Von Chaos zu Chaos – Das Quantensprungkabarett
04.12.2025 AadorfAnet Corti wirbelte ihr Publikum einen Abend lang auf. In «Next Level – ein Quantensprung» schlüpft sie als Kabarettistin, Nörglerin, Philosophin und Geheimagentin durch die Themen des Lebens – vom Alltäglichen bis zum Absurden – und zeigt, wie nah Chaos ...
Anet Corti wirbelte ihr Publikum einen Abend lang auf. In «Next Level – ein Quantensprung» schlüpft sie als Kabarettistin, Nörglerin, Philosophin und Geheimagentin durch die Themen des Lebens – vom Alltäglichen bis zum Absurden – und zeigt, wie nah Chaos und Kunst beieinanderliegen.
Gleich doppelt warnte Anet Corti das Publikum vor dem, was es die nächsten zwei Stunden erwartete. Ihre Show «Next Level – ein Quantensprung» hielt, was der Titel versprach. Als Quantensprung bezeichnet man in der Alltagssprache nichts Geringeres, als einen Fortschritt, der innerhalb kürzester Zeit eine Entwicklung einen sehr bedeutenden Schritt voranbringt. Corti machte vielleicht keinen grossen Schritt, aber unzählige kleine; sie wirbelte, hüpfte, tanzte und lief über die Bühne des Kleinkunstsaals, dass es einem schwindlig werden konnte – dazu redete und sang sie. Als Anet Corti, als Nörglerin Mara Müllhaupt, als pragmatische Flurina Fasutt oder als kindlich-naive Betty Böni. Dieses Team wohnte im Hirn von Anet und versuchte, Ordnung ins Durcheinander ihrer Besitzerin zu bringen, meist vergeblich oder zumindest mit bescheidenem Erfolg.
Es ist bereits das fünfte Bühnenprogramm der Basler Kabarettistin und Komödiantin. Sie stellt sich darin den wichtigen Fragen unserer Zeit: Wohin bewegt sich die Gesellschaft? Was macht Veränderung mit uns? Und ist ein Quantensprung wirklich der Umbruch – oder doch nur ein winziger Moment, der alles verändert? Mit scharfem Humor und poetischer Überforderung navigiert sie durch persönliche Kämpfe und gesellschaftliche Krisen. Eine geballte Ladung temperamentvolles, audiovisuelles Theater. Aktuell, absurd – und zutiefst menschlich.
Britta, Yuccapalme mit Rat, Tat und Hüftschwung
Bereits im nächsten Level befand sich Bühnenpartnerin Britta. Ein KI-Bot, eine Yuccapalme mit elegantem Hüftschwung, die die Künstlerin als Psychologin beriet und den Zuschauern ungefragt Peinlichkeiten preisgab und meist mit nutzlosen Ratschlägen aufwartete. War die Palme ruhig, plauderte Fasutt aus dem Nähkästchen, nörgelte Müllhaupt oder las Böni aus ihrem Tagebuch tiefgründige Poesie vor, wie: «Wenn der Nebel die Sicht versperrt, geh ab dem Gas, s’wär nicht verkehrt.» Dank einer Überwachungskamera behielten die drei ihre Chefin auch hinter der Bühne im Blick – zu ihrem Nachteil und zum Vergnügen des Publikums. Die angeblichen Weisheiten bündnerischer Schriftsteller, die Fasutt in Fantasie-Rumantsch zitierte, erwiesen sich ebenso nur als bedingte Hilfe, irgendetwas in den Griff zu bekommen.
Corti sprach von kreisenden Gedanken um nicht ausgefüllte Steuererklärungen, volle Wäschetrockner, routinemässige Darmspiegelungen oder Zahnkontrollen... diese unangenehmen Dinge, die wir immer aufschieben – und die nachts zu Monstern werden. Sie sinnierte über die letzte gescheiterte Beziehung und über missratene Äusserungen vor der breiten Öffentlichkeit. Ihre Versagensängste drehten sich immer schneller – der Titel der Show schien ihr über den Kopf zu wachsen. Next Level – wie sollte sie diesem immensen Druck standhalten, den sie sich damit selbst auferlegt hatte? Abhilfe schaffte der exzessive Süssigkeitenkonsum hinter der Bühne, vermeintlich heimlich...
Die sprunghafte Verwandlung vom Insekt zur Agentin
Der Einstieg in die zweite Hälfte der Show gestaltete Corti mit Kafkas «Die Verwandlung» als Tanz-Text-Performance. Es ist die Geschichte des Handelsreisenden Gregor Samsa, der eines Morgens als riesiges Insekt aufwacht. Zentrale Themen der Erzählung sind Vernachlässigung und Einsamkeit, an denen Samsa schliesslich zugrunde geht. Selbsterklärend endet auch diese Vorstellung im Desaster. «Vielleicht ist meine Idee einfach zu intellektuell. Vielleicht müsste man das Thema mit mehr Leidenschaft, lustvoller und weniger Kopf angehen.» Wer die Geschichte gelesen hat – oder lesen musste – weiss um die Unmöglichkeit dieses Unterfangens.
Als nächstes schlüpfte sie in die Rolle der Geheimagentin Jeanne Bondi. Als solche wachte sie an der Seite von UBS-Chef Sergio Ermotti in einem Zürcher Nobelhotel auf, dem sie zuvor das Leben gerettet hatte. Bondi, standesgemäss ausgerüstet mit diversen Wunderwaffen aus einem Kellerlabor der Eidgenössischen Technischen Hochschule: einem Ministurmgewehr in einem Lippenstift, eine Freitagtasche, die sich auf Knopfdruck in ein Schlauchboot verwandelt sowie ein Microlino-Auto im Hosensackformat.
Ihre Mission führte Bondi nach Andermatt, wo sie im Chedi-Hotel einer Verschwörung auf die Spur kam. Im Holzstier Max führte sie ein Lift tief unter die Erde in eine Anlage, die Elon Musk persönlich erbaut hatte. Es war eine Samenbank mit den Genen der US-Techmilliardäre; auf dem Mars sollte ein neues Herrenvolk auferstehen. Bondi kämpfte nicht nur für den Weltfrieden, sie rettete auch Roger Federer vor der Verschleppung mit der bereitstehenden Space-X-Rakete, die sie schliesslich mit einer Fonduegabel zum Absturz brachte.
Chaos, Kurzschluss und ein Hoffnungsschimmer
Der Abend endete im chaotischen Licht- und Tonfeuerwerk mit einem Kurzschluss, genau wie er begonnen hatte. Müllhaupt wunderte sich über die Aggressionen, die in ihrer Chefin zu stecken schienen, lieferte aber auch gleich eine Erklärung: «Das kommt halt davon, wenn man als Gesellschaft immer alles zu deckeln versucht. Irgendwann explodiert dann alles wie ein Dampfkochtopf mit verstopftem Ventil.» Bevor aus der Chaostruppe in Cortis Kopf Wutbürgerinnen werden konnten, meldete sich Eugenia Euphoria mit der Absicht, ebenfalls einzuziehen, um Zuversicht und Kraft ins Leben zu bringen – Etwas, das mit Bestimmtheit nie fehl am Platz ist – für die grossen wie die kleinen Sprünge im Leben.
MARIANNE BURGENER


