Vanessa Sacchet im Gespräch mit Miriam Papadia

  20.08.2021 Leute aus der Region

Miriam Papadia, geboren am 15. November 1974 in Winterthur, wuchs mit ihrer Schwester und ihrer Zwillingsschwester auf. Die gelernte kaufmännische Angestellte hat zwei Kinder. Gearbeitet hat sie früher bei der Swissair und später bei der Balair. Im Jahr 2001 arbeitete sie gemeinsam mit ihrem damaligen Partner an einem Projekt in Indien. Später gingen sie für ein Jahr auf Weltreise und waren rund um den Globus unterwegs.
«Das ich Flight-Attendant wurde, war eher ein Zufall. Die Motivation dahinter war, dass ich so die verschiedenen Kulturen kennenlernen konnte. Flogen wir nach Indien, war man plötzlich in Delhi und konnte die Stadt erkunden. Flog man nach Afrika, war Malaria ein Thema. War ich mit der Crew in Südafrika, bestellten wir feinen inländischen Wein. Hielten wir uns in Johannesburg auf, durften wir das Hotel nicht verlassen. Es war genau diese Abwechslung, die mir gefiel. All die verschiedenen Kontinente zu bereisen war toll. Es gab Rotationen, wo wir längere Aufenthalte von mehreren Nächten hatten. So flogen wir zum Beispiel mit der Boeing 747 von Zürich über Bombay nach Hongkong und von dort nach Manila. Das war ein Abenteuer.
Mich faszinierte es, einen Beruf auszuüben, der nicht jeder macht. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich anfing und meine Uniform und den Crew-Bag erhielt. Es fühlte sich nach Freiheit an, am Sonntagmorgen von Elgg mit dem Auto zum Flughafen zu fahren. Wenn alle daheim am Frühstücken waren, flog ich irgendwo hin. Dieses verrückte Leben sagte mir zu – auch die Möglichkeiten, während der Freizeit zu fliegen. Meine Zwillingsschwester arbeitete ebenfalls als Flight-Attendant und hatte einen Flug nach New York. Ich flog spontan mit einem Freiflug mit
– und das erst noch in der Businessclass. Innerhalb 24 Stunden waren wir wieder zu Hause. Solch ausgefallene Aktionen fand ich toll.
Zu Swissair-Zeiten gab es wenige Destinationen mit längeren Aufenthalten für die Crew. In São Paulo, Hongkong und Brazzaville waren wir bis zu drei Nächten
– manchmal auch länger. Bei der Balair gab es nur zwei Flieger. Flogen wir eine Destination an, blieben wir teilweise für eine ganze Woche dort und mussten warten, bis der Flieger die neuen Passagiere brachte, damit wir zurückfliegen konnten. Auch in Mombasa gab es Zeit genug, sodass diese einige der Piloten nutzten, um den Kilimandscharo zu besteigen. Wir gingen in Masai Mara auf Safari. In Calgary bereisten wir mit dem Mietauto die Rocky Mountains und waren unterwegs wie Touristen.
Ich hatte eine tolle Zeit, merkte dann aber, dass es in der Fliegerei auch ziemlich hektisch zu und her gehen kann. Ich kündigte und verliess die Airline, da ich mir eine Auszeit nehmen wollte, bevor ich eine andere Arbeit beginne. Ein Wunsch von mir war schon immer, einmal im Ausland etwas Gutes zu tun und nicht nur herumzureisen. Wollte man beispielsweise als Volontär in Guatemala an einem Projekt mitarbeiten, musste man dafür bezahlen. Wir entdeckten ein Inserat von Claudia Masueger aus Winterthur, die ein Projekt in Nordindien lancierte. Sie wollte dort in einer tibetischen Flüchtlingsschule eine Computerschule aufbauen. Wir sagten uns: ‹Hey, wieso nicht.› Ich rief sie an und teilte ihr mit, dass mein Partner zwar Informatiker sei, ich aber nicht. Sie meinte, wir sollen nach Indien kommen.»

Mitarbeit an einem Projekt in Indien

«So kam es, dass wir tatsächlich mithalfen, eine Computerschule aufzubauen. Das war ein nicht ganz einfaches Unterfangen, da es ständig Stromausfälle gab. Ich unterrichtete Englisch, Excel, das Zehnfingersystem und Aerobic. Wir wussten, dass die Zeit hier befristet ist und wir wieder nach Europa zurückkehren. In der Schweiz hatten wir uns bereits abgemeldet. Wir waren frei und konnten überall hin. So kauften wir ein Around-the-World-Ticket und wollten einmal um die Welt reisen. Wir waren beide grosse Australienfans. Ich besuchte dort vorgängig eine Sprachschule und es zog mich erneut nach Down Under.
Auch Asien gefiel mir extrem gut. So waren wir grossen Teils in Südostasien unterwegs. Die Weltreise begann in Bangkok. Wir reisten mit leichtem Gepäck: Rucksack, Trekkinghose und Wanderschuhe. Der Rucksack kam mit Verspätung in Bangkok an. Wir wussten, dass wir Laos, Vietnam, den Mekong River in Kambodscha und die imposante Tempelanlage Angkor Wat sehen möchten, am Tag X aber in Singapur am Flughafen sein müssen. Es gab immer wieder diese Stichtage. Manchmal war es ganz schön stressig. Wir führten Tagebuch, fotografierten viel und sammelten schöne Eindrücke. Unsere Fotos liessen wir teilweise vor Ort entwickeln und schickten sie nach Hause. Wir schleppten auch die schweren Reiseführer im Rucksack mit», meint Miriam Papadia lachend, «aber es war einfach ein tolles Gefühl, so bescheiden zu reisen. Übernachtet haben wir meist in einfachen Unterkünften oder Bungalows, in Australien in den Backpacker-Unterkünften. Wir konnten mit sehr wenig Geld ganz lang Reisen, da wir in armen Ländern unterwegs waren.
Eine sehr spannende Destination war Neuseeland. Dort wagten wir einen Fallschirmsprung und liessen uns in eine Höhle abseilen, wo wir Glühwürmchen sahen. Wir flogen von Auckland nach Buenos Aires über den Pazifik. Das war ein 13-stündiger Nachtflug. Als wir ankamen, gab es Unruhen vor Ort und uns war klar, dass wir somit Argentinien nicht bereisen konnten. Wir flogen weiter nach La Paz, um Bolivien zu erkunden, hatten jedoch das Problem, dass die Hauptstadt auf 3640 Metern über Meer lag und wir ja von Auckland kamen. Wir hatten Probleme mit der Höhe und mussten uns zuerst akklimatisieren. Es war immer wieder ein neues Kennenlernen von Klima, Kultur und Sprache. Ich spreche deutsch, englisch, französisch und italienisch. Mein Spanisch frischte ich bereits vor der Reise auf, da wir wussten, dass wir Südamerika bereisen möchten. In Bolivien besuchten wir einen Sprachkurs in Cochabamba und erhielten Unterricht von einer Privatlehrerin. Wir wohnten bei einer Gastfamilie, wie die jungen Studenten.»

Nach eineinhalb Jahren zurück in die Schweiz

«Bolivien ist ein sehr ursprüngliches Land. Der Salar de Uyuni ist die grösste Salzwüste der Erde. Das war extrem eindrücklich. Der Titicacasee liegt in den Anden auf der Grenze zwischen Peru und Bolivien. Er gilt als Geburtsort der Inkakultur und an seinen Ufern befinden sich zahlreiche Ruinen. Von dort aus reisten wir nach Peru und konnten vom Flieger aus die berühmten Nasca-Linien in der Wüste sehen. Die Nasca-Ebene zeigt schnurgerade Linien, Dreiecke, Abbildungen von Menschen, Affen und Vögeln. Durch ihre enorme Grösse sind sie nur aus weiter Entfernung zu sehen. Das war ein sehr eindrückliches Erlebnis. Wir besuchten auch Machu Picchu, die Ruinenstadt. In Peru gilt Meerschweinchen als Delikatesse. Ich probierte sie nicht. Ich bin zwar nicht heikel und esse so manches, aber darauf verzichtete ich gerne. Dafür tranken wir Inca Kola, eine Coca-Cola-Marke aus Peru. Der Hauptbestandteil dieses Getränks stammt vom Zitronenstrauch. Deshalb ist die Farbe ganz gelb und der Geschmack erinnert an Kaugummi. Auch Pisco Sour, ein Cocktail, der nach der Stadt Pisco in Peru benannt ist, tranken wir. Peru faszinierte mich wegen des Amazonas, den verschiedenen Klimazonen, dem tropischen Wetter, den Bergen, dem Meer und dem Dschungel mit den Piranhas. Von dort ging es weiter nach Ecuador.
Unterwegs waren wir insgesamt eineinhalb Jahre. Es war eine lange Reise mit sehr vielen Eindrücken. Ich kam jedoch gerne wieder nach Hause zurück, da für mich ein neuer Lebensabschnitt mit neuen Herausforderungen begann. Ich war damals 28-jährig, voller Power und Tatendrang, um neue Ziele zu erreichen. Somit fiel ich nach der Rückkehr nicht in ein tiefes Loch. Ich wusste, wohin ich wollte. Mitgenommen von dieser Reise habe ich für mich, dass alles möglich ist. Diesen Leitsatz gaben wir auch an die Flüchtlinge in Indien weiter: ‹Believe in yourself, everything is possible›. Das bedeutet: ‹Glaub an dich, alles ist möglich›. Am meisten in Erinnerung geblieben sind mir die lachenden Gesichter der Flüchtlinge und ihre Dankbarkeit. Noch heute bin ich mit diesen Menschen befreundet und sie stehen mir sehr nah. Das Schöne am Ganzen ist: Wenn du etwas gibst, kommt enorm viel zurück. Diese Erfahrungen sind unbezahlbar und bleiben mir für immer in Erinnerung.»

Vanessa Sacchet


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