Verbrennung der Heiligenbilder
02.07.2024 RegionZur Zeit Huldrych Zwinglis häufen sich in Zürich die Anschläge auf die Heiligenbilder. Waren es zuvor die Heiligen, welche die Gemüter erhitzten, reizen jetzt auch ihre Abbilder zu heftigem Widerspruch. In Wipkingen wirft eine fröhliche Hochzeitsgesellschaft Bilder in die ...
Zur Zeit Huldrych Zwinglis häufen sich in Zürich die Anschläge auf die Heiligenbilder. Waren es zuvor die Heiligen, welche die Gemüter erhitzten, reizen jetzt auch ihre Abbilder zu heftigem Widerspruch. In Wipkingen wirft eine fröhliche Hochzeitsgesellschaft Bilder in die Limmat. Gleichzeitig schreibt der Bischofszeller Ludwig Hätzer gegen die Heiligenbilder.
Die durch die Bilderzerstörungen in Ratlosigkeit gebrachte Regierung lädt zu einer Aussprache. An dieser gegen 900 Personen zählenden «Zweiten Zürcher Disputation» steht die Verehrung der Heiligenbilder im Mittelpunkt. Als Norm gilt die Bibel, vor allem das zweite der zehn Gebote: «Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen, kein Abbild von dem, was im Himmel droben oder unten auf der Erde oder im Wasser unter der Erde ist. Du sollst dich nicht vor diesen Bildern niederwerfen.» Die Disputation verläuft kontrovers, eine Mehrheit jedoch votiert für die Entfernung der Bilder.
Der Lebendige hinter den Gemälden und die Bedürftigen
Entscheidend wird das Mandat des Rates «Wie man mit den Kilchengötzen handeln soll» vom 15. Juni 1524, welches die Ausräumung der Kirchen anordnet: «Unsere Herren haben (...) beschlossen, die Bilder oder Götzen an allen Orten, wo sie geehrt werden, wegzutun, damit jedermann sich von den Götzen ganz und gar zu dem lebendigen, wahren Gott hinwende, und ein jeder alle Hilfe und Trost bei dem einigen Gott durch unsern Herrn Jesum Christum suche (...) und die Güter und Gelder, die in solchen Bildern angelegt sind, sollen an die armen, bedürftigen Menschen, die ein wahres Ebenbild Gottes sind, verwendet werden.»
Unerhört: Erstmals in der abendländischen Geschichte verfügt eine weltliche Obrigkeit die Entfernung religiöser Bilder. Die konkrete Umsetzung der Kirchenräumungen übernimmt schliesslich eine Kommission. Vom 20. Juni bis 2. Juli 1524 werden alle Kirchen Zürichs nicht in einem Bildersturm, sondern unter Aufsicht und Führung der Obrigkeit ausgeräumt. Die Wände werden weiss übertüncht. Zwingli nennt das Ergebnis: «Wir in Zürich haben hübsch wyssen templen.» Innert zweier Wochen waren die Stadtkirchen von allen religiösen Bildern und Gegenständen geräumt.
Ausräumung in Stammheim, Waltalingen und Nussbaumen
Zur Ausführung des Zürcher Ratsbeschlusses, die Heiligenbilder aus sämtlichen Kirchen zu Stadt und Land wegzuschaffen, wählt Stammheim 24 eigene Männer. Untervogt Wirth will zwar die Bilder unzerstört auf die Kirchenempore verschwinden lassen. Dagegen besteht der Waltalinger Untervogt Klaus Ulrich darauf, «sie so wegzutun, dass sie weggetan seien». Konrad Wepfer wiederum, «der ruchigst und bochigst und scharpff mit Reden», schreit in die Versammlung hinein: «Was wollen wir lange gmeinden und raten? Wem es gefällt, die Götzen zu verbrennen, der trete auf meine Seite.» Er bekommt die Mehrheit.
Untervogt Burkhart Reutimann von Nussbaumen und Abgeordnete von Stammheim und Waltalingen, waren nach Zürich gereist. Bei ihrer Rückkehr berichten sie darüber, wie man dort die Götzen aus der Kirche schaffe, verbrenne und in die Limmat werfe. Stammheim will es Zürich nachahmen, auch wenn die Kirchenpfleger Kläui Weber und Klaus Schuler damit nicht einverstanden sind. Ende Juni 1524 kommt der Gemeindebeschluss für die Räumung und Zerstörung zur Ausführung.
Aus der Kirche Unterstammheim werden in einem Kalkofen neben dem Kirchhof verbrannt: zwei gefasste Tafeln und eine ungefasste, ein grosses Kreuz mit dem Erlöser, darunter ein Bild unserer lieben Frau Maria, ein Bild des Apostels Johannes, über 100 Bilder, Fahnen und Kreuze, darunter andere Kostbarkeiten. Nebst den ablehnenden Pflegern nehmen an der Verbrennung teil: Burkhart Zäsi, Otli Farner, genannt Possli, Ulrich Windler, Adam Mettler und Hans Keller, alle von Unterstammheim.
Aus der Gallus-Kapelle in Oberstammheim werden drei Tafeln, zwei Fahnen, eine Anzahl Bilder, Kreuze und Kleinodien entfernt und in unmittelbarer Nähe der Kapelle verbrannt. Während die Heiligenbilder brennen, rufen einige verhöhnend: «Hört, wie sie schreien! Wie tut ihnen das Feuer so wee!» Anwesend sind sieben von der Gemeinde bezeichnete Abgeordnete.
Ein nach Frauenfeld-Oberkirch gerettetes Bild
Aus der St. Anna-Kapelle in Oberstammheim werden eine Altartafel der heiligen Anna und weiterer Schmuck verbrannt. In der Nacht zuvor aber soll das aussergewöhnliche Bild der Himmelfahrt der heiligen Anna weggeschafft worden sein, um schliesslich nach dem sichern Frauenfeld-Oberkirch zu gelangen.
In Nussbaumen verbrennen Untervogt Burkhart Reutimann und Bernhard Reutimann eine Tafel, viele Bilder, Fahnen und Kreuze. In Waltalingen sind Klaus Ulrich, Hansli Schneiter von Waltalingen, Balthasar und Rudolf Reutimann von Guntalingen mit der Verbrennung beauftragt. Der Pfleger Jakob Ulrich weiss die Verbrennung der Hostie zu verhindern.
Pfarrer Johannes Wirth, der sich während dieser Vorgänge in Stein am Rhein aufhält, gratuliert der Gemeinde am folgenden Sonntag auf der Kanzel wegen der Beseitigung der Bilder.
Majestätsverbrechen und Stammheims Handicap
Für den Landvogt ist die Verbrennung ein «crimen lasae majestatis», ein an Gott begangenes Majestätsverbrechen. Landvogt Nikolaus Muheim aus Uri meldet die ersten Bildzerstörungen der Tagsatzung in Luzern, dann derjenigen in Baden. Bei den Bilderverbrennungen hätten sich besonders der Söldner Konrad Wepfer, der Untervogt Hans Wirth und seine Söhne, die Kaplanen Johannes und Adrian hervorgetan. Ende Juni 1524 zieht ein neuer Landvogt in Frauenfeld ein: Joseph Amberg von Schwyz. Er berichtet den regierenden Orten über die Situation in Stammheim, wo die Leute immer mehr «verruchen und verwildern», über die Abschaffung der Messe, der Beichte, des Fastens, über die Absetzung ihres rechtmässigen Pfarrers und die erfolgte Bilderverbrennung. Die Rädelsführer seien immer der Untervogt Hans Wirth und seine beiden Söhne, die Prädikanten Johann und Adrian Wirth. Amberg erhält den Befehl, die Hauptstifter in seine Gewalt zu bringen und sie gefangen zu halten.
Die Situation im entfernten Stammheim aber ist aussergewöhnlich. Überzeugt folgt das Dorf dem Zürcher Bildermandat. Aber die ihm vorbildliche Limmatstadt ist nur eine der Mächte, die über das Geschehen im Weinlanddorf mitbestimmt. Zürich besitzt zwar die niedere Gerichtsbarkeit, über die hohe jedoch verfügt der eidgenössische, katholische Landvogt auf Schloss Frauenfeld. Der Bischof von Konstanz ist die oberste Kircheninstanz im Land und schliesslich besitzt der Abt von St. Gallen im Weinlanddorf die Kollatur, das Recht, den Priester einzusetzen.
Mit der Verbrennung der Heiligenbilder war die Sache nicht beendet. Es war vielmehr der Anfang unheilvoller Monate und Jahre. Stammheim war wegen dem Rache schwörenden Landvogt Joseph Amberg alarmiert. Der Chronist Bernhard Wyss schreibt: «Disem Landvogt lag unvertöwt (unverdaut) im magen, das verbrennen der Bildern zuo Stammen und abthuon der grossen walfart zuo St. Anna, suocht fuog (Gelegenheit), wo und wie er kondt, den schaden zuo rächen.»
Die umstrittenen und verbrannten Heiligenbilder bringen nicht nur Stammheim, Waltalingen, Nussbaumen und die umliegenden Dörfer aus der Balance. Der Bilderstreit schwärt auch durch die Eidgenossenschaft und treibt einem ernsthaften Konflikt entgegen.
MARKUS SCHÄR