Von der Stammtischidee zu den Abenteuern

  12.11.2022 Ettenhausen

Aus einer Idee am Stammtisch wurde erst eine Fahrt auf Militärvelos nach Spanien. Drei Jahre später ging die nächste Reise nach Kroatien. Ob wohl schon bald eine neue Tour auf dem Plan steht?

Es war einmal ein gemütlicher Abend unter Freunden. Auf dem Stammtisch lagen zwei Blätter mit einem Vorschlag für eine Militärvelotour in rund sieben Etappen nach Spanien. Dazu Ignaz Zehnder: «Wir studierten zu dritt die Stationen und machten uns Gedanken darüber, wie fit man für eine solche Fahrt sein sollte.» Die Teilstrecken waren jeweils über 100 Kilometer lang. «Die Distanz ist das eine. Aber die Fahrt auf dem Militärvelo mit nur einem Gang zu bewältigen?», der Ettenhauser hatte seine Bedenken, zumal die anderen beiden 13 Jahre jünger sind als er. «Meine zwei Freunde Marcel Schwager und Mario Baumgartner, beide auch aus Ettenhausen, bestreiten Militärradrennen. Ich jedoch trainierte noch nie auf einem solchen ‹Göppel›. Die beiden sind topfit und bestreiten auch Waffenläufe. Nach ein oder zwei Bier kam der Vorschlag, dass ich auch mit ihnen mitfahren soll. Und so kam es, dass ich mit einem Militärvelo eines Kollegen mitten in der Nacht eine Probefahrt machte. Das Velo war mit Licht ausgestattet und so konnte ich es ausprobieren. Ich kannte es nur vom Militär. Als Büroordonnanz musste ich ab und zu damit hin und her fahren. Das war alles.»
Die Probefahrt ergab, dass das Militärfahrrad zumindest in der ebenE und trotz seiner 23 Kilogramm mühelos lief. Ab diesem Tag bekam Zehnder täglich die gleiche Frage gestellt: «Hast du es dir jetzt überlegt, kommst du mit?» Das war im Juli 2019. Auch seine Ausrede, er habe kein Militärvelo, nützte nichts.

Ins Training auf dem Ordonnanzrad 05

«Am ersten August, anlässlich der Bundesfeier, kam Markus Schwyter auf mich zu. Er habe gehört, dass ich noch ein Militärvelo für die Fahrt nach Spanien brauche. Er habe eines. Dann entschied ich mich, für diese Fahrt zu trainieren und mit meinen Freunden nach Spanien zu fahren. Mein Vorbehalt war, dass ich, falls es mir zu streng wird, eine Etappe aussetze und öffentliche Verkehrsmittel nutze. Eine Woche später war ich im Besitz eines Militärvelos, einem sogenannten Ordonnanzrad 05, im Jahr 1905 in der Schweizer Armee eingeführt. Ich hatte noch eineinhalb Monate Zeit für das Training. Hierzu gehörte auch, das Velo mechanisch im Detail zu kennen, sei es das Fahrverhalten wie auch die Reparaturmöglichkeiten. So wurde ich zum Mech», schmunzelt Zehnder.
«Ich habe das Velo gefühlte hundertmal auseinandergenommen, wieder zusammengesetzt, Pneus gewechselt, andere Ritzel für eine leichtere oder strengere Übersetzung montiert und Rücktritt sowie Trommelbremse in ihrer Funktion studiert. Zudem trainierte ich etwa zweimal pro Woche mit dem Velo. Die Strecken wurden mit der Zeit immer länger und am Wildberg bei Turbenthal kamen Steigungen dazu.»

Lieber Rücken- als Gegenwind

Im September 2019 ging es dann los. Vorgängig gebucht wurde nur das Zimmer für die erste Nacht. Ende September konnte man das Risiko eingehen, unterwegs freie Zimmer zu bekommen. «Am ersten Tag fuhren wir früh morgens mit dem Zug nach Genf. Die Tour sollte an der Schweizer Grenze starten. Die erste hügelige Etappe war für mich sehr streng. Ich musste mich zuerst an alles gewöhnen. Zudem wiegt das Velo mit Original-Saccochen 23 Kilogramm. Dazu kam noch das Gepäck mit rund 20 Kilogramm in den Seitentaschen. Das merkte man vor allem bergauf. Auch der Teil über die Pyrenäen war streng. Insgesamt pedalten wir während acht tagen. Die täglichen Etappenlängen betrugen zwischen 105 und 140 Kilometer. Die Landschaft, insbesondere der Rhone entlang und später in Südfrankreich, war atemberaubend. Bei Rückenwind ‹fägets› wie verrückt und bei GeGenwind, wie im Languedoc, Südfrankreich, war es dann weniger schön. Da war diszipliniertes, eingeübtes Windschattenfahren angesagt. Übernachtet wurde in Hotels, Airbnbs und Bed and Breakfasts. Vom Wetter her war es perfekt, immer trocken, was für Begeisterung und tolle Stimmung sorgte. Auch gab es nur einen Platten. Das ist nicht viel auf einer Strecke von rund 1000 Kilometern. Wir fuhren auch viele Feldwege der Rhone entlang.»

Nach Spanien ist vor Kroatien

Nach der Ankunft waren dann noch ein paar Tage Ferien angesagt. «Auch zwei unserer Frauen reisten für diesen Urlaub an. Die Rückreise erfolgte dann mit dem Flugzeug. Das Erlebnis war so toll, dass wir uns kurzerhand entschlossen, nochmal etwas zu machen. Leider kam jedoch Corona dazwischen. Kroatien kreiste aber in den Köpfen herum. Und wie es so ist, musste der Pensionierte dann die Planung übernehmen.»
Am 17. September ging die Reise per Auto ins Münstertal an die Schweizer Grenze. Mit den Velos startete tags darauf die eigentliche Tour durch das Vinschgau via Meran und weiter bis nach Bozen. Es waren wieder acht Etappen eingeplant, diesmal etwas kürzer. «Der grösste Teil der Strecke war flach, mit einigen hügeligen Intermezzos in wunderschönen Rebbergen. Die grösste Herausforderung folgte auf den beiden letzten Strecken mit 1200 Höhenmetern über die Halbinsel Pula in Istrien und dann mit nochmals 850 Höhenmetern auf der Insel Krk selbst, unserem Ziel.»

«Der Wein war unser Isostar»

Die erste Etappe führte von St. Maria nach Bozen. Bereits auf dieser fing Marcel Schwager einen Platten ein. «Aber das ist kein Problem, schnell geflickt», erklärt Ignaz Zehnder. «Am Fahrrad von Marcel Schwager musste dann auf einem weiteren Abschnitt noch eine Speiche repariert werden. Der zweite Velomechaniker konnte die Panne beheben, während friedlich zu Mittag gegessen werden konnte.»
Der zweite Abschnitt ging von Bozen in Richtung Gardasee der Etsch entlang. «Unterwegs schauten wir, wo übernachtet werden konnte. Nichts war vorreserviert und wir fanden auch immer eine Unterkunft. Agrotourismus ist in Italien stark verbreitet.» Verona war das nächste Etappenziel. «Wir sahen uns auch einige Sehenswürdigkeiten an. Da wir dem Zeitplan voraus waren, fuhr man gleich etwa 30 Kilometer weiter und fand eine herrliche Unterkunft in einem restaurierten schlossähnlichen Landgut. Einige Male kauften wir uns etwas ein und picknickten unterwegs. Da durfte eine Flasche Wein natürlich nicht fehlen», schmunzelt Zehnder, «denn das war unser Isostar.»

Der rettende Mechaniker

Weiter ging es auf einer langen Etappe Richtung Treviso. Tags darauf startete eine Strecke mit wenig Radwegen und viel Verkehr. Nach rund 30 Kilometern und super unterwegs, kam, was nicht erwartet wurde. Auf einmal trampelte Ignaz Zehnder ins Leere. Das Pedal war gebrochen. Was nun? Jetzt war Teamwork gefordert. Seine Freunde schoben ihn ein Stück weit auf der Suche nach einem Mechaniker. Der erste Versuch lief schief, nach kurzer Fahrt brach es wieder ab. Nun musste ein richtiger Mechaniker ran. Mit dem Glück, in der Nähe einer Bahnlinie zu sein, war die nächstgrössere Stadt das Ziel. So ging es weiter mit dem Zug nach Triest. Auf Empfehlung eines Velomechanikers fand man dann hier die unscheinbare Werkstatt, in welcher sich die rettende Hilfe offenbarte. «Als erstes bot uns der gute Mann namens Sascha gleich ein Bier an», schmunzelte Ignaz Zehnder. «Der Mann leistete wirklich sensationelle Arbeit, rauchte zwischendurch einen Joint und mit etwas Englisch, Händen und Füssen fand man bald eine Lösung. Er stellte aus einem Torsionsstab eine neue Achse her. Das gebrochene Achsstück musste zuerst herausgenommen werden. Das war nicht ganz einfach, war es doch teils verrostet. Abends um 21 Uhr liessen wir ihn weiterarbeiten und gingen etwas essen. Der Mechaniker sagte, wir sollen am anderen Morgen wieder kommen.»
Am besagten Morgen war der Mechaniker immer noch an der Arbeit. Nach dem Einbau liess er es sich nicht nehmen, mit dem militärvelo eine Probefahrt zu starten. «Er hat mir sogar fünf Jahre Garantie gegeben auf die Achse. Falls diese nicht hält, dann stelle er wieder eine neue her. Diese war dann erwartungsgemäss teuer, aber immer noch viel billiger als alle anderen Varianten. Und ein Abbruch der Reise war keine Option. Er zeigte uns noch viele seiner Arbeiten, alles Einzelstücke, etliche davon als Ersatzteile für Schiffe, welche havariert im Hafen lagen.»

80 Kilometer, 1200 Höhenmeter, sechs Stunden

Es stand die strengste Etappe an: von Triest über die Berge nach Rijeka. 1200 Höhenmeter, 80 Kilometer und sechs Stunden Fahrt, teils auf einem alten Bahntrassee mit Schotterwegen. «Sehr vieles konnten wir fahren, einfach nicht allzu schnell. Die grüne Grenze nach Slowenien wurde relativ bald erreicht. Weiter ging es Richtung Rijeka in Kroatien. Obwohl in Triest erst gegen Mittag losgefahren, erreichten wir den Ort noch vor dem Eindunkeln. Auf der letzten Strecke von Rijeka nach Krk erwarteten uns nochmals viele Höhenmeter. Kurz nach dem Start ging es extrem steil bergauf. Wir mussten auf den Zehenspitzen laufen, so steil war es», erklärt Ignaz Zehnder. «Dieser Aufstieg dauerte rund eine halbe Stunde. Fast die Hälfte der letzten Etappe fuhren wir auf dem Festland, dann über die grosse Brücke zur Insel Krk. Bis etwa zu ihrer Mitte musste auf der Hauptstrasse gefahren werden. Die Lastwagen überholten uns teils sehr nahe, es war beschwerlich und nicht ungefährlich.»
Der Spass kam trotz Strapazen nicht zu kurz. Auch die Picknicks sind legendär und unvergessliche Momente. Die ganze Reise wurde auf «Komoot» geplant. Mit dem Handy als Navigation konnte die Tour problemlos gefahren werden. Ignaz Zehnder: «Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich das nächste Mal trotz zum Teil vieler Zusatzkilometer noch mehr auf Nebenstrassen mit weniger Verkehr ausweichen würde. Bei dauernder Konzentration fehlt der Spass. Schön ist, dass niemand von uns gesundheitliche Probleme hatte, es keinen Sturz gab und die Defekte gut behoben werden konnten. Wichtig war, immer viel zu trinken. Da lag auch mal ein Bier drin. Gegenseitige Rücksichtnahme und Hilfe waren ein wichtiger Teil für das tolle Erlebnis. Auch die Vorbereitung war gut und die Fitness reichte aus für die Fahrt. Vom Wetter her war die Tour ebenso ideal, denn es regnete nie.»

Begrüsst mit Schweizerfahnen und Bier

«Nach sieben Stationen kamen wir mit gut 600 Kilometern in den Beinen am Zielort auf der Insel Krk an, infolge der Umstrukturierung wegen Achsenbruchs mit etwa 100 Kilometern weniger auf dem Zähler als geplant. Die Ankunft im Hotel war speziell. Edgar Eisenegger und unsere Frauen, welche schon drei Tage vorher angereist waren, begrüssten uns mit Schweizerfahnen und Bier. Zusammen genossen wir noch einige Tage Ferien.» Die Fahrräder wurden durch einen Busunternehmer, welcher pro Woche drei bis vier Mal von Zürich nach Kroatien fährt, mitgenommen. «Wir konnten die Velos in der Stadt Rijeka mitgeben.» Geplant ist noch keine weitere Tour. Doch: Sag niemals nie. Man darf auf eine eventuelle Fortsetzung gespannt sein.

BRIGITTE KUNZ-KÄGI


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