Weihnachten. Momente, in denen der Himmel aufgeht
23.12.2025VON JOHANNA BREIDENBACH, PFARRERIN REF. KIRCHE EULACHTAL
Eigentlich hatte ich keine Zeit mehr zum Zeitunglesen.
Aber dann habe ich sie doch angeschaut: die Himmelsbilder, die auf der letzten Seite einer Zeitung in einer Ausgabe Mitte Dezember ...
VON JOHANNA BREIDENBACH, PFARRERIN REF. KIRCHE EULACHTAL
Eigentlich hatte ich keine Zeit mehr zum Zeitunglesen.
Aber dann habe ich sie doch angeschaut: die Himmelsbilder, die auf der letzten Seite einer Zeitung in einer Ausgabe Mitte Dezember abgedruckt waren.
Felix Blumer hat als pensionierter Meteorologe und hingebungsvoller Himmelsbeobachter zehn seiner schönsten Fotos veröffentlicht und kommentiert. Sie zeigen besondere Wolken oder Wetterphänomene, die im Verbund mit dem fachlichen Text eine reizende Mischung aus anrührender Schönheit und naturwissenschaftlicher Erklärung liefern. Sein Kommentar zum Bild eines seltenen Nebelbogens über Spitzbergen hat mich aufhorchen lassen.
Er schreibt: «Die Stimmung war mystisch: völlige Stille, ein leichtes Rauschen, dieses Licht – da glaubte ich kurz an die Göttlichkeit.» [«Landbote», 9. Dezember, S. 21].
Göttlich
Die Göttlichkeit, für mich ein seltsames Wort. Ein Adjektiv zu substantivieren, ohne Bezugspunkt des Adjektivs zu nennen, verwirrt mich. Göttlichkeit – wovon denn?
Vielleicht wollte Blumer damit zum Ausdruck bringen, was sehr viele Menschen empfinden: an einen Gott, der personale Züge trägt und besondere Kräfte hat, gewissermassen an eine Superperson, glaube ich nicht.
Aber an einem universellen Zusammenhang, an etwas Grösserem, Höherem, das sich in Momenten zeigt, die mich zum Staunen bringen – daran komme ich nicht immer vorbei.
Richard Rohr, ein Autor vieler Bücher über Spiritualität, hat einmal gesagt: Viele Menschen finden zu Gott entweder durch die Erfahrung von tiefem Leid oder durch die Erfahrung von atemberaubender Schönheit. In beidem merken wir: das ist viel grösser als ich.
Das überfordert, ängstigt auch – und es kann uns weiten. Das ist die Chance, wenn uns etwas begegnet, das zu gross ist für uns: Es kann uns neu erden und gleichzeitig öffnen für den Himmel.
Herr Blumer schreibt: ich glaubte kurz. Vielleicht spricht da der Naturwissenschaftler, der sich einen Moment religiöses Gefühl gegönnt hat, aber dann wieder wie gewohnt funktioniert.
Gemessen an Gottes Langmut glauben wir allerdings alle nur kurz. Die allermeisten Menschen jedenfalls, die glauben, sind gläubig und frohgemut, dann wieder am zweifeln und ängstlich. Sie vertrauen sich Gott an, sind verbunden mit sich und der Welt, gehen aufrecht ihren Weg – und wenn die nächste Herausforderung kommt, ist man auf einmal wieder klein und allein.
Diese seelische Dynamik in einem selbst kann man nur sehr sanft steuern und begleiten.
Aber was wir machen können, ist: wenn uns für einen Moment der Himmel aufgeht – wie dem Meteorologen über Spitzbergen oder wie den Hirten auf den Feldern vor Bethlehem – es ernst nehmen.
Das Staunen, so sehen es die Philosophen Platon und Aristoteles, ist der Beginn der Liebe zur Weisheit. Das bedeutet Philosophie wörtlich übersetzt. So ein Moment kann der Beginn einer Suche sein, einer Sehnsucht nach mehr. Dann lassen wir zu, dass wir etwas unsicher werden, ob unser Weltbild stimmt. Aber genau das ist eine Verunsicherung, die belebt.
Weisheit der Liebe
Die Hirten haben sich nach Ende ihres himmlischen Moments aufgemacht zu dem Kind, als erste menschliche Zeugen des viel zu grossen Geschehens, dass Gott Mensch wurde.
Ein göttliches Kind: ein Baby zwar, das war wie alle Neugeborenen. Doch strahlte es einen Frieden aus, der den Glauben dieser hartgesottenen Männer – so viel oder so wenig sie hatten – an Gottes Nähe leuchten liess.
Alle, die in seine Nähe kommen, ja, der Kosmos, atmete erleichtert auf, dass Jesus, der Christus, geboren wurde. Denn mit ihm kommt eine Weisheit in die Welt, die den Bruch in der ganzen Schöpfung heilt. Eine Weisheit allerdings, die unserem Weltwissen entgegensteht und uns genauso befreiend wie unbequem entgegenkommt. Es ist die Weisheit der Liebe. Wir suchen die Effizienz: und Jesus lehrt uns Geduld. Wir versuchen gut vor uns selbst dazustehen: Christus zeigt, wie liebevoll er hinter unsere Masken sieht. Wir haben Mitleid mit denen, die unten sind: Christus stellt sich neben sie. Er schweigt mit ihnen und begehrt mit ihnen auf.
Und zeigt uns so: was und wer Gott ist.
Eine Engelsschar über dem Felde, eine mystische Stimmung, ein Moment, wo der Himmel aufgeht: das sind Hinweise auf Gottes Grösse und Heiligkeit.
Und ein Menschenkind, das sein Leben einsetzt für andere und genau darin das Anbrechen von Gottes Reich feiert: das ist der Hinweis auf Gottes Herz, das schlägt für die Armen.
Und genau darin besteht in meinen Augen die Verheissung von Weihnachten: wenn wir unser Leben wagen, nicht mit dem Ziel, möglichst sicher und möglichst «richtig» durchzukommen, sondern lebendig und als liebende Menschen.
Dann geht auch über unserem kleinen Leben der Himmel auf: wie wenn ein Nebelbogen über Spitzbergen sich zeigt und man kurz an Gottes Nähe glauben kann.

