Vanessa Sacchet im Gespräch mit Veronika Stock-Knechtle
24.08.2024 Hagenbuch, Leute aus der RegionVeronika Stock-Knechtle wurde am 1. Juni 1985 in Baden-Baden, Deutschland, geboren und wuchs mit einer Schwester und einem Bruder auf. Sie absolvierte ihr Studium der Betriebswirtschaft in Deutschland, bevor sie sich entschloss, für fünf Jahre nach New York zu ziehen, um ihren MBA ...
Veronika Stock-Knechtle wurde am 1. Juni 1985 in Baden-Baden, Deutschland, geboren und wuchs mit einer Schwester und einem Bruder auf. Sie absolvierte ihr Studium der Betriebswirtschaft in Deutschland, bevor sie sich entschloss, für fünf Jahre nach New York zu ziehen, um ihren MBA (Master of Business Administration) zu absolvieren. Während ihres Aufenthalts lernte sie ihren Ehemann kennen, mit dem sie heute verheiratet ist und zwei Kinder hat.
«Im Jahr 2008 entschied ich mich, nach New York zu ziehen, um meinen MBA zu absolvieren. Ich wollte nicht für lange Zeit studieren, sondern schnell wieder in die Praxis zurückkehren. So suchte ich nach einer Schule, die ein Jahres-MBA anbietet und fand eine Universität in New Jersey, nahe New York City. Während meines Aufenthalts wohnte ich auf dem Campus, wo man sich die Zimmer teilt. Die Universität versuchte, die internationalen Studierenden möglichst zusammenzubringen. Glücklicherweise teilte ich mit einer Chinesin ein Zweibettzimmer, denn die Studenten aus den USA sind zum ersten Mal von zu Hause weg und sehr kindlich.
Es gab viel Überwachung und alles war strukturiert. Ganz anders als an den Universitäten in der Schweiz. In unserer kleinen Klasse von acht Personen gab es eine faszinierende Vielfalt an Nationalitäten. Unter anderem Studierende aus Brasilien. Die Zusammensetzung variierte je nach Studienrichtung, wobei auffallend viele aus asiatischen Ländern und Indien kamen. Europäer waren in geringerer Zahl vertreten und aus der Schweiz war interessanterweise niemand dabei.
Das Zusammenleben mit Menschen aus so verschiedenen Teilen der Welt war eine einzigartige Gelegenheit, Einblicke in unterschiedliche Kulturen zu erhalten, die man sonst möglicherweise nie bekommen hätte. Besonders zu Beginn, als alles neu war und wir uns erst in der Umgebung zurechtfinden mussten, schlossen wir uns oft zusammen. Ohne Auto und mit der Herausforderung, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, fanden wir schnell zueinander. Diese Erfahrungen schweissten uns zusammen. Da wir weit weg von zu Hause waren, bot uns diese Gemeinschaft einen Ersatz für die Familie. Sie machte die Zeit an der Universität zu einer besonders prägenden und unvergesslichen Erfahrung.»
New York, die Stadt die niemals schläft
«Die vielen Eindrücke, der Lärm, die Menschenmassen, Grösse und Höhe der Gebäude – all das führte dazu, dass wir am Ende des Tages erschöpft von den unzähligen neuen Erfahrungen waren. Autos wimmelten überall herum. Obwohl man sich zu Fuss oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut fortbewegen konnte, stellte die Orientierung eine Herausforderung dar. Wir besuchten die klassischen Sehenswürdigkeiten wie Times Square, Battery Park mit Blick auf die Freiheitsstatue, Grand-Central-Station und die Brooklyn Bridge, die unter den zahlreichen imposanten Brücken besonders hervorsticht.
Mit der Zeit verliert der Alltag in dieser Umgebung jedoch seine Faszination. Gelegentlich jedoch wird man sich der Besonderheit des Moments bewusst, etwa wenn man realisiert, dass man gerade durch den Central Park spaziert. Es macht einen grossen Unterschied, ob man als Tourist in die Stadt kommt oder dort lebt. Der Alltag gestaltet sich anders. Ich wohnte in Jersey City und kam auf dem Weg zur Arbeit täglich am World Trade Center vorbei. Auch viele Jahre nach den Anschlägen wurde dort immer noch gebaut. Die Fortschritte zu beobachten, machte deutlich, wie sehr die Ereignisse die Stadt geprägt und verändert hatten.
Durch meinen internationalen Freundeskreis erhielten wir die Gelegenheit, vielfältige kulinarische Angebote zu erkunden. Von Restaurants über Imbissbuden, dem Hotdog essen in den Strassenschluchten bis hin zu den Bagel-Shops – die Qualität des Essens überraschte mich immer wieder angenehm.»
Berufliche Erfahrungen in den USA
«Innerhalb eines Jahres schloss ich meinen MBA erfolgreich ab. Der Wunsch, länger zu bleiben, war stark. Die Zeit an der Universität war intensiv und lehrreich. Doch ich fühlte, dass mir ein tieferer Einblick in das alltägliche Leben und die Arbeitswelt ausserhalb des akademischen Umfelds fehlte. Ich strebte danach, Arbeitserfahrung in den USA zu sammeln, um das Land und seine Kultur aus einer anderen Perspektive kennenzulernen. Dies gestaltete sich allerdings schwierig, da ein Arbeitsvisum erforderlich war. Ein Hindernis, das viele meiner Freunde nicht überwinden konnten und letztendlich ihre Rückkehr erzwang.
Glücklicherweise fand ich eine Anstellung in einer Steuerkanzlei, die sich auf deutschsprachige Mandanten spezialisierte. Dort arbeitete ich für drei Jahre und betreute Kunden aus der Schweiz, Österreich und Deutschland, die geschäftlich in die USA expandierten. Diese Position bot mir die einzigartige Möglichkeit, in meiner Muttersprache zu arbeiten, während ich gleichzeitig mein Wissen über das amerikanische Steuersystem vertiefen konnte.
Während dieser Zeit lebte ich in Jersey City und teilte mir ein kleines, etwa 40 Quadratmeter grosses Apartment mit einer Kollegin aus Nepal, mit der ich bereits zuvor ein Jahr zusammenwohnte. Wir arbeiteten beide und unternahmen in der Freizeit viel miteinander. Einmal jährlich um die Weihnachtszeit flog ich nach Hause. Später auch im Sommer, da ich feststellte, dass Europa im Winter nicht so reizvoll ist. Das Arbeitsleben in den USA, mit nur zwei Wochen Urlaub, fordert eine ganz andere Tagesstruktur. Viele bringen ihr Frühstück mit zur Arbeit und erledigen persönliche Dinge, da die Freizeit sehr begrenzt ist. Nach der Arbeit ist es üblich, mit Kollegen etwas zu trinken, aber das Berufsleben nimmt einen Grossteil des Tages in Anspruch.
Das Leben in der Stadt war herausfordernd und schnelllebig. Soziale Kontakte, insbesondere mit Amerikanern, wirkten oft flüchtig und oberflächlich. Tiefe und beständige Freundschaften schloss ich nur mit anderen Ausländern. Trotz der Grösse der Stadt und den vielen Menschen fühlte ich mich oft allein. Diese Erfahrung war einer der Gründe für meinen Entscheid, 2013 in die Schweiz zurückzukehren.»
Die Vielfalt internationaler Freundschaften
«Meinen Mann Martin lernte ich in den USA über die Arbeit kennen. Er arbeitete damals für die Crédit Suisse und rekrutierte Absolventen der Elite-Unis der USA. Für mich war klar, dass ich genug hatte vom Grossstadtleben und gut darauf verzichten konnte. Kehrt man zurück nach Europa, stellt sich die Frage, wo man leben möchte. Zur Auswahl standen einige Städte. Ich entschied mich für Zürich und knüpfte sehr schnell internationale Kontakte. Wir lebten zunächst in Oerlikon, dann in Frauenfeld und zogen im Jahr 2017 nach Hagenbuch.
Die Kontakte zu meinen Freunden aus aller Welt bestehen noch heute. Viele besuchen uns in der Schweiz. Obwohl wir uns nicht oft sehen, bleiben die Verbindungen bestehen. Wenn wir ins Ausland reisen, kombinieren wir dies oft mit dem Besuch von Freunden. Wir bezeichnen uns gerne als Hochzeitstouristen. Immer wenn jemand aus dem ausländischen Freundeskreis heiratet, sind wir eingeladen. So waren wir in Italien an einer Hochzeit, auf zwei indischen und in Nepal, als meine nepalesische Mitbewohnerin heiratete.
Der internationale Blickwinkel blieb mir und ich bin nach wie vor dankbar für die Auslandserfahrung. Sie verlieh mir eine Offenheit, die man sonst vielleicht nicht so leicht bekommt. Ich würde jedem empfehlen, einmal in einem fremden Land zu leben. Die Amerikaner sind immer optimistisch, sehen stets das Positive und sind entscheidungsfreudig. Sie verlassen sich nie darauf, dass jemand anderes für sie handelt. Man kann viel von ihnen lernen, wenn man ein selbstbestimmtes Leben führen möchte.»
VANESSA SACCHET