Wozu reitet Frankreichs Befehlshaber durch Elgg?
08.06.2024 Elgg, EulachtalAm 3. März 1799 reitet der französische Oberbefehlshaber General Masséna durch Elgg. Wohl durch die Vordergasse, der präsentabelsten der damaligen Gassen, in Richtung Bodensee und Rhein. Der Ritt dürfte ihm zur höchstpersönlichen Rekognoszierung zukünftiger ...
Am 3. März 1799 reitet der französische Oberbefehlshaber General Masséna durch Elgg. Wohl durch die Vordergasse, der präsentabelsten der damaligen Gassen, in Richtung Bodensee und Rhein. Der Ritt dürfte ihm zur höchstpersönlichen Rekognoszierung zukünftiger eigener und feindlicher Bewegungs- und Frontverläufe gedient haben. Ein untrügliches Zeichen auch dafür, dass sich in der Region bald ein grösserer, internationaler Konflikt anbahnen wird.
André Masséna (1758-1817) gilt bis heute als einer der fähigsten Heerführer Napoleons. Abgewertet jedoch wird dieses Verdienst durch seine Beutegier. Systematisch lässt er die von ihm besetzten Gebiete ausplündern, um sich zu bereichern. Daher zählt er auch zu den grössten Plünderern der Napoleonischen Kriege.
Massénas Name ist am Triumphbogen in Paris in der 23. Spalte eingetragen. In seiner Heimatstadt Clermont Ferrand, im französischen Zentralmassiv, tragen ihn ein zentral gelegener Platz (place Masséna) und eine angrenzende Strasse (rue Masséna), heute eine der wichtigsten Einkaufsstrassen der Stadt. In Nizza steht das Musée Masséna in einem gepflegten Garten am östlichen Ende der Promenade des Anglais.
Fremde Armeen im Land
Nach dem Jahr der französischen Invasion in eine Eidgenossenschaft ohne ernsthafte Armee, wird im Land auch 1799 zur Lektion. Und die französisch besetzte Schweiz wird weitere ausländische Mächte anziehen: Österreicher und Russen. Am Ende des Jahres schlagen sich im eroberten Kleinstaat drei Grossmächte: Das revolutionäre Frankreich, das Kaiserreich Österreich und das mit ihm verbündete Zarenreich Russland.
Die erste Einquartierung bei der freundlichen Bevölkerung in Elgg dauert bis zum 25. Mai 1798. Eine zweite Tranche von 80 bis 150 französischer Soldaten folgt bereits am 6. Juni. Während des ganzen Winters 1798/99 lösen sich Durchmärsche und Einquartierungen ab. Sie mehren sich im Frühjahr 1799.
Die Einwohner Elggs, mit mehr oder weniger Vermögen, und die Gemeinde bekommen die Kosten der Einquartierungen zunehmend empfindlicher zu spüren. Die anfänglich vorherrschende Franzosenbegeisterung schwächt sich ab. Aber echt unzufrieden sind vorerst nur die Nachtwächter, weil die fremden Soldaten sie verhöhnen, wenn sie in der Nacht pflichtgemäss singend ihre Runden durch die Gassen absolvieren. In der Folge jedoch schwindet die Frankophilie und dreht ins Gegenteil.
Kassen und Vorräte erreichen ihren Tiefststand
Am 8. Januar 1799 verfügt die kantonale Verwaltungskammer (Regierung) aufgrund eines Beschlusses der helvetischen Regierung, dass in den Gemeinden die Besitzer von Zehnten und Grundzinsen die betreffenden Titel bereithalten sollen. Zwei Komissäre hätten alle Gemeinden zu inspizieren und eine Schatzung vorzunehmen. Auch Elgg hat dazu eine Schatzungskommission zu bestellen: mit Agent Jakob Oehninger, Leutnant Heinrich Oehninger, Ludwig Schöchli und Sekretär Oehninger. Als Agent nennt man einen Vertrauensmann der Franzosen und der neuen Regierung im Dorf.
Die Kommission hat die Güter der Einwohnerschaft nach drei Klassen zu ordnen – gut, mittelmässig und schlecht – und muss die Höhe der Abgaben bestimmen. Unerschwinglich werden ausserdem die immerwährenden Fourageleistungen.
Elgg richtet daher eine Beschwerde an die Verwaltungskammer. Das Begehren um Unterstützung an die Kosten für den Unterhalt der fremden Truppen wird jedoch von der Zürcher Regierung am 9. Februar abgelehnt, mit der Begründung, Elgg sei nicht dringend hilfsbedürftig. Schatzungskommissär Ludwig Schöchli und der sprachkundige Goldschmied Manz, später je zwei andere Bürger, erhalten den Auftrag, die Unterhalts- und Fouragekosten zu organisieren, die Fourage anzukaufen, zu rationieren und mit Gutscheinen den französischen Truppen abzugeben. Das Elgger Rietamt stellt einen Kredit von 200 Gulden bereit.
Ende April 1799 erscheint ein helvetisches Elitebataillon aus dem Kanton Leman (Genf) und wird in Elgg einquartiert. Gegen Gutscheine werden ihm 300 Pfund Brot und 150 Pfund Fleisch abgeliefert. Weitere Truppen folgen. Bei den Einquartierungen liegen stets 50 bis 150 Mann im Flecken. Ausserdem muss die Gemeinde im Elgger Rathaus für Kranke, Verwundete, Gefangene und Deserteure sorgen.
Eine neue Last für die Gemeinde wird die Einführung der Post für die Franzosen. Sie führt von Eglisau über Winterthur und Elgg nach Wil. Elgg übernimmt den Standort und die Kosten für den Distrikt (Bezirk). Erneut wird das Rietamt in Anspruch genommen. Zwischenzeitlich anerbietet sich der Gerichtsherr Wolf in Turbenthal, für zwei Monate die Führung der Post zu übernehmen und für sechs Pferde in Elgg zu sorgen, gegen eine tägliche Entschädigung von 19 und einem halben Gulden.
Die Kassenbestände der Gemeinde und der Einwohnerschaft sowie die Vorräte für Menschen und Tiere sind im Jahre 1799 auf einem Tiefststand angelangt.
Heinrich Bosshard aus Rümikon-Elsau
Während über die Lasten der französischen Besatzung in verschiedensten Archiven vor allem Zahlenangaben ruhen, sind Schilderungen von damaligen Zuständen, Ereignissen, Erlebnissen, Kontakten und Begegnungen selten zu finden. Umso wertvoller sind daher Berichte von Augenzeugen. Dazu gehört die einzige erhaltene Lebensgeschichte eines Zürcher Bauern, jene aus dem 18. Jahrhundert von Heinrich Bosshard (1748-1815) in Rümikon-Elsau. Er lebt zuerst in bitterster Armut als Kuhhirte, Jaucheträger (!) und Tagelöhner. Bis Förderer auf den aufgeweckten jungen Mann aufmerksam werden. Er eignet sich autodidaktisch und angeleitet von Gönnern sein Wissen an, sodass er bald die religiöse und philosophische Literatur seiner Zeit liest. Er wird landwirtschaftlicher Reformer, Feldmesser, Prediger und übt zahlreiche öffentliche Ämter aus.
Gegen Ende des Jahres 1798 wird er vom Erziehungsrat des Kantons Zürich zum Stellvertreter des Schulinspektors im Bezirk Elgg (Distrikt) und somit zur Kontrolle des Schulunterrichtes und für die Lehrerwahlen gewählt. Er berichtet: «Und so ging mir unter mancherlei Abwechslung das merkwürdige Jahr 1798 zu Ende. Unter den gleichen Umständen trat ich das Jahr 1799 an. Den ganzen Winter hatten wir Einquartierungen, und ich musste wegen meinem Lehen so viele Mannschaften einquartieren wie ein Bauer, ob man gleich meine ärmlichen Umstände kannte und wohl wusste, dass ich alles Essen kaufen muss. Nichts drückte mich mehr, als dass ich immer die Stuben voll Militairs hatte. Ich konnte nichts lesen, noch denken wegen dem ewigen Gewühl und Lärmen. Besonders war es für viele Männer ein wichtiger Umstand, dass es junge Frauen gab, die, auf Unkosten ihrer Männer, nicht wussten, wie sie ihren lieben Gästen genug Aufwart machen sollten. Auf allen Gassen, bei den Brunnen, auf dem Kirchweg war die Rede mancher Frauen von nichts als von den guten Soldaten, die sie hätten, und wenn es sich ereignete, dass dieselben wegreisen mussten, weinten diese Frauen mit ihren Soldaten um die Wette wie die Kinder bei dem Abschiednehmen. Gewiss manche aus ihnen hätte keine so heisse Tränen vergossen, wenn man ihren Mann zum Grabe getragen hätte. Der beste Kanzelredner hätte keine so warme Menschenliebe erregen können wie die schönen, menschenfreundlichen jungen Soldaten in dem Umgang mit den ebenso bereitwilligen, menschenfreundlichen Frauen. Eben diese menschenfreundlichen Frauen verdarben die Soldaten, deren Kameraden dann die gleiche Aufwart auch in ihren Quartieren verlangten, wo es öfters nicht sein konnte.
Traurige Tage, betrübte Nächte
Ich wandelte oft voll Kummer und Sorge umher wie der Schatten. Traurig und finster ging ich einmal auf Winterthur, als ich zur Stadt hinauswollte, da kam ein lieber Freund mir entgegen, der mich mit Tränen im Auge anredete: ‹Mein lieber Bosshard, sehe ich dich auch wieder einmal, wie gern hätte ich schon längst mit dir gesprochen.› Dieser Mann musste sehr viel leiden wegen politischen Verfolgungen.
Er sagte: ‹Komm wieder mit mir in die Stadt zurück, wir wollen in ein Bäckerhaus und da miteinander ein Glas Wein trinken und reden. Ich will dir dann mein Schicksal erzählen.› Und wir beide erzählten einander unsre Leiden. Der Bäcker, bei welchem wir miteinander sprachen, hörte uns aufmerksam zu. Als derselbe vernahm, wie ich in meinen ärmlichen Umständen mit so vielen Einquartierungen geplagt wurde, da sagte er zu mir: ‹Heinrich, ich habe euch noch nie gesehen, aber schon viel von euch gehört, kommt zu mir, ich will euch helfen mit Brot. Ich backe für die Truppen und ich will euch von dem gleichen Mehl Brot backen, es ist ein gutes, nahrhaftes Brot. Ihr könnt bis zur Ernte mehr als 40 Gulden Geld ersparen, ich will euch Brot auf Borg geben bis zu der Ernte, so viel ihr notwendig habet, und das in einem billigen Preis.› Wie eine Erscheinung aus der andern Welt war mir das Anerbieten dieses Bäckers. Ich nahm also bei ihm Brot bis auf die künftige Ernte, und machte bei demselben eine grosse Schuld.
Die drückenden Einquartierungen währten den ganzen Winter und Frühjahr hindurch ununterbrochen fort, bis endlich die betrübte Dienstagsnacht, den 21. Mai, kam, da sich die französischen Truppen zurückziehen mussten. Da schlugen dieselben bei unserm Ort ein Lager auf. Dieses war für uns eine sehr traurige und unglückliche Nacht. Es wurden uns beinahe alle Habseligkeiten weggenommen, selbst dem Vieh wurde nicht geschont. Mir wurde ein zwölfwöchiges Kalb weggenommen und geschlachtet, und ein neues Bett, nebst vielen hausrätlichen Sachen. Acht Tage lang hatten die französischen Truppen ein Lager bei uns. Ich musste mein Vieh wegflüchten, weil bei meiner Lehenscheuer eine Hochwacht von einem Korps Jäger ihr Lager aufgeschlagen hatte.»
MARKUS SCHÄR