Wenn sich das Gesetz auf den Menschenverstand verlässt
04.03.2023 WittenwilErstaunlich: Vielerorts ist es erlaubt, an seinem Fahrzeug einen Ölwechsel in freier Natur vorzunehmen, solange alles Altöl aufgefangen wird. Wer also den heimischen Vorplatz oder Garagenboden vor Flecken schützen will, fährt mit seinem Auto kurzerhand an den Waldrand ...
Erstaunlich: Vielerorts ist es erlaubt, an seinem Fahrzeug einen Ölwechsel in freier Natur vorzunehmen, solange alles Altöl aufgefangen wird. Wer also den heimischen Vorplatz oder Garagenboden vor Flecken schützen will, fährt mit seinem Auto kurzerhand an den Waldrand und führt die Arbeiten in idyllischer Umgebung aus.
Wäre der 1. April nah, möchte man an einen schlechten Scherz glauben. Aber leider steht weder das genannte Datum kurz bevor, noch handelt es sich um einen Witz. Spaziergänger konnten vor einigen Tagen am Waldrand ein Auto beobachten, an dem der Besitzer einen Ölwechsel in der freien Natur durchführte. Dies tat er wohl kaum, weil er die schöne Umgebung und die milde Frühlingsluft geniessen wollte. Das Umweltschutzgesetz besagt, dass alle Aktivitäten, die zu Umweltverschmutzung führen, verboten sind. Aber der Austausch von Motorenöl im Freien ist nicht explizit untersagt. Vorgeschrieben wird indes, dass das Altöl als Sonderabfall korrekt entsorgt werden muss.
Von der Polizei war zum beobachteten Vorfall zu vernehmen, dass derartige Arbeiten in geeigneter Umgebung zu erledigen seien und dabei unbedingt beachtet werden müsse, dass keine Flüssigkeit in den Boden gelange. Man würde sich hier auf den gesunden Menschenverstand verlassen, dass Öl nicht in der Natur gewechselt würde und wenn doch, dann nur mit der nötigen Vorsicht. Der fragliche Autobesitzer wurde vor Ort lediglich ermahnt, besondere Sorgfalt walten zu lassen und das nächste Mal seine eigene Garage zu nutzen. Verboten ist diese absurd anmutende Handlung allerdings nicht, sie wurde von den Beamten demzufolge auch nicht gestoppt.
Ein Augenschein vor Ort am nächsten Tag zeigte, dass sehr wohl Öl in den Waldboden gelangt war. Trotz Regen fand sich schwarz verfärbtes und verschmiertes Gras. Die erneut gerufene Polizei stellte jedoch fest, dass es sich für eine Anzeige, um eine zu geringe Menge handelte.
In der Natur ein absolutes No-Go
Weniger gelassen blieb der zuständige Abfallinspektor vom Amt für Umwelt. Immerhin sei schon das Wegschmeissen eines Zigarettenstummels Littering und strafbar, geschweige denn eine Verschmutzung des Bodens mit Motorenöl. Seit 2008 gelten im Kanton Thurgau Ordnungsbussen für Abfallsünder; wer «littert», kann je nach Abfallmenge mit 50, 80 oder 250 Franken gebüsst werden. Der Inspektor erkundigte sich nach allen Details des Vorfalls und behielt sich vor, weitere Schritte einzuleiten – der Schutz der Umwelt hat für ihn (zu Recht) oberste Priorität. Einen Ölwechsel in der freien Natur bezeichnete er im Gespräch als absolutes No-Go. Zum Schutz der Umwelt vor Öl oder anderen Fahrzeugflüssigkeiten müssen unter anderem Autoreparaturwerkstätten hohe Auflagen erfüllen. Patrick Schneider, Mitinhaber von HS Automobile, schreibt dazu: «Der Austausch muss in einem geschlossenen Raum stattfinden. Sämtliche Flüssigkeit wird mit einem Auffanggerät, das sich auf einer Hebebühne befindet, gesammelt. Die Lagerung von Motorenöl (neu und alt) ist gesetzlich geregelt; für jeden grossen Behälter ist ein mindestens so grosses Auffangbecken nötig. Diese Infrastruktur wird vom Umweltkontrolleur spätestens alle drei Jahre geprüft. Für jeden Liter Altöl braucht es einen gesetzlichen Entsorgungsnachweis. Dieser gesamte Umgang mit Öl ist für Garagisten mit hohen Kosten verbunden.»
Der Boden wird sich erholen
Der geschädigte Boden wird sich erholen; Benzin und Öl werden mit der Zeit wieder abgebaut. Allerdings dürften Käfer und Würmer, die an besagter Stelle im Boden hausten, die Verunreinigung nicht überlebt haben.
Wenig tröstlich, aber immerhin: Es darf wenigstens davon ausgegangen werden, dass äsende Rehe den Platz meiden werden – sie können sich schliesslich auf ihren Instinkt verlassen, was man von einigen Menschen leider nicht immer behaupten kann.
MARIANNE BURGENER