Vanessa Sacchet im Gespräch mit Vilmara Spiller
18.02.2023 Elgg, Leute aus der RegionVilmara Spiller, geboren am 1. Mai 1989 in Guantanamo, Kuba, wuchs zusammen mit fünf Brüdern auf. Sie besuchte die Universität und liess sich als Krankenschwester und Hebamme ausbilden. Seit 2015 lebt sie in Elgg, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Wie es dazu kam, erzählt ...
Vilmara Spiller, geboren am 1. Mai 1989 in Guantanamo, Kuba, wuchs zusammen mit fünf Brüdern auf. Sie besuchte die Universität und liess sich als Krankenschwester und Hebamme ausbilden. Seit 2015 lebt sie in Elgg, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Wie es dazu kam, erzählt mir die heute 33-Jährige. «Meinen Mann Markus lernte ich durch Zufall 2014 in Kuba, Havanna, kennen als er dort Ferien machte. Er startete vom Hotel aus und hat sich verlaufen. Schlussendlich landete er in der Cafeteria des Krankenhauses, wo ich als Krankenschwester arbeitete und gerade Pause machte. Markus wollte dort etwas Kaltes trinken. In der Cafeteria gab es jedoch nur Wasser, welches für Touristen ungeniessbar ist. Ich als EinhEimische kann es problemlos trinken, sie bekommen davon Durchfall. Das teilte ich ihm mit und so kamen wir ins Gespräch.
Ich sagte ihm, dass er sich eine andere Cafeteria suchen müsse. Er meinte, er habe keine Ahnung in welche Richtung er gehen soll. Ich fragte, wo sich sein Hotel befinde, und er zeigte mir die Karte. Ich empfahl ihm ein Taxi zu nehmen, um dorthin zu gelangen und bot ihm an, dass ich es bestelle. Wenn er es rufen würde, kostet es das Doppelte. Bevor er losfuhr, fragte er nach meiner Telefonnummer. Er wollte sich für meine Hilfe bedanken und mich zum Essen einladen. Zwei Tage später traf ich mich mit Markus.
Danach fuhr ich in die Ferien nach Guantanamo zu meinen Eltern, die dort leben. Viele Leute denken, dass ich an einem gefährlichen Ort aufgewachsen bin. Dem ist jedoch nicht so. Markus war unterdessen in Varadero, rief mich erneut an und wollte mich sehen. Ich schaute nach einem Flug, was jedoch in Kuba nicht sehr einfach ist. So unterbrach ich meine Ferien, ging wie Markus auch zurück nach Havanna. Unterhalten haben wir uns in Spanisch. Er sprach gut, verdrehte jedoch manchmal einige Dinge. Eigentlich wollte er mir ein Parfüm kaufen, sagte aber übersetzt, dass er mir ein Parfüm verkaufen möchte. Ich antwortete, dass ich das nicht wolle, da mir das Geld dazu fehle, weil ich meine Eltern finanziell unterstützte. Später klärte sich die Situation auf», meint Spiller lachend und erzählt weiter: «Drei Tage später, es war Februar, flog Markus zurück in die Schweiz und versprach, an meinem 25. Geburtstag am 1. Mai wiederzukommen. Ich nahm ihn nicht wirklich ernst, sagte einfach, das wäre schön. So richtig daran glaubte ich nicht.»
Markus hielt was er versprochen hatte
«Als er zurück in der Schweiz war, rief er mich jeden Tag an. Meinen Geburtstag verbrachte ich in Havanna bei meiner Tante und kochte für meine Familie. Meine siebenjährige Cousine stand auf dem Balkon und rief: ‹Markus ist da!› Ich konnte es nicht glauben, dass er extra nach Kuba kam und freute mich riesig darüber. Nach zwei Wochen flog er zurück und wir telefonierten fortan wieder täglich miteinander. Videotelefonie funktionierte nicht, da es in meinem Land keine gute Internetverbindung gab. Wir schickten uns auch SMS-Nachrichten. Markus flog im selben Jahr fünfmal zu mir.
Im Dezember besuchte er mich mit seiner Schwester, deren Mann und ihren zwei Töchtern. Ich wartete noch immer auf mein Visum, dass schon zwei Mal abgelehnt wurde. Es war sehr schwierig, ein solches zu bekommen, da Markus in der Schweiz bereits verheiratet war und in Scheidung lebte, bevor ich ihn kennenlernte. Er wollte, dass ich als seine Freundin in die Schweiz einreise, was aber so nicht möglich war. Drei Tage vor Abflug erhielt ich das Visum und flog am 20. Februar 2015 zum ersten Mal in die Schweiz. Ich war schwanger mit dem Kind von Markus. Für mich war alles neu hier und ich war oft traurig. Ich hatte mein Land verlassen, meinen Beruf aufgegeben sowie Eltern und Freunde zurückgelassen. Ich kam schwanger hierher und die Leute schauten mich skeptisch an. Wenn ich grüsste, wurde ich nicht zurückgegrüsst. Das tat weh.
In meinem Heimatland verschlechterte sich die Situation zunehmend und Markus nahm eine Anwältin, da wir wollten, dass unser Kind in der Schweiz zur Welt kommt. Da wir noch nicht verheiratet waren, musste mein Mann unsere Tochter noch vor deren Geburt adoptieren, obwohl er der Vater ist. Wir wollten gerne heiraten, durften aber nicht, weil die Scheidung noch nicht vollzogen war. Das war alles sehr kompliziert. Als meine Tochter 2015 zur Welt kam, konnte meine Mutter uns nicht besuchen. Tatkräftige Unterstützung erhielt ich von meiner Schwiegermutter und durch Freunde. Sieben Monate später besuchten wir meine Eltern, damit sie die Kleine kennenlernen konnten.
Als 2017 unser Sohn zur Welt kam, flog meine Mutter zum ersten Mal in die Schweiz. Mein Vater musste zu Hause bleiben, da mein Heimatland nicht beide zusammen in die Schweiz reisen liess. Ich selbst bereue es nicht, hierhergekommen zu sein, vermisse jedoch meine Heimat, die Eltern und Verwandten sehr. Alle Jahre fliegen wir nach Kuba, auch wenn wir woanders Ferien machen könnten. Für mich steht fest, dass wir meine Familie besuchen.»
Unvorstellbar, wieder in Kuba zu leben
«Solange solch schlimme Zustände in Kuba herrschen, möchte ich meine Hilfe anbieten. Jedes Mal, wenn wir hinfliegen, bringe ich Essen und Taschen voller Medikamente mit. Manchmal kostet mich das ein Monatslohn. Politisch sieht die Lage in Kuba sehr schlecht aus. Als die Corona-Pandemie ausbrach, durften meine Eltern zwei Jahre nicht zu Besuch kommen. Das war eine schlimme Zeit. Ich bin glücklich, hier zu leben und arbeite als Pflegerin im Pflegezentrum Eulachtal. Meine Arbeit gefällt mir gut, da die Bewohner alle sehr nett zu mir sind. Ich helfe ihnen beim Duschen, Anziehen und Essen, begleite sie zur Toilette und gehe mit ihnen spazieren. Da mein Deutsch noch fehlerhaft ist, möchte ich mich verbessern. Ich setze mir zum Ziel, die Sprache noch besser zu lernen, besuche den ‹Hallo Deutschkurs› und fahre jeden Morgen nach Zürich. Am Abend arbeite ich im Pflegezentrum.
Bei Jacqueline Köhler absolvierte ich die Autoprüfung. Obwohl sie kein Spanisch spricht und ich damals noch sehr schlecht Deutsch konnte, verstanden wir uns super. Sie schaffte es, mir das Fahren beizubringen. Die Theorieprüfung bestand ich auf Anhieb und die praktische lief ebenfalls gut. Der Prüfungsexperte sprach Schweizerdeutsch mit mir und fragte mich, ob ich nervös sei. Ich verneinte und sagte ihm, dass ich gerne Auto fahre und keine Angst habe. als wir zurück zum Strassenverkehrsamt fuhren, gratulierte er mir zu meiner bestandenen Prüfung», erzählt Vilmara Spiller stolz.
Für die Zukunft setzt sie sich weitere Ziele. Ein wichtiger Meilenstein wäre, dass sie ihr Zertifikat als Krankenschwester anerkennen lassen kann. Dafür benötigt sie die B2-Bewilligung. Sie erklärt: «Im Moment besitzt ich den Status B1. Wenn ich B2 erhalte, habe ich die Möglichkeit, Fachangestellte Gesundheit zu lernen oder mein Zertifikat anerkennen zu lassen. In meinem Heimatland absolvierte ich eine höhere Schule. Zusätzlich möchte ich Englisch lernen.
Wenn alles gut kommt, wollen wir diesen Sommer für drei Wochen nach Kuba reisen, um meine Eltern in Guantanamo zu besuchen. Auch meine Grosseltern leben dort. Darauf freue ich mich wahnsinnig, komme aber jedes Mal gerne wieder zurück, da ich mich in der Schweiz zu Hause fühle. Ich mag die kalten Winter, den Gruyère-Käse und die Schweizer Schokolade – und nicht zuletzt die Kultur und die Menschen, welche hier leben.»
VANESSA SACCHET