Vanessa Sacchet im Gespräch mit Yvonne Weber
17.12.2022 HuggenbergYvonne Weber, geboren am 3. September 1979 in Wolfenschiessen, Nidwalden, wuchs zusammen mit fünf Geschwistern auf. Die gelernte kaufmännische Angestellte ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie war viel auf Reisen, absolvierte ein Studium als soziokulturelle Animatorin an der ...
Yvonne Weber, geboren am 3. September 1979 in Wolfenschiessen, Nidwalden, wuchs zusammen mit fünf Geschwistern auf. Die gelernte kaufmännische Angestellte ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie war viel auf Reisen, absolvierte ein Studium als soziokulturelle Animatorin an der Fachhochschule Luzern, machte eine Ayurvedamassage-Ausbildung und besuchte die Bäuerinnen-Schule.
«Nach meiner kaufmännischen Ausbildung arbeitete ich ein Jahr lang an einer Hotelrezeption in Saas-Fee. Mit 21 Jahren reiste ich zum ersten Mal nach Goa im Süden von Indien und lernte dort eine ganz andere Kultur kennen. Mich faszinierte die Einfachheit, die Farben, Eindrücke und Gewürze. Das alles zog mich in den Bann. Gleichzeitig wühlte mich jedoch die Armut dort sehr auf. Wir unternahmen eine dreiwöchige geführte Rundreise und übernachteten in Hotels und Resorts. Zurück in der Schweiz, arbeitete ich in einem Treuhandbüro bis ich wieder genug Geld beisammenhatte, um eine grössere Reise zu unternehmen. Mit einem Frachtschiff fuhren wir von Europa nach Südamerika. Anfänglich waren wir an einer Hochzeit eingeladen von jemandem der in der Schweiz wohnte und eine peruanische Frau heiratete. Später reisten wir herum und lernten eine ganz andere Kultur kennen – wie in Indien. Was mich immer wieder beeindruckte, war die Verbundenheit, die dort zwischen den Einwohnern und der Natur herrscht. Auch die Einfachheit der Menschen und das bunte Treiben. Die Spuren einer alten Hochkultur schwingen überall mit. Mir gefällt es, verschiedene Länder kennenzulernen, andere Sprachen zu hören, sich immer wieder darauf einzulassen, Grenzen zu überschreiten und mit dem Rucksack unterwegs zu sein. Wir sahen, dass grosse Ungerechtigkeit herrscht und wie die Leute, die in den Mienen arbeiten und früh sterben, ausgebeutet werden. In der Sprachschule in Bolivien bekamen wir mit, dass man dort politisch sehr engagiert ist und sich für Themen einsetzen soll, die einem wichtig sind. Nach einem halben Jahr kehrten wir mit dem Frachtschiff zurück.
Mir war klar, dass ich in den sozialen Bereich wechseln und weg vom kaufmännischen Beruf möchte. Für ein Jahr arbeitete ich in Zug an einer heilpädagogischen Schule und absolvierte die Berufsmatura. Bevor ich jedoch 2004 damit begann, ging ich noch einmal für zwei Monate auf Reisen.»
Mit dem Zug allein durch Europa
«Es war das erste Mal, dass ich mich ganz allein auf die Reise machte. Mit dem Interrail ging es durch Polen, Slowakei, Ungarn und Kroatien. Ich bemerkte, dass ich ganz andere Leute antreffe, wenn ich allein unterwegs bin und alles noch viel stimmiger ist, da ich selbst entscheiden konnte, wohin ich wann gehen möchte. Mit dem Zug unterwegs zu sein, war eine Art Selbstfindung. Ich war ohne Reiseführer und Länderkarte unterwegs, stieg einfach in den Zug – und los ging es. Zum einen Teil funktionierte das sehr gut, zum anderen weniger. Ich hatte jedoch immer super tolle Begegnungen und fragte mich durch, auch wenn es manchmal Sprachbarrieren gab. Irgendwie konnte ich mich immer verständigen. Diese Reise prägte mich sehr. Es war faszinierend, so unterwegs zu sein.
Nach meinem Studium reisten wir erneut zu zweit nach Indien in die Nähe von Delhi nach Pushkar im Bezirk Rajasthan. Das war ein wichtiger Ort für mich. Dort sass ich auf dem Dorfplatz und schaute stundenlang den Leuten zu. Die Menschen sind sehr traditionell gekleidet mit ihren Saris. Ein älterer Herr schaute mich an und fragt in Englisch, wer ich sei. Ich nannte ihm meinen Namen. Er meinte erneut: ‹Nein, wer bist du?› Der Mann schaute mich eindringlich an und sagte: ‹Du kannst in der ganzen Welt herumreisen, aber dich findest du nur in dir selbst.› Das war das erste Mal dass mir jemand eine Sinnfrage stellte. Die Menschen dort besitzen ein Leuchten in ihren Augen und Pushkar ist ein wichtiger Pilgerort, der mich unglaublich faszinierte und in den Bann zog. Ich wusste, wenn ich wiederkommen sollte, möchte ich ganz bestimmt an diesen Ort zurückkehren.
Wir reisten weiter zum berühmten Fluss Ganges, wo extrem viele Eindrücke auf uns einprallten, sodass ich fast ein wenig überfordert war. Ich stand dort und sah an einem Ort viele Leute um den Fernseher stehen und sich ein Fussballspiel anschauen. Daneben eine Trauerfamilie, die gerade einen Sarg aus dem Auto lud. Weiter vorne war ein Scheiterhaufen zu sehen, wo jemand verbrannt und dem Fluss übergeben wurde. Und im selben Moment kommt einer und möchte mir einen Teppich verkaufen», meint Yvonne Weber lachend und ergänzt: «Die Vielfältigkeit erschlug mich fast. Aber das ist Indien. Alles findet gleichzeitig statt. Das pure Leben wie der Tod, der ebenfalls sichtbar ist.
Zwei Jahre später reiste ich ein weiteres Mal nach Indien, um dort eine Yogaausbildung zu absolvieren. Ich hatte mich bereits angemeldet und den Flug gebucht. Ein paar Tage vor Abflug wurde ich kontaktiert und man teilte mir mit, dass ich nicht dorthin reisen kann, um die Ausbildung zu machen, da ich ein falsches Visum besass. Ich überlegte mir, was ich tun soll. Da ich damals die Interrailreise gut allein bewältigte, entschied ich, mich auf eigene Faust und ohne Reiseplanung auf den Weg nach Indien zu machen.»
Eröffnung der eigenen Ayurvedamassagepraxis
«Es war schon sehr speziell, ganz allein in Indien zu sein. Ich wollte den Norden besuchen und fuhr ins Kaschmir-Gebirge. Ich war in Leh im Distrikt Ladakh, dort wo das Buddhistische vorherrscht, und in Dharamsala, wo der Dalai-Lama zu Hause ist. Dann zog es mich erneut nach Pushkar, wo ich die restliche Zeit verbrachte. Ich kam in Kontakt mit Ayurveda und traf mich mit Leuten, die mir ihr Wissen mündlich weitergaben. Das Wissen, welches sie bereits von ihren Vorfahren überliefert bekamen. Täglich war ich mit ihnen zusammen. Sie lernten mich Griffe und erklärten, was genau Ayurveda ist.
Seit über 5000 Jahren wird es in Indien, Nepal und Sri Lanka praktiziert und ist ein ganzheitliches Lebenskonzept. Ayurveda lernt einem, wie man Gesundheit, Lebensfreude und Vitalität bis ins hohe Alter erhalten kann. Ayus bedeutet das Leben und Veda heisst Wissen. Ayurveda ist sozusagen die Wissenschaft des Lebens. Dazu gehören die ganzheitliche Yogapraxis sowie die umfangreiche Pflanzenheilkunde. Ayurveda zeigte mir, was man alles erreichen kann, wenn man im Ungleichgewicht ist. Mir tat es extrem gut.
Als ich wieder nach Hause kam wusste ich, dass ich mein Wissen vertiefen möchte und absolvierte in Deutschland in einem Ashram, einem Ausbildungszentrum, die Ayurvedamassage-Ausbildung. Diese begann täglich morgens um 6 Uhr und dauerte bis abends 21 Uhr. Ich erhielt meinen ersten Abschluss, den ich benötigte, um selbst Massagen anzubieten. Daheim durfte ich die Massagepraxis meiner Schwiegermutter nutzen, da sie selbst Massagen anbietet. So konnte ich gleich starten. 2015 eröffnete ich meine eigene in Sirnach und absolvierte diverse Weiterbildungen. Bevor die Kinder zur Welt kamen, arbeitete ich Teilzeit auf dem Bauernhof als soziokulturelle Animatorin in der Kinder- und Jugendförderung sowie in meiner Massagepraxis.
2019 ging ich zum zweiten Mal in den Mutterschaftsurlaub und im Jahr danach gab ich meine eigene Praxis in Sirnach auf. Jetzt, wo die Kinder drei- und fünfjährig sind, habe ich wieder mehr Kapazität, um Ayurvedamassagen anzubieten. Ich wünsche mir, dass ich längerfristig den Hof und meine Begeisterung fürs Ayurveda gut kombinieren kann. Ein Traum von mir ist, hier auf unserem Palmenhof eine Art Resort aufzubauen. Auch das Thema IndIen ist für mich noch nicht abgeschlossen. Ich werde ganz bestimmt ein weiteres Mal dorthin reisen und fände es sehr schön, dies gemeinsam mit meiner Familie zu tun, um ihr zu zeigen, wo ich überall war. Ich bin gespannt, was sich in den letzten Jahren alles veränderte, und was von all dem, das ich damals erlebte, geblieben ist.»
VANESSA SACCHET