VOM ELGGER GESCHICHTENPFAD ZUM THEMA SPUREN
05.10.2023 ElggAm 17. September fand der achte Elgger Geschichtenpfad statt. An diesem Tag erzählten mehrere Autorinnen und Autoren Geschichten zum Thema «Spuren» an unterschiedlichen Orten in der Gemeinde, wobei Interessierte von jung bis alt zuhörten. Wir veröffentlichen die ...
Am 17. September fand der achte Elgger Geschichtenpfad statt. An diesem Tag erzählten mehrere Autorinnen und Autoren Geschichten zum Thema «Spuren» an unterschiedlichen Orten in der Gemeinde, wobei Interessierte von jung bis alt zuhörten. Wir veröffentlichen die Geschichten an dieser Stelle in einer mehrteiligen Serie.
«Manfreds Geschichte»
Gestern erhielt ich einen Brief von Manfred. Erstaunlich, dass er so eine schöne Schrift hat. Weil ich seine Anrufe nie annehme und seine Mails nicht beantworte, schreibt er mir ab und zu. Ich habe ihm vor Jahren einmal einen Gefallen getan und seither glaubt er, er müsse mir von seinen Heldentaten, die ich eher Schandtaten nennen würde, berichten. Ich lege keinen Wert auf seine Freundschaft, am Ende dieser Geschichte werden sie verstehen warum. Aber dieser Brief gestern, der hat es in sich. Was er mir da berichtet hat, kann ich fast nicht glauben. Ich muss Voraus schicken: Manfred besitzt in der Nähe ein Haus mit recht viel Umschwung. Bisher wohnte er aber nur sporadisch darin. Viel lieber hielt er sich in exotischen Ländern auf, «dort wo Frauen noch Frauen sind». Womit er sein Geld verdient? Keine Ahnung. Etwas Anständiges kann es jedenfalls nicht sein. Er ist reich, neureich würde ich behaupten. Und er glaubt, dass man sich mit Geld alles kaufen kann. Jetzt, schreibt er:
«Da ich jetzt nicht mehr der Jüngste bin, überlege ich, wieder öfter Zeit hier zu verbringen. So habe ich erstmals seit Jahrzehnten wieder einmal einen Winter hier überstanden, sozusagen als Probe, ob ich diese Düsternis in meinen alten Tagen aushalten könnte. Nun ist mir klar geworden, warum ich immer diese horrenden Beträge für Gartenpflege bezahen musste. In meinem Garten gibt es Bäume, Sträucher und andere Pflanzen. Und stell dir vor: Die haben alle Blätter! Wusstest du das? Jedes Gewächs hat Blätter und die fallen im Herbst auf den Boden, haufenweise im Fall. Und die Gärtner haben tageweise zu tun, um dieses Zeugs zusammenzurechen und zu entsorgen! Und die besorgen das von Hand, mit Laubrechen. Dabei gäbe es doch so praktische benzinbetriebene Bläser, die diese sympathischen Motorengeräusche von sich geben und den lieblichen Duft nach Benzin oder Diesel verbreiteten. Als ich ein solches Gerät erstmals in Amerika gesehen und gehört habe, war ich mir sicher, dass so etwas Sinnvolles nie in der Schweiz zur Anwendung kommen werde. Weil man da, mit Verlaub, schon extrem hinterwäldlerisch ist. Aber scheinbar gibt es auch hierzulande fortschrittliche Köpfe. Jedenfalls habe ich so ein Gerät hier schon einmal gesehen und dem Anwender innerlich dazu gratuliert. Kürzlich, musste ich an eine Trauerfeier in die Kirche. Dort hat der Pfarrer davon geschwafelt, dass Gott gebe und nehme. Dann soll er doch ‹stärneföifi› dieses Laub nicht nur geben, sondern auch wieder nehmen, habe ich gedacht. Jetzt war ich doch letzthin zum Essen in einem Landgasthof in der Innerschweiz eingeladen. Um das idyllisch gelegene, ehemalige Bauernhaus breitet sich ein sogenannter Schottergarten aus. Keine einzige Pflanze stört dort die Anlage. Nur Steine, grössere und kleine. Da ist mir die Idee gekommen, du ahnst es. Anderntags habe ich die Gärtnerei angerufen, die seit Jahren meinen Umschwung pflegt und daran ganz ordentlich verdient. Ich vereinbarte ein Treffen mit dem Chef. Wie sich dann herausstellte, ist der Chef eine Chefin. Mir schwante sofort, dass die zu nichts taugt. Du weisst ja, was ich von berufstätigen Frauen halte.
Angesichts meiner Plan-Skizze hat mich die Gärtnerin entsetzt angestarrt und gefragt, ob ich das ernst meine. Natürlich meine ich das, habe ich beteuert, und versichert, dass ich dafür auch bezahlen werde. Den Preis müsse man noch aushandeln. ‹Die 300-jährige Eiche, den uralten Nussbaum, die Birken, Eiben… die wollen sie alle gefällt haben›, fragte sie ungläubig. Kein Grünzeug mehr, versicherte ich mit Vehemenz. Das ergibt ja jedes Jahr eine Sauerei und verursacht enorme Kosten. Wie ich es geahnt hatte, wollte sie mir meine Pläne ausreden. Als sie merkte, dass ich kein Jota nachgab, erklärte sie, dass sie diesen Auftrag ablehne. Gärtnerinnen und Gärtner hätten diesen Beruf ergriffen, weil sie Pflanzen, kurz die Natur liebten. Sie schwafelte von Erderwärmung, Hitzestau und anderem obstrusem Zeug. Mit Tränen in den Augen beschwor sie mich, auf die Umsetzung meiner Pläne zu verzichten, es sei ein Verbrechen, sie umzusetzen. So eine impertinente Person! Janu, dachte ich, es gibt ja noch andere Gärtnereien in der Gegend und die wissen einen solchen Auftrag sicher zu schätzen. Was soll ich dir aufzählen, bei wievielen davon ich mein Glück versucht habe. Keine scheint mein Geld nötig zu haben, auch wenn ich immer grosszügigere Angebote machte. Alle haben sie abgesagt mit denselben verschwurbelten Ausreden. In meiner Not rief ich in jenen Landgasthof an, wo ich erstmals so einen Steingarten gesehen hatte. Der Besitzer gab mir kurzerhand die Adresse eines Bauunternehmers. Auch er hatte seinerzeit mit seinen Plänen bei den Gärtnern buchstäblich auf Granit gebissen. Um es kurz zu machen: Die Bauarbeiter donnerten mit effizienten, riesigen Fahrzeugen an und innerhalb weniger Tage hatte ich meinen Geröll- oder Steingarten, genauso, wie ich ihn mir gewünscht hatte. Zwischen Kies und Geröll platzierten die Arbeiter einige Felsbrocken, so Matterhörner en miniature. Natürlich motzten etliche Nachbarn, aber was verstehen denn die von Landschaftsarchitektur! Die Anschuldigungen sind angesichts des gelungenen Werks, der nun ordentlich aufgeräumten Anlage, an mir abgeprallt.
Meine Freude währte indessen nicht lange, denn von der Gemeinde kam der Bescheid, dass erstens solche Steinwüsten verboten seien und zweitens eine Baubewilligung hätte eingeholt werden müssen. Mein Anwalt hat nur gelacht und gemeint, dass man das Problem mit genug Bakschisch lösen könne. Ich bin aber dermassen angefeindet und mit Anklagen eingedeckt worden, dass ich nicht auf die Rückkehr meines Anwalts von den Bahamas habe warten können. Und da ich ein Mann der Tat bin, habe ich mich kurzerhand wieder mit dem Baugeschäft in der Innerschweiz verständigt und die haben in einer Nacht- und Nebelaktion das Gestein und die Felsbrocken wieder abgeführt und das ganze Areal asphaltiert. Das kostet zwar ein Heidengeld, sieht jetzt aber so richtig ordentlich aus. Es ist eine Freude, du solltest das sehen! Dieser dunkle Boden rund ums Haus, mit den weiss eingezeichneten Parkfeldern sieht umwerfend aus. Kein Laub beeinträchtigt das Bild. Den Nachbarn habe ich gesagt, sie könnten ja in drei Ecken auf der Rückseite des Hauses je einen Topf mit Kirschlorbeer platzieren, wenn sie unbedingt mehr Grün wünschten. Man hat mir gesagt, dass diese Pflanze ihre Blätter anständigerweise im Winter nicht abwirft. Da ich selber ja nur vier Parkplätze brauche, kann ich die anderen sogar vermieten. Ich stelle mir vor, vor jeden Parkplatz eine Parkuhr in den Boden einzulassen, schön ausgerichtet. Das sieht dann so richtig aufgeräumt und zackig aus, wie ich es liebe. Ich lasse aber auf meinem Grundstück keine rostigen Karren zu. Zu meinem Lamborghini, Ferrari, Alfa und Jaguar passen nur edle Fahrzeuge und nur solche, die keine Ölflecken verursachen. Was ich noch plane, ist eine hohe Mauer, damit auch wirklich keine Blätter aus den Gärten rundherum meinen Platz verunstalten können. Kaum war alles nach meiner Zufriedenheit erledigt, habe ich erneut einen Brief vom Bauamt der Gemeinde erhalten. Sie, die Gemeinde, habe voreilig gehandelt. Der Kanton habe sie zurückgepfiffen, weil sie Geröllgärten gar nicht hätten verbieten dürfen. Das wird sie teuer zu stehen kommen. Mein Anwalt reibt sich schon freudig die Hände.»
Manfred schliesst seinen Brief mit besten Grüssen und mit der Einladung fürs Garten-Einweihungsfest nächsten Sonntag. Er schliesst mit der Versicherung, dass er sich ungemein freue, dass er in der Gemeinde nachhaltige Spuren hinterlassen könne.
SUSIE SCHERRER
«Spuren»- Geschichtenpfad
Im Rahmen der Serie «Elgger Geschichtenpfad» publizieren wir insgesamt sechs Geschichten. In den nächsten Ausgaben folgen: Jonas Najdzion: «Deine Spuren», Markus Rohner: «Spuren-der-Stille», Rudi Elsenbruch: «Das Thema...isst Spuren», Andrea Schnyder: «Von M-Budget Sonderaktionen, grauen Elefanten und dem Leben», Felix Schröter: «Wann endlich kommt Port Renfrew».