Was bei der Gräberräumung passiert
07.05.2022 Aadorf20 Jahre nach der Bestattung werden vielerorts die Gräber geräumt – Aadorf informiert über diesen Schritt aktuell auf der Website. Sich von einem geliebten Menschen für immer zu verabschieden, ist schwer genug. Doch die wenigsten Trauernden sind sich bewusst, dass die Beerdigung nicht der letzte Abschied ist.
Die Information und die trockene Begrifflichkeit können Betroffenen ein falsches Bild davon vermitteln, was anlässlich der Grabräumung tatsächlich passiert. Gemäss Auskunft von Daniel Mathis, Leiter Werkhof, sind es nur die ersten 15 bis 20 Zentimeter Erdschicht, die nach Ablauf der im Friedhofsreglement festgesetzten Grabruhe abgetragen werden. Die Angehörigen werden im Vorfeld brieflich über die anstehende diesjährige Räumung informiert und haben Gelegenheit, Grabsteine und -schmuck bis zum 15. Mai vom Grab zu entfernen. Nach diesem Datum verfügen die Gemeinde, respektive die Friedhofsverwaltung, über die verbliebenen Gegenstände. Dies gilt auch für Verstorbene, zu deren Angehörigen kein Kontakt hergestellt werden kann, weil ihr Verbleib unbekannt ist.
«Dann werden die Einfassungen, Bepflanzung und der allenfalls verbliebene Grabstein entfernt», erklärt Mathis die anstehenden Arbeiten. Die Gebeine der Verstorbenen liegen indes viel tiefer und werden nicht angerührt. Geräumte Gräber werden danach nicht sofort neu bezogen: Aus Pietätsgründen werden die aufgehobenen Grabfelder zunächst mit Wiese bepflanzt und in der Regel für einige Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte, brach liegen gelassen. Wird die Fläche wieder für Bestattungen freigegeben, folgen meist Urnengräber, die nicht so tief gehen. Über den sterblichen Überresten des ursprünglichen Grabbewohners wird also – wenn überhaupt – eine Urne bestattet.
Mirella Baumgartner, Bereichsleiterin Einwohnerdienste, ist verantwortlich für die administrative Abwicklung im Vorfeld der Räumungen. Sie führt aus: «Auf den Aadorfer Friedhöfen werden nur ganze Reihen aufgehoben, nicht einzelne Gräber. Dadurch kann es vorkommen, dass ein Grab einige Jahre länger als die vorgegebenen 20 erhalten bleibt.» Die Situation ist grundsätzlich die, dass es immer weniger Erdbestattungen gibt – immer mehr Menschen wünschen eine Urnenbestattung, die weniger Raum benötigt. Dadurch herrscht auf den vier Friedhöfen der Gemeinde kein Platzmangel. Trotzdem werden nach ungefähr 20 Jahren die Gräber aufgehoben. Den Grund erklärt die Bereichsleiterin: «Viele Angehörige haben einen Grabunterhaltsvertrag abgeschlossen, früher mit der Kirche, heute mit der Gemeinde. Die Vertragsdauer beträgt 20 Jahre und beinhaltet jedes Jahr eine zweimalige Neubepflanzung durch den Gärtner. Danach läuft der Vertrag aus und die Kosten gehen zulasten der Gemeinde, was für ein paar Jahre keine grosse Rolle spielen mag.»
Am Ende bleiben die Erinnerung und ein Stein
Die eine Seite der Grabräumung ist der eigentliche Vorgang. Aber was geschieht mit den Angehörigen, wenn sie den räumlichen Bezugspunkt zum Verstorbenen auf dem Friedhof verlieren? Mirella Baumgartner meint dazu, dass ihr kein Fall bekannt wäre, wo sich Angehörige an sie wandten, weil sie damit ein Problem gehabt hätten – 20 Jahre sei eine doch sehr lange Zeit. Und auch wenn der örtliche Bezug weg sei, würden die Menschen deshalb ja nicht in Vergessenheit geraten. Zudem besteht die Möglichkeit, den Stein in den eigenen Garten zu holen und sich so einen neuen Ort für die Begegnung zu schaffen. Ist das aus Platzgründen nicht möglich, kann er neuen Zwecken zugeführt werden – so gibt es Beispiele, wo aus einem ehemaligen Grabstein hübsche Vogelbäder gefertigt wurden oder Teile davon als Steinhöhlen für Aquarienfische funktionieren. Verzichten die Angehörigen gänzlich auf den Stein, wird dieser zerschlagen und zu Kies verarbeitet. Auf dem besuchten Friedhof in Aadorf wurden bis jetzt erst deren zwei abgeholt, ein dritter wird sicher folgen – das Schicksal der anderen ist noch ungewiss.
MARIANNE BURGENER