Vanessa Sacchet im Gespräch mit Hans Ulrich Reber

  02.10.2021 Leute aus der Region

Hans Ulrich Reber, geboren am 10. Februar 1937 in Dagmersellen, wird von allen Ueli genannt. Er wuchs zusammen mit zwei Brüdern und einer Schwester auf. Der gelernte Schreiner ist geschieden, lebt in einer Partnerschaft, hat zwei Kinder, vier Enkel und zwei Urenkel. Seit 1941 ist er in Elgg wohnhaft und war acht Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Er erinnert sich zurück.
«Im Juni, mitten im Krieg, zogen wir von Dagmersellen nach Elgg. Wir packten sämtliche Möbel und den restlichen Hausrat, inklusive unserer Kühe, in den Bahnwagen. In Winterthur mussten wir warten, da die Wagen umgehängt wurden. Ich höre noch heute wie die Tiere laut muhten, da es heiss war und sie Durst hatten. Während des Zweiten Weltkrieges gab es viele Leute, die Hunger litten. Ich wuchs in einer Bauernfamilie auf, die selbst Lebensmittel anpflanzte und durch die Kühe mit genügend Milch versorgt wurde. Auch Brot hatten wir genug. Sogar die Dienstkollegen meines Vaters kamen von Winterthur mit ihren Velos zu uns nach Elgg, um zu helfen, damit sie Kartoffeln und Brot mit nach Hause nehmen konnten. Wir hörten jeweils die Flieger schiessen und sahen, wie die Splitter herunterfielen. Wenn in der Nacht die Bomber vorbeiflogen, hörten wir beim Restaurant Krone die Sirenen heulen. Wir hatten Angst und versteckten uns unter der Bettdecke. Erst wenn es ruhig wurde, konnten wir weiterschlafen», erinnert sich Reber zurück.
Dann schmunzelt er und meint: «Wir hatten schon zu dieser Zeit die ‹Elgger Zeitung› abonniert. Damals hiess sie ‹Winterthur Volksblatt› und die Druckerei war dort, wo sich heute die Schreinerei Bruggmann befindet. Um sie günstiger zu erhalten, sagte meine Mutter jeweils: ‹Lauf zur Druckerei. Dort wird dir jemand die Zeitung geben.› Ich erinnere mich noch: Als ich hochlief waren plötzlich die Flieger am Himmel zu sehen und es ‹klöpfte› und ‹tätschte› laut. Fremde Leute riefen: ‹Bub, komm ins Haus!› So sprang ich zu ihnen und machte mich erst später wieder auf den Weg. Das sind Erlebnisse, die man nicht vergisst. Einmal dachten wir es kämen LuftLandetruppen. Unsere Felder waren durchzogen von Schützengräben und tiefen Löchern. Als der Krieg zu Ende war mussten wir sie von Stacheldraht und Agraffen befreien.»

Erinnerungen an die Kindergarten- und Schulzeit

«Der Kindergarten befand sich an der Gerbestrasse. Es gibt ihn heute noch. Wir sagten damals ‹Gfätterlischuel› dazu. Eine eingekleidete Klosterschwester war unsere Lehrerin. Sie hiess Hanni. Oberhalb des Kindergartens wohnte ihre Mutter. Wir nannten sie Tante Hanni. Zur Schule ging ich ins Primarschulhaus, wo sich heute die Gemeindeverwaltung befindet. Von der 1. bis 3. Klasse hatte ich Unterricht bei Fräulein Weilenmann, in der 4. und 5. bei Herrn Hauser im ersten Stock und von der 6. bis 8. Klasse absolvierte ich den Unterricht im obersten Stock bei den Herren Stamm und Kägi. Paul Weiher besuchte die 5. Klasse, ich die 4. Wir wurden jedoch zusammen im selben Klassenzimmer unterrichtet.
Schüler, die von weiter herkamen, erhielten im Keller Suppe zu Essen. Während des Kriegs wurde für diese Kinder Milch ausgeschenkt. Wenn es zu viel davon gab, durften alle Schüler runter in den Keller, um zu trinken. Auch ich, obwohl ich zu Hause genug davon bekam. Am besten gefiel mir in der Schule das Rechnen und Schreiben. Als wir einen Aufsatz zum Thema Samichlaus machen mussten sagte ich, dass ich dazu nichts wisse, denn zu uns käme kein Samichlaus. So dichtete ich einfach etwas oder mein Vater sagte mir, was ich schreiben soll. Ich ging immer sehr gerne zur Schule – auch zum Turnunterricht, der im Sekundarschulhaus stattfand. Hinter der Turnhalle gab es einen kleinen Sportplatz, wo wir Hochsprung üben konnten.
Als ich mit der Schule fertig war und konfirmiert wurde, war mir klar, dass mein Bruder wohl eher einmal Bauer werden wird und ich gerne einen anderen Beruf lernen wollte. Mein Grossvater war Bauer und Zimmermann. Durch ihn entwickelte mein Vater sein Flair für Holz. Er war ständig irgendetwas am Bauen und fertige sogar das Absperrgitter für den Stall selbst an. Weil ich ihm viel dabei half, bekam ich grosse Freude am handwerklichen Arbeiten. So fuhren wir mit dem Velo nach Winterthur und liessen uns beraten, was für eine Lehrstelle für mich in Frage kommen würde. Sie meinten, dass ich Schreiner lernen könnte und fragten, ob sie eine Lehrstelle für mich suchen sollen. Das war im Sommer 1953. bei Lenzburg, wo ein jüngerer Schreiner in der gut ausgestatteten Scheune seines Vaters zu schreinern begann. Ich fuhr mit meiner Mutter dorthin und wir schauten uns alles an. Sie besassen eine Kuh und da ich melken konnte und mir das Grasmähen nicht fremd war, begann ich am 1. November meine Lehre als Schreiner. Die Lehrzeit betrug dreieinhalb Jahre. Geld verdiente ich keines, erhielt aber Kost, Logis und Sackgeld. Im ersten Jahr bekam ich zwei Franken, im zweiten fünf und im dritten zehn Franken in der Woche. Im zweiten Lehrjahr verunfallte ein Arbeiter und fiel aus. Weil ich in dieser Zeit streng arbeiten musste, sagte der Lehrmeister zu mir: ‹Ich gebe dir jetzt schon zehn Franken.› Damit musste ich auskommen und so lernte ich zu sparen.
Nach abgeschlossener Lehre kehrte ich nach Elgg zurück zu meinen Eltern, um zu helfen. Wir besassen ein altes Haus, das renoviert werden musste. Ich sparte immer wieder Geld, damit ich mir für den Umbau Maschinen kaufen konnte. Später arbeitete ich sieben Jahre an der Florastrasse in der Zimmerei/Schreinerei Salomon Bauer und Sohn. Als man 1957 an der Bergstrasse in Neu-Elgg begann, Wohnblöcke zu bauen, durfte ich die Holzdecken und Garagentore anfertigen und erhielt einen Stundenlohn von 2 Franken und 30 Rappen.»

Seit 1941 veränderte sich viel

«Richtige Stadttore gab es schon damals nicht mehr in Elgg. Nur bei der alten Kanzlei im Obertor sah man am Haus noch ein Stück des Tors. Autos besassen nur die beiden Ärzte Stockar und Haubensack sowie Gemeindepräsident Spiller, dessen Fahrzeug sogar mit einem Holzvergaser ausgestattet war. Die Strassen waren nicht geteert und es stob, wenn ein Auto vorbeifuhr. Während dem Krieg war die Strassenbeleuchtung im Dorf sehr spärlich und die Gassen wurden verdunkelt. Es gab zur Orientierung blauviolette Lampen. Als mein Vater vom Singen nach Hause kam erzählte er uns oft, dass es so dunkel war, dass man mit jemandem zusammenstiess, da man ihn nicht sah.»
Ich frage Ueli Reber, dass man immer von den guten, alten Zeiten spreche und ob diese wirklich besser waren. Er äussert sich wie folgt: «Man lebte in einfabrauchte man auch, da alles von Hand gemacht wurde. Wir fuhrwerkten mit den Kühen und besassen keine Pferde. Es war keine schlechte Zeit. Ich sparte lange, bis ich mir ein Velo kaufen konnte. Das benötigte ich während meiner Lehrzeit und fuhr damit ein paar Mal von Ammerswil nach Elgg.» Ich spreche ihn auf die Technik von heute an und wie er damit zurechtkommt. Er meint lachend: «Einen Computer besitze ich nicht. Ich hatte das Glück, dass diese eingeführt wurden, als ich im Werkgebäude zu arbeiten aufhörte. Wenn ich etwas brauche, gehe ich zu meinem Bruder oder Sohn. Ich komme ganz gut zurecht ohne. Was ich aber besitze ist ein Handy. Und zwar kein altes Modell. Im Gegenteil. Es ist eines der neueren. Da ich nicht mehr der Jüngste bin und schon am Herz operiert wurde, trage ich es immer bei mir, wenn ich unterwegs bin. Man weiss nie was passiert.» Er zeigt auf die Tür und fügt bei: «Dort hängt meine Tasche mit all den Akten vom Kantonsspital Winterthur. Wenn ich dort einen Termin habe, nehme ich sie immer mit.»
Auch mit dem Auto ist der 84-Jährige immer noch unterwegs und froh, dass er am Automaten beim Bahnhof noch nie ein Zugbillett beziehen musste. Ob er das könnte, wisse er nicht. Aber es gebe ja immer jemanden, den man fragen könne und der einem hilft. Als ich Reber mitteile, dass wir nun das Foto von ihm knipsen, möchte er etwas erwähnen, was ihm sehr am Herzen liegt: «1983 trat ich dem Jodel-Doppelquartett des Turnvereins Elgg bei. Jetzt sind wir nur noch zu zweit, denn es kommt einfach niemand Neues dazu. uns bleibt nichts anderes übrig, als den Verein aufzulösen. Es ziehen einfach keine junge nach. Ich wuchs mit dem Jodelgesang auf und die Gesangsstunden taten mir immer gut. Damals beherrschte ich sogar das Talerschwingen mit einem Fünffrankenstück.» Deshalb lässt sich Reber die Gelegenheit nicht entgehen, für das Foto extra die Zürcher Mannestracht, welche 1939 bei der Landesausstellung von Schneidern kreiert wurde, anzuziehen. Ein einziger Knopf kostet 40, der ganze Anzug 2000 Franken. Er weiss auch schon ganz genau, wo er sich für das Foto hinstellen möchte. Nämlich draussen vor dem Haus, wo er mit Stolz seine Tracht präsentieren kann.


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