreise um unsere Kugel. Erstaunlich.
Das Seehorn leuchtet im Mondschein. Eine gewaltige Masse Fels, die schon Jahrtausende, wie unverrückbar dasteht und über dem Tal des Chrummbachs und der Gondoschlucht wacht. Ich nehme das Rauschen des Wildbachs wahr, die knorrigen, meist vom Sturm geköpften Lärchen, die die Hütte umgeben, rieche die harzige Luft und fühle mich klein in der Erhabenheit und Schönheit, die mich umgibt.
Ich bin z’Alp. Und es ist nicht meine Alphütte, sondern ich nenne sie nur so, weil ich sie seit fünf Jahren immer wieder mieten darf. Privilegiert, da der Vermieter seit Corona keine neuen Mieter akzeptiert.
Eine Woche allein, wo nichts und niemand mich aus der Ruhe bringen kann. Besser gesagt, alles mich in die Ruhe führt. Das Handy stelle ich auf «Nicht stören» und niemand erwartet, dass ich mich auf eine Nachricht hin melde, höchstens meine Liebste, sollte wieder mal etwas von der Haustechnik zuhause versagen. Aber wir haben immer rechtzeitig eine Lösung gefunden.
Seit bald 20 Jahren nehme ich mir diese Freiheit, einmal im Jahr meinen Alltag auszusetzen. Einfach zu sein. Einfach zu leben. Ein Spaziergang einer Suone entlang zu machen, jenen Wasserläufen, die das Wallis typisch macht. Es blubbert und gluggert in lichtdurchfluteten Wäldern, während der Duft von Bergblumen meine Sinne betört.
Der Schönheit und Unberechenbarkeit der Natur ausgesetzt zu sein. Wie letztes Jahr, bei der Anreise, als ich eine Viertelstunde vor dem Murgang bei Simplon Dorf durch jene, Augenblicke später zugeschüttete, Galerie gefahren bin und ich dann vor der Hütte eine Viertelstunde im heftigsten Starkregen, den ich je erlebt habe, warten musste, bis ich meine Habseligkeiten dorthin bringen konnte. Vom Murgang erfuhr ich tags darauf und war einfach dankbar, dass ich vor der Galerie nicht, wie geplant, angehalten habe, weil es so stark regnete. Dass die Galerie just am Rückreisetag wieder öffnete und ich dadurch nicht mit Autoverlad oder übers Tessin den Heimweg antreten musste, war das Sahnehäubchen dieses Ereignisses.
Gestern sass ich am Abend bei einem feinen Walliser Raclette, das ich mithilfe eines kerzenbetriebenen Rechauds verwirklichte. Dazu kredenzte ich ein feines Glas Rosé. Ich hatte Gesellschaft von einer Eidechse, die über den Platz rannte oder die Mauer hochkletterte, genoss den Ausblick ins Laggintal und dem darüber thronenden Tällihorn, an dessen Fuss der Weissmiesgletscher seine letzten Atemzüge macht. Die Natur im Wandel. Ich im Wandel.
Nichts und Zufall: eine schwierige Kombination, um Leben zu schaffen
Ich starre noch immer in die Sterne. Fragen formulieren sich: Ist das alles Zufall? Kann das alles nur durch einen Knall aus dem Nichts entstanden sein? Ist all das Leben, das mich umgibt, kreucht und fleucht, von einer rein durch Zufall bedingten Reaktion aus anorganischen Stoffen entstanden unter Einfluss von Blitzenergie? Hat diese erste Zelle sich zu einem Zellhaufen vermehrt und sich daraus Augen, Herz und Nieren von Mensch und Tier entwickelt? Und dann sogar noch Denken gelernt? Gefühle wie das Staunen oder die Liebe hervorgebracht – aus dem Nichts? Echt jetzt?
Warum sollte ein Nichts Alles geschaffen haben? Nichts und Zufall: eine schwierige Kombination, um Leben zu schaffen, wie ich finde.
Mit der letzten Sternschnuppe, die ihren Schweif in den Himmel setzt, verziehe ich mich ins warme Bett, schlafe ein und träume – aus dem Nichts?
STEFAN WANZENRIED
federdirigent.ch