Vier Länder, eine Familie
07.08.2025 AadorfDie Vietnamesin Thi Thuong Nyugen alias Hanna lebt seit dreizehn Jahren in der Schweiz. Ihre Wurzeln trägt sie in sich, ebenso die Sehnsucht nach ihren Kindern, die in Japan, Ungarn und Vietnam leben.
Hanna ist eine Frohnatur mit einem grossen Herzen, sie strahlt Optimismus und ...
Die Vietnamesin Thi Thuong Nyugen alias Hanna lebt seit dreizehn Jahren in der Schweiz. Ihre Wurzeln trägt sie in sich, ebenso die Sehnsucht nach ihren Kindern, die in Japan, Ungarn und Vietnam leben.
Hanna ist eine Frohnatur mit einem grossen Herzen, sie strahlt Optimismus und Zufriedenheit aus. Trotz der grossen Distanz zu ihrer Familie hat sie ihr herzhaftes Lachen nicht verloren. Ihre drei erwachsenen Kinder, die in drei verschiedenen Ländern leben, sind im Herzen stets bei ihr. Ihr ältester Sohn, der mit seiner Frau in Japan lebt, wurde vor kurzem Vater und machte Hanna mit 49 Jahren zur stolzen Grossmutter. Ihren kleinen Enkel kennt sie vorerst nur von Bildern, die sie regelmässig aus Japan zugesandt bekommt. Im nächsten Jahr steht dann in Vietnam, der Heimat der Familie, das grosse Hochzeitsfest ihres Sohnes an.
Auf dieses Familienfest freut sie sich heute schon riesig. Endlich kann sie dann auch ihre 20-jährige Tochter, die mit Hannas 90-jähriger Mutter in Vietnam lebt sowie Long, ihren in Ungarn lebenden 28-jährigen Sohn wieder in die Arme schliessen. «Auch auf den Rest meiner grossen Familie freue ich mich unbändig», lächelt Hanna wehmütig.
Die neue Rolle als Grossmutter aus der Ferne berührt die zierliche Vietnamesin tief und lässt sie noch mehr geben. Liebe, Geduld, Hoffnung und all das, was sie am meisten ausmacht, ein offenes Herz für alle. Die Familie habe in Vietnam allgemein einen grösseren Stellenwert als in der Schweiz. Das mache sich vor allem im Alter bemerkbar, sinniert sie.
Aufstehen und weitermachen
In der Schweiz, in die sie einst mit vielen Versprechungen seitens ihres vietnamesischen Ex-Mannes nach St. Gallen gekommen ist, gefällt es ihr heute sehr gut. Hanna hat sich nach diversen Ausbildungen in Luzern, Winterthur und Zürich mit Arbeit, Würde und einem offenen Herzen ein neues Leben in Aadorf aufgebaut. Mit geschickten Händen und viel Fachkompetenz verschönert sie im Unterdorf die Nägel ihrer Kundinnen. Bei offenen Gesprächen entstehen oft echte Freundschaften. Mit einem fröhlichen «Hallo, wie goht’s?» begrüsst sie ihre Kundschaft. Für diese gibt und macht sie fast alles. Sie ist glücklich und zufrieden, wenn das auch ihre Kundinnen nach dem Besuch bei ihr sind. «Das ist mein schönstes Geschenk», lächelt sie. Auch wenn das Leben ihr nicht nur die einfachsten Wege aufgezeigt hat, glaubt die Protagonistin weiterhin an das Gute im Menschen. Keine Enttäuschung zu gross, um sie resignieren zu lassen. Aufstehen und weitergehen, scheint das Motto der sympathischen Herzensfrau zu sein. Hanna ist eine Frohnatur, die gerne und oft lacht, auch wenn sie ihre Familie jeden Tag schmerzlich vermisst. Ihre ansteckende Lebensfreude, ihr grosser Humor und ihre Herzlichkeit tragen sie durch alle Distanzen. Wenn sie auf ihre ältere Kundschaft zu reden kommt, leuchten ihre tiefbraunen Augen. «Zu sehen, wie liebevoll und würdig einige Ehepaare im fortgeschrittenen Alter miteinander umgehen, macht mich glücklich», meint sie. Eine solche Partnerschaft, in welcher man sich aufeinander verlassen und sich lieben kann, ist auch der Lebenstraum von Hanna.
Verwurzelt im Glauben
Weit weg und doch immer ganz nah, so sieht Hanna ihre Familie. Wöchentliche «Videoanrufe» mit ihren drei Kindern lässt sie etwas am Leben ihrer grossen Familie teilnehmen. Tief in ihrem Glauben verwurzelt, gehören tägliche Gebete zu Buddha zum Alltag. Aus dieser spirituellen Kraft schöpft die sympathische Vietnamesin Demut, Hoffnung und innere Stärke. Wenn die Sehnsucht nach ihrer Familie zu gross werde, müsse sie auch oft weinen, erzählt sie offen. Ein grosses Stück Geborgenheit findet sie in der Nähe zu Moon, ihrer jungen Katze. Eine treue Gefährtin, mit welcher sie im Alltag spricht, lacht und spielt. «Moon erwartet mich an der Haustüre, begleitet mich durch den Wohnbereich und lässt mich fortan nicht mehr aus den Augen», freut sich Hanna. Am Wochenende, vor allem am arbeitsfreien Sonntag, fährt sie oft mit Freunden aus, an einen See oder in die Berge. Sie sei aber auch viel allein auf einem Spaziergang durch Aadorf oder einen Ausflug mit dem Zug an den Bodensee unterwegs. Hanna, die schon recht gut Deutsch spricht, lässt es sich nicht nehmen, sich in Kursen ständig weiterzubilden. Auch wenn das Heimweh nach ihrer Familie und speziell nach ihren Kindern immer präsent ist, gefalle es ihr sehr gut in Aadorf. «Ich geniesse meine schöne Wohnung unmittelbar neben meinem Nagelstudio und freue mich jeden Tag auf meine Arbeit und meine freundschaftlich verbundene Kundschaft». Aussagen einer beeindruckenden Frau, die mit wenig zufrieden und glücklich ist. Ein bisschen traurig mache sie, dass sie ihren Geburtstag Ende August ohne Familie feiern müsse. Was sie machen werde, wisse sie noch nicht. Mit der Familie telefoniere sie bestimmt, ansonsten lasse sie alles auf sich zukommen.
Dankbarkeit und Demut
«Was man aussendet, kommt zurück», das bekam Hanna während eines Spitalaufenthalts ihres jüngeren Sohnes Long, der ferienhalber bei ihr in Aadorf weilte, hautnah zu spüren. Sie sei von vielen Seiten, von Kunden wie der Nachbarschaft, unterstützt worden. Weniger glücklich zeigt sie sich, dass Long noch nicht vollkommen genesen, mit vielen Medikamenten bepackt, wieder nach Ungarn zurückmusste. «Das Mutterherz weinte», sagt sie dazu. Wer den 28-jährigen Long während seiner Ferienzeit in Aadorf kennenlernen durfte, erkannte schnell die Verbindung zum Herzen seiner Mutter. Ebenso dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt.
CHRISTINA AVANZINI