Wer nicht an die Magie glaubt, wird sie niemals finden
25.09.2025 ElggRafael Scholten nahm seine Gäste mit auf eine Zeitreise: Inspiriert von berühmten Magiern aus der viktorianischen Ära liess er das Publikum in seiner stets eleganten und humorvollen Aufführung Illusion und Zauber mit Händen greifen – wobei «be-greifen» ...
Rafael Scholten nahm seine Gäste mit auf eine Zeitreise: Inspiriert von berühmten Magiern aus der viktorianischen Ära liess er das Publikum in seiner stets eleganten und humorvollen Aufführung Illusion und Zauber mit Händen greifen – wobei «be-greifen» liess sich das Erlebte nicht wirklich.
Die Reise führte durch zehn Geheimnisse viktorianischer Magier: Mit Charme, verblüffenden Tricks, Stepptanz und philosophischen Gedanken über Schicksal und den Glauben an Magie zog Rafael Scholten das Publikum ab dem ersten Augenblick in seinen Bann. Mit einfachen Requisiten und Gedanken aus dem Publikum erschuf er eine Traumwelt, die selbst Skeptiker ins Grübeln brachte – auch die Schreibende ertappte sich bei der Frage, ob der Mann da oben tatsächlich zaubern kann – natürlich wider jede Vernunft und besseres Wissen.
Aber wie sonst liesse sich erklären, dass ausgerechnet in einer beliebigen Baumnuss genau jenes Wort erschien, das sich eine Zuschauerin zuvor ausgedacht hatte? Die Baumnuss war nicht etwa geöffnet, die Dame musste sie auf der Bühne mit dem Nussknacker selbst aufbrechen. Wie wird aus einem kleinen Stück Papier in einem Weinglas vor aller Augen ein Hühnerei, allein durch Schütteln des Glases? Wie verwandelt sich ein simples weisses Taschentuch in einen Flaschengeist, der wild über die Bühne tanzt? Warum schwebt plötzlich der Tisch über dem Boden – gerade noch rechtzeitig konnte Scholten ihn festhalten, unter den wachsamen Augen einer Zuschauerin, die er auf die Bühne geholt hatte. Einen mechanischen Orangenbaum liess er erblühen, die Früchte durften Zuschauer probieren. Das Verblüffende: Für seine Tricks griff er nicht in weite Ärmel oder Taschen, vieles «zauberte» er aus der Distanz und oft stand jemand aus dem Saal daneben.
Zwei Hälften ergeben nicht immer ein Ganzes
Der Niederländer ist mehrfacher Preisträger renommierter Zauberpreise: Publikums- und Jurypreis des Zirkusfestivals von Monte-Carlo sowie zweimaliger Niederländischer und Schweizer Meister der Zauberkunst; seit zehn Jahren ist er hauptberuflich als Künstler tätig. Immerhin, einen Trick entlarvten die Kids in der Pause. Scholten hatte – wohl absichtlich – das Glas mit einem Würfel am Bühnenrand stehen lassen. Mit diesem Würfel hatte er einen Gast würfeln lassen, der damit den schlechtesten der möglichen sechs Preise gewann. «Da hat es was dran, es kann immer nur eine Drei geben», freuten sie sich lautstark über ihre Entdeckung.
Danach forderte Scholten die Gäste auf, den kleinen Umschlag zu öffnen, der auf jedem Sitz lag. Unter seiner Anleitung mussten die darin enthaltenen Karten zerrissen, gemischt, vertauscht, weggeworfen, die verbleibenden abermals gemischt und dann umgedreht werden. Zum grossen Erstaunen passten die zwei übriggebliebenen Kartenteile zusammen – zumindest bei den allermeisten. In den Händen der Schreibenden befanden sich allerdings die Hälften einer Herz- und einer Kreuzkarte, ihre Karriere als Magierin dürfte sich damit erledigt haben.
Kombination aus Erzählung, Illusion, Humor und Wunder
Einige seiner wundersamen Kuriositäten widmete Scholten den berühmten Fox-Schwestern Leah, Margaret und Catherine, zentralen Figuren der frühen amerikanischen Spiritismusbewegung. Mitte des 19. Jahrhunderts behaupteten sie, in Séancen durch Klopfzeichen mit Verstorbenen kommunizieren zu können. Für seinen Trick holte Scholten erneut eine Zuschauerin auf die Bühne. Sie setzte sich in eine Kabine aus Tüchern, fungierte als Medium und wartete auf den Geist, den er rief. In der Hand hielt sie eine Glocke, auf den Knien eine fest verschlossene Schiefertafel – und sollte dabei an eine längst verstorbene Persönlichkeit denken. Nach wenigen Augenblicken läutete die Glocke, obwohl sie beteuerte, sie nicht aktiv bewegt zu haben. Auf die Frage, an wen sie gedacht habe, nannte sie «Sigmund Freud» – und tatsächlich stand genau dieser Name auf der verschlossenen Tafel. Viel zu lachen gab der Versuch, einen Suppenlöffel im Mund ohne Hände zu drehen. Klingt einfach, stellte aber doch einige Anforderungen. Doch es wäre kein Zauberer, wäre am Ende nicht aus dem Löffel eine Gabel geworden.
Mit seiner Kombination aus Erzählungen, Tanz, unvorstellbaren Tricks und grandiosem Humor rückten Vernunft und Realität für einen Abend in weite Ferne. Scholten setzte immer wieder noch einen drauf. Am Ende erhielt er einen grossen Umschlag, den eine Zuschauerin während der ganzen Vorstellung gehütet hatte. Darin: eine Zusammenfassung des Abends – inklusive aller Namen seiner Gäste und ihrer Gedanken. So tauchte das Wort «Meer» aus der Baumnuss auf, ebenso das Hühnerei aus der Publikumsaufgabe, und auch Sigmund Freud war aufgeführt.
Natürlich wurden diejenigen, die auf die Bühne geholt wurden, von Freunden und Kolleginnen befragt, ob sie etwas bemerkt hätten, was alle verneinten. Wer nicht an Magie glaubt, wird sie niemals finden. An diesem Abend hatten die Gäste vielleicht nicht daran geglaubt – und doch alle Magie gefunden.
MARIANNE BURGENER