Wenn Kinder streiten: «Vertrauen Sie Ihren Kindern»
23.09.2025 AadorfAm Donnerstag, den 12. September, fand im Schulhaus Löhracker ein Vortrag zum Thema Konfliktbewältigung statt, organisiert von der Elternbildung Aadorf. Die Expertin Christelle Schläpfer gab den anwesenden Eltern wertvolle Einblicke und praktische Tipps für den Umgang mit ...
Am Donnerstag, den 12. September, fand im Schulhaus Löhracker ein Vortrag zum Thema Konfliktbewältigung statt, organisiert von der Elternbildung Aadorf. Die Expertin Christelle Schläpfer gab den anwesenden Eltern wertvolle Einblicke und praktische Tipps für den Umgang mit Konflikten im Familienalltag.
Rund 50 interessierte Eltern folgten der Einladung der Elternbildung Aadorf und lauschten gespannt den Ausführungen von Christelle Schläpfer zum brisanten Thema «Streit unter Kids». Die gemütliche Atmosphäre im Schulhaus Löhracker bot den idealen Rahmen für den informativen Abend, der bereits zum zweiten Mal in dieser Form stattfand.
Die Expertin von edufamily.ch, die ursprünglich aus dem Lehrerberuf stammt und heute weltweit in der Lehrerfortbildung tätig ist, machte gleich zu Beginn deutlich: «Streiten gehört zur Entwicklung dazu – es ist ein wichtiges Übungsfeld für Kinder.» Mit dieser Aussage nahm sie bereits viel Druck von den anwesenden Müttern und Vätern, die oft verzweifelt nach Lösungen für den täglichen Geschwisterstreit suchen.
Die Wurzeln des Streits verstehen
Die Gründe für Geschwisterstreit sind vielfältig und oft komplexer als gedacht: Langeweile, Eifersucht, das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden oder der Kampf um Aufmerksamkeit. «Primär streiten Kinder um die Gunst und Aufmerksamkeit der Eltern. Wenn wir eingreifen und Partei ergreifen, geht die Rechnung der Kinder auf – sie bekommen genau das, worum sie kämpfen», erklärt die Referentin und bringt damit viele Eltern zum Nachdenken.
Schläpfer betonte, dass bereits Kleinkinder ab etwa zwei Jahren beginnen, ihre Position in der Familie zu erkämpfen. «Jedes Kind möchte seinen Platz behaupten und fürchtet, zu kurz zu kommen», so die Expertin. Besonders in Familien mit mehreren Kindern entstehe dadurch ein komplexes Beziehungsgeflecht, das Eltern oft überfordert.
Geschwisterposition prägt fürs Leben
Besonders interessant und aufschlussreich wurde es, als die anwesenden Eltern sich nach ihrer eigenen Geschwisterposition gruppierten und ihre Kindheitserfahrungen teilten. Erstgeborene berichteten vom schmerzhaften Gefühl des «Entthront-werdens» durch jüngere Geschwister, Zweitgeborene erzählten von ständiger Konkurrenz und dem Druck, sich beweisen zu müssen. Mittelkinder fühlten sich oft übersehen und kämpften um ihre Rolle, während die Jüngsten mit dem schwierigen Kampf um Selbstständigkeit und Anerkennung zu kämpfen hatten.
«Diese verschiedenen Positionen und die damit verbundenen Erfahrungen prägen die Persönlichkeitsentwicklung nachhaltig», erklärte Schläpfer und verwies auf aktuelle Forschungsergebnisse. Die Teilnehmer nickten zustimmend – viele erkannten sich und ihre eigenen Kinder in den Beschreibungen wieder.
Wann eingreifen – wann nicht?
Die zentrale und meistdiskutierte Frage des Abends lautete: Soll ich als Elternteil eingreifen oder nicht? Schläpfers klare und für viele überraschende Antwort: «Grundsätzlich gilt: Wenn Kinder ungefähr gleich stark sind und keine Gefahr besteht, dürfen sie ihre Konflikte selbst austragen. Nur bei körperlicher Gewalt oder wenn ein Kind klar benachteiligt ist, sei sofortiges Handeln nötig.»
Diese Haltung löste zunächst Widerspruch aus – zu sehr sind Eltern gewohnt, sofort zu schlichten. Doch Schläpfer argumentierte überzeugend: «Kinder sind oft viel kompetenter als wir denken. Sie entwickeln kreative Lösungen, wenn wir ihnen den Raum dafür geben.»
Die Dozentin empfiehlt das bewährte Modell der Friedenstreppe als Orientierungshilfe: Beide Kinder erzählen ihre Sicht der Dinge, wiederholen was sie vom anderen gehört haben, sammeln gemeinsam Lösungsideen und schliessen schliesslich Frieden. «Eltern können als neutrale Beobachter dabei sein, sollten aber den Kindern zutrauen, ihre eigenen Lösungen zu finden», betonte sie mehrfach.
Streit versus Mobbing – ein wichtiger Unterschied
Ein besonders wichtiger und sensibler Punkt des Vortrags war die klare Abgrenzung zwischen normalem Geschwisterstreit und Mobbing. «Streit dreht sich um konkrete Themen wie Meinungen, Besitz oder Regeln – Mobbing hingegen zielt systematisch darauf ab, eine Person zu verletzen und zu erniedrigen», erklärte die Expertin den aufmerksam zuhörenden Eltern.
Bei Mobbing – auch unter Geschwistern – müssten Erwachsene sofort und konsequent eingreifen. Warnzeichen seien unter anderem, wenn ein Kind dauerhaft ausgegrenzt werde, wenn Konflikte nur einseitig verliefen oder wenn psychische Verletzungen zugefügt würden.
Positive Effekte des Streitens
Trotz der täglichen Nervenbelastung für Eltern hat Streiten auch wichtige positive Effekte, wie Schläpfer ausführlich darlegte: Kinder lernen dabei ihre Interessen zu vertreten, mit Enttäuschungen und Frustrationen umzugehen, Kompromisse zu schliessen und sich zu versöhnen. «Es ist ein wichtiges und notwendiges Übungsfeld für zentrale Lebenskompetenzen», so die Referentin.
Durch Konflikte entwickeln Kinder Empathie, lernen verschiedene Perspektiven kennen und trainieren ihre sozialen Fähigkeiten. «Was in der Familie gelernt wird, kommt ihnen später in Schule, Beruf und Partnerschaft zugute», ergänzte Schläpfer.
Selbstfürsorge nicht vergessen
Einen wichtigen Appell richtete die Expertin zum Schluss an die Eltern selbst: «Vergessen Sie sich selbst nicht, nur wenn Eltern selbst ihre Batterien aufgeladen haben und emotional stabil sind, können sie dem anspruchsvollen Erziehungsalltag gelassen und souverän begegnen.»
Sie empfahl den Teilnehmern, regelmässig Pausen einzulegen, sich Unterstützung zu holen und eigene Bedürfnisse nicht völlig hintenanzustellen. «Ausgeruhte und ausgeglichene Eltern reagieren weniger impulsiv und können Konflikte besser begleiten», so ihr Fazit.
Die Veranstaltung endete mit einer lebhaften Fragerunde, in der konkrete Alltagssituationen besprochen wurden. Viele Eltern verliessen den Vortrag mit neuen Erkenntnissen und dem Gefühl, besser gewappnet zu sein für die täglichen Herausforderungen des Familienlebens.
EMANUELA MANZARI
Praktische Tipps für den Alltag
Die Referentin gab den Eltern konkrete und erprobte Werkzeuge mit auf den Weg:
• Bei Streit zunächst durchatmen und bewusst abwarten
• Ich-Botschaften senden: «Mir ist es zu laut», statt Vorwürfe
• Gefühle der Kinder ernst nehmen und spiegeln
• Niemals vergleichen oder vorschnell Partei ergreifen
• Auf die individuellen Bedürfnisse jedes Kindes eingehen
• Regelmässige Einzelzeit mit jedem Kind einplanen
• Klare Familienregeln aufstellen und konsequent durchsetzen