Vanessa Sacchet im Gespräch mit Viviana Fiechter
06.05.2023 Huggenberg, Leute aus der RegionViviana Fiechter, geboren am 17. Februar 1985 in Wetzikon, wuchs zusammen mit zwei Geschwistern im Huggenberg auf. Die Ausbildung begann sie als Pflegefachfrau im Pflegezentrum Eulachtal. Schnell merkte sie, dass diese Tätigkeit nicht ihren Vorstellungen entsprach. Viel lieber frisierte sie ...
Viviana Fiechter, geboren am 17. Februar 1985 in Wetzikon, wuchs zusammen mit zwei Geschwistern im Huggenberg auf. Die Ausbildung begann sie als Pflegefachfrau im Pflegezentrum Eulachtal. Schnell merkte sie, dass diese Tätigkeit nicht ihren Vorstellungen entsprach. Viel lieber frisierte sie die Bewohnerinnen und Bewohner, was sich schnell herumsprach. Nach einem Jahr brach sie die Lehre ab und besuchte in Wädenswil die Coiffeurschule. Nach drei Jahren hatte sie die Prüfung zur Damen- und Herren-Coiffeuse mit eidgenössischem Fachausweis in der Tasche. Ihre grösste Passion gilt dem Motorradfahren mit ihrer Harley Davidson. Wie es dazu kam, erzählt mir die 38-Jährige.
«Bereits als kleines Mädchen hörte ich schon von weitem, wenn eine Harley Davidson angefahren kam. Dann rannte ich die Strasse runter und winkte ihnen zu. Der Klang und die Menschen auf diesen Motorrädern faszinierten mich schon immer und ich träumte als Kind davon, auch einmal eine solche Maschine zu fahren. Das Erste was man als Huggenbergerin mit 13 Jahren macht, ist die ‹Töffliprüfung›. Im Sommer arbeitete ich in der Küche des Restaurants Schauenberg, um etwas Geld zu verdienen. Ein Bauer war dort zu Gast und meinte, er hätte ein Mofa zu verkaufen – ein Puch Maxi S. Er verkaufte es mir zu einem super Preis. Frisiert war mein Hobel nie, aber auf dem Weg zur Schule fiel mir der Auspuff ab. So konnte man mich schon von weitem hören.
Erste Priorität und das Wichtigste überhaupt war, mit 18 Jahren die Autoprüfung so schnell wie möglich zu absolvieren. Ich wollte frei sein. Den Traum, einmal selbst Motorrad zu fahren, verlor ich nie aus den Augen und nahm an vielen Motorradtreffen teil. Ich schwor mir, dass die Zeit kommen wird, wo ich selbst mit einer Harley herumkurven werde. So fuhr ich nach Kärnten an den Faaker See, wo die European Bike Week mit 160‘000 Bikern stattfand. Um den ganzen See gab es Stände und es herrschte eine tolle Atmosphäre. Die Menschen faszinierten mich unglaublich und der Druck, meinem Ziel näherzukommen, wurde immer grösser.
Mit 25 Jahren absolvierte ich die grosse Motorradprüfung. Meine Kollegin, die ursprünglich aus Dresden stammt, kam eines Tages ganz euphorisch zu mir und meinte: ‹Hey Vivi, in Dresden finden die ersten Harley-Days statt. Wollen wir zusammen hinfahren?› Ich fragte zurück, ob nur sie und ich, zwei Frauen ganz allein. So planten wir die Reise, während wir von den Männern belächelt wurden und diese spekulierten, wie weit wir kommen würden. Wir fuhren an einem einzigen Tag nach Dresden. In dieser wunderschönen Stadt angekommen, war es für uns einfach eine grosse Erfolgsgeschichte: Wir hatten über 600 Kilometer zurückgelegt.
Als die Leute dort sahen, dass da zwei Frauen mit Schweizer Nummernschild am Motorrad sind, die extra hierherkamen, um an dieser Veranstaltung teilzunehmen, war das ein unbeschreibliches Gefühl. Dort erlebte ich, wie die Harley-Davidson-Gruppe funktioniert. Man ist ein Teil davon und gehört dazu. Die Leute sind neugierig und fragen, ob bei der Anreise alles gut ging. Wir hatten in Stuttgart einen Zwischenfall mit dem Motorrad meiner Kollegin. Auch da spürten wir die Hilfsbereitschaft untereinander. Sieht ein Harley-Fahrer jemanden, der ein Problem hat, wird geholfen. Das gehört zur Harley-Davidson-Philosophie – nach dem Motto: ‹Wir kommen zusammen an und keiner lässt den anderen stehen›.»
Reisen nach Deutschland, Österreich und Italien
«2016 unternahm ich eine grosse Reise, zusammen mit meinem Bruder Florian, der ebenfalls Harley fährt, und dem Lebenspartner meiner Mutter, der mit seinem Dreirad, einem sogenannten Trike mitfuhr. Wir bikten von Huggenberg nach Frankreich, Richtung Barcelona und nach Alganiz ins Landesinnere auf die Rennstrecke. Bereits in Winterthur-Töss gab es die erste Panne. Beim Dreirad brach die Achse und wir dachten, dass wir die Reise abbrechen müssen. Wir organisierten einen Trike-Mechaniker, der alles wieder zusammenschweisste, sodass wir nach einem halben Tag erneut starten konnten. Wir fuhren relativ zügig auf der Autobahn nach Frankreich und ab da teilweise über Land. In Spanien angekommen, konnten wir es fast nicht glauben, dass wir nun von Huggenberg nach Barcelona gefahren sind.
Absolut toll war, als wir mit unseren Motorrädern am Sandstrand zum ersten Mal direkt ans Meer fuhren und sie dort abstellten. Das Faszinierende an der Super-Rally-Sternfahrt mit circa 80‘000 Fahrern ist, dass Menschen aus ganz Europa daran teilnehmen. Schön mitzuerleben ist, dass anfangs an einer Tankstelle circa 20 Fahrer anzutreffen sind. Je näher man dem Ziel kommt, sind es bereits 80, dann 150 Motorräder. Am zweiten Tag brachen wir auf, da die Organisation nicht so toll war. Wir fuhren auf dem schnellsten Weg ans Meer, wo wir drei wunderschöne Tage verbrachten. Von dort fuhren wir mit einem extrem befreienden Gefühl der Costa Brava entlang. Das Meer, die Kurven, all das verbinde ich mit Freiheit und Abenteuer. Bis jetzt war das meine einzige Sternfahrt, jedoch wird es nicht die letzte gewesen sein. In der Schweiz nahm ich an fast jeder Love Ride auf dem Flugplatz Dübendorf teil.» Von der begeisterten Harley-Fahrerin will ich wissen, ob sie von Frühling bis Herbst mit ihrem Motorrad unterwegs sei. Sie lacht laut und meint: «Es gibt eine Regel bei mir: Ich löse meinen Töff gar nie aus. Wenn es mich bei schönem Wetter im Hintern juckt, sitze ich aufs Motorrad. Ich baute mir gemeinsam mit der Harley-Clique etwas sehr Schönes auf. Sie ist zwar männerdominiert, aber ich werde als Frau anerkannt. Mir sagte mal ein Freund, als wir mit unseren Motorrädern nach Kärnten fuhren: ‹Hey Vivi, ich hatte fast Tränen in den Augen, wie du über den Pass gefahren bist. Du hast ihn gespürt.› Ich glaube, wenn man sich als Frau mit dem Fahren in dieser Szene beweisen kann und auch die Philosophie des Ganzen versteht, gibt es kein schöneres Kompliment. Man spürt bei mir, dass ich fürs Harley-Fahren lebe. Es ist meine Leidenschaft!»
Harley-Davidson-Shirts aus der ganzen Welt
«Egal, ob ich mit dem Auto oder dem Motorrad unterwegs bin, kaufe ich mir von überall Harley-Shirts. Ich besitze ganz viele davon, auch von Orten, die ich mit dem Töff besuchte. Ich kann mich ganz gut an mein allererstes erinnern. Bei einem Städtetrip in Dublin musste ich unbedingt bei Harley Davidson vorbeigehen. Ich betrat den Laden und lief mit einem Shirt, auf dem Dublin stand, wieder raus. Auch fuhr ich mit einer Kollegin im Auto an die Ostsee, da sie nicht Motorrad fährt. Ich teilte ihr mit, dass wir an einem Tag unbedingt nach Rostock müssen, weil ich dort bei Harley Davidson ein Shirt kaufen möchte.
Ja klar, viele denken jetzt, was das soll. Es ist ja nur ein T-Shirt mit Ortschaft drauf. Mir bedeutet es viel mehr. Ich finde es extrem krass, wenn man irgendwo auf der Welt einen Harley-Shop betritt und die Leute sehen, dass du auch ein ‹Harley-Mensch› bist. Sie freuen sich dann jeweils riesig über deinen Besuch. Ich denke, wenn in Zürich jemand einen Louis-Vuitton-Laden betritt, ist das nicht so. Unter den Harley-Fahrern fühlt es sich so an, als wären wir alle eine grosse Familie.»
Zum Schluss möchte ich von Viviana Fiechter wissen, ob sie Tätowierungen trage. Sie meint lachend: «Ich habe viele Tätowierungen, jedoch keine Harley-Davidson-Schriftzüge auf der Haut. Die mag ich lieber auf den T-ShirtS. Was für mich jedoch ein weiterer Aspekt ist, um mich mit den Harley-Leuten zu identifizieren, ist die Musik, die sie hören. Bei mir fing das schon als Kind zu Hause an, da meine Mutter coole Schallplatten von AC/DC, Rolling Stones, Black Sabbath und Motörhead hörte. Meine Harley Davidson Nightster 1200, die zur Sportster-Familie gehört, besitze ich seit acht Jahren und gestaltete sie farblich zweimal komplett um. Jetzt spare ich und wenn ich 40 werde, möchte ich mir eine richtig grosse, fette Harley kaufen, die noch lauter klingt.»
VANESSA SACCHET