Wollen die Elgger die Hofstetter krankhaft integrieren?
24.09.2022 DickbuchMehr als 20 Interessierte folgten dem Ruf des Dorfvereins zum zweiten Dorfpalaver und nahmen den Weg in die «Linde» nach Dickbuch unter die Räder oder Füsse, um Fragen auf den Grund zu gehen, wie jener, was sich seit der Fusion der zwei Gemeinden verändert hat oder wie viel Integration überhaupt gewünscht wird.
Im kleinen «Sääli» begrüssten sich Elgger, Wenzikerinnen, Dickbucher und Hofstetterinnen, unter ihnen viele bekannte, aber auch weniger bekannte Gesichter. Sie alle waren gekommen, um die Beziehung zwischen Elgg und Hofstetten mit den diversen Aussenwachten genauer unter die Lupe zu nehmen. Wie hat sie sich seit der Fusion 2018 verändert? Für Barbara Fehr war vor allem die Zeit vor dem Zusammenschluss arbeitsintensiv. Sie war damals als Gemeinderätin zuständig für die technischen Betriebe. Für den Dickbucher Werner Jucker hat sich lediglich verändert, dass die Steuern nach Elgg gehen und die Wasserrechnung von dort kommt, aber sonst ist für ihn alles beim Alten geblieben: «Wir leben in unserem Dorf und haben ein Dorfleben mit dem täglichen Stammtisch, einem Dorfbeck und immer noch keinen ÖV.» Seine Frau Lotti stimmte ihm zu, sie hätten sich für Besorgungen immer schon auf den Weg nach Elgg oder Winterthur gemacht. Früher hätte man sich in Wenzikon eher an Schlatt orientiert, beispielsweise bei der Mitgliedschaft im Turnverein oder in der Pfadi, was sich geändert habe, fügte eine junge Wenzikerin an.
Regen Gesprächsstoff beinhaltete die Feststellung, dass viele Elgger nicht wüssten, wo Dickbuch und Hofstetten lägen. Darauf folgte als «Ausrede», dass es halt schwierig sei, ohne Postauto dorthin zu gelangen. Und sich die Bevölkerung eher nach Winterthur ausrichte. Wenn man sich dann doch auf den Weg bergwärts mache, dann direkt Richtung «Schaupi». Als zentrale Ursache der spärlichen Besuche wurde einhellig der fehlende Öffentliche Verkehr (ÖV) bestimmt. Allerdings relativierte Irene Krenger allfällige Reisegelüste in die Weiler mit ihrer Äusserung: «Im alltäglichen Leben muss niemand nach Dickbuch, es hat ja nichts hier.» Wer den Weg über die Dörfer zwischen Kollbrunn und Elgg hingegen rege nutze, seien die ganzen Pendler, die den verstopften Autobahnen ausweichen würden. Ein Phänomen, das allabendlich beobachtet werden könne, was aber mit der Thematik des Palavers nichts zu tun hatte. Dass die Einführung eines Ortsbusses, Postautos oder die Ausweitung der verkehrenden Schulbusse für Privatpersonen grosse Herausforderungen logistischer, finanzieller oder rechtlicher Art meistern müsste, stand ausser Diskussion. Und ob die nötige Passagierfrequenz tatsächlich erreicht werden würde, vermochte niemand zu beantworten. Roger Gerber, einer der beiden anwesenden Gemeinderäte, dämpfte mit seinen Ausführungen die aufkeimende Begeisterung mit dem Hinweis auf die verschiedenen Faktoren und der Komplexität, die ein fahrplanmässiger Bus mit sich bringt.
Gemeinsame Feste sollen es richten
Als Ansporn für die «Unterländer», sich in die Höhe zu begeben, könnte ein gemeinsamer Anlass bei der wunderschön gelegenen, öffentlichen «Brätelstelle» oberhalb Wenzikons sein: ein Sommerfest zum Beispiel. Ein anderer Vorschlag kam aufgrund eines Artikels über Hochstammapfelbäume und dem grossen Aufwand, der ihre Fürsorge erfordert, zustande: ein gemeinsamer Pflege- und Pflückanlass. Eine Idee, die sogleich damit widerlegt wurde, dass das Schneiden von Bäumen grosses Wissen voraussetzt. Viele Früchte würden heutzutage auch gar nicht mehr abgelesen und wenn, dann seien es meist Most- und keine Tafeläpfel. Trotz allem: Die idee eines gemeinsamen Apfelfestes fand Anhänger, vor allem nach der Schilderung eines Elggers, der beschrieb, wie sich in der österreichischen Heimat seit 100 Jahren die ganze Familie zum Pflücken und zu gemeinsamem Picknick und Gesprächen trifft. Der Dorfverein zeigte sich der Idee nicht abgeneigt, verwies dabei auf den Apfelmarkt, der auf keinen Fall unter so einem Vorhaben leiden dürfe. Bedenken, dass betriebsfremde Personen in den Bäumen herumklettern, äusserte abermals Roger Gerber: «Wenn einer runterfällt, haftet der Bauer. Dieser würde wohl den ganzen Tag wie auf Nadeln sitzen.»
Langweilige Gemeindeversammlung
Einen wunden Punkt traf Barbara Fehr, als sie die Behauptung in die Runde warf, dass an der Gemeindeversammlung kaum Hofstetter anzutreffen seien, anders als früher, als diese die eigene Versammlung rege besucht hätten. Einer warf unter Gelächter ein: «Da haben sie sich wohl den Elggern angeglichen, die gehen auch nicht hin.»
Bettina Brennwald befand, dass es tatsächlich ein Frust sei. Man sehe immer die gleichen Gesichter an jeder Versammlung und die meisten seien Vertreter irgendeiner Behörde. Bürgerinnen seien kaum anzutreffen. Auf die Frage einer jungen Wenzikerin, was denn die Gemeinde dafür unternehme, um Versammlungen attraktiver zu gestalten, folgte die Gegenfrage der Gemeinderätin Stephanie Hugentobler, ob es denn nicht reiche, dass sie am Eingang stünden und nett lächeln würden. Und dann ernsthaft: «Was brauchst du denn, damit du teilnimmst?» Ob der genannte Apéro tatsächlich Abhilfe schaffen würde, ist fraglich. Diesem Geplänkel folgte ein eigentliches Plädoyer für die direkte Demokratie von Sabine Stindt: «Wir können für dieses Instrument der politischen Teilnahme dankbar sein. Jeder, der an die Versammlung geht, ist für deren Attraktivität verantwortlich. Ist sie langweilig, sind wir das selbst. Wir haben das Recht, unsere Gemeinde zu gestalten, was wollen wir noch mehr?» Das Argument eines Neuzuzügers, der niemanden kannte und sich deshalb etwas unwohl fühlte, stach nicht. Es wurde ihm empfohlen, die nächste Versammlung wieder zu besuchen. Nur so würde er Teil der Gesellschaft, auch wenn er eine andere Meinung als die Mehrheit vertreten würde, zumal die eigene Stimme ein grosses Gewicht habe.
Hofstetter bleibt Hofstetter, Fusion hin oder her
Dass die Beziehung der beiden unterschiedlichen Partner verbindende Elemente enthält, eröffnete die nächste Runde. Beispielsweise im Bereich Wasserversorgung oder der Feuerwehr Eulachtal, wo bereits seit langem zusammengearbeitet werde.
Ueli Wälchli erwähnte die Möglichkeit, am Markt teilzunehmen und seine Waren anzubieten. Schliesslich seien diese immer ein beliebter Treffpunkt, ins Gespräch zu kommen und Bekanntschaften zu schliessen – allem voran natürlich die sechs grossen Elgger Märkte. Dass eine Teilnahme am Markt, ob als Verkäufer oder Kunde, wiederum ein eigenes Auto oder einen Bus erforderte, liess das Gespräch bisweilen etwas lauter werden. Die realistische Einschätzung, dass einerseits weder Markt noch Zentrum nach Hofstetten kommen würden und andererseits die meisten der Bewohner der Aussengemeinden ihren Wohnort abseits «vom Schuss» bewusst gewählt hatten, liess wieder Einvernehmen einkehren. Ausserdem sei es schon immer so gewesen, dass man für den Wochenmarkt nach Elgg gefahren sei – Fusion hin oder her. Da habe nichts geändert.
«Die Fusion ist auch nicht aus dem Grund erfolgt, damit die Dickbucher nach Elgg fahren oder umgekehrt; sie hatte rein ökonomische Gründe. Der Rahmen wurde etwas grösser, das Bürgerrecht hat sich verändert. Ich fühle mich wohl, nachhaltig aufgehoben und sicher», begründete Gemeinderat Roger Gerber sachlich den Zusammenschluss. Die Frage stellte sich also, warum der Dorfverein als Palaver-Thema die Beziehung zwischen den Gemeinden gewählt hatte. Ob vielleicht Elgg den Drang verspüre, Hofstetten krankhaft integrieren zu wollen? Ein Bedürfnis, das weder in Dickbuch noch in Hofstetten verspürt wird – ein Dickbucher fühle sich immer noch als Dickbucher und die Sonne gehe ebenfalls noch immer im Westen unter. Und eine Hofstetterin sei immer noch eine Hofstetterin.
Zum Schluss wieder am Anfang
Ein gemeinsamer Treffpunkt sei der Schauenberg, seit jeher. Die Installation der Webcam biete zwar Vorzüge, aber ebenso viele Nachteile, da war man sich einig. Seit jeder daheim sehen könne, ob der Gipfel über dem Nebel liege, kämen die Leute von weither; eine zweifelhafte Entwicklung. Dass sich der Zustand der Wege in der letzten Zeit verbessert hat, wurde positiv gewertet. An der Beliebtheit habe sich nichts verändert. Neu sei allerdings, dass die Elgger nun ebenfalls Verantwortung für den «Schaupi» übernehmen können.
Gemeindepräsidentin Ruth Büchi sagte, sie hätte es als hilfreich und gut befunden, wenn die Post für alle eine einheitliche Postleitzahl zugelassen hätte, nämlich 8353 Elgg. «Auf die Gefahr hin, dass ich damit jemandem auf die Füsse trete», ergänzte sie. Die Meinung wurde von Gerber unterstützt, aber die Post hätte sich dazumal dagegen gewehrt, wegen ihrer Postkreise.
Über diverse Umwege gelangte die Diskussion zurück zum Thema des ersten Dorfpalavers, der Beziehung von Elgg zu Neu-Elgg, die umgehend wieder jene Dynamik annahm, wie am ersten Anlass im Mai dieses Jahres. Eine Tatsache, die mit der Bemerkung quittiert wurde, dass die Integration von neu-elgg für Elgg vielleicht die grössere Herausforderung sei als jene von Hofstetten. «Vielleicht ein psychologischer Effekt, dass Elgg seine Probleme nicht auf andere projizieren sollte.»
MARIANNE BURGENER