Vanessa Sacchet im Gespräch mit Sven Fankhauser
01.11.2025 ElggSven Fankhauser wurde am 14. Januar 2009 in Frauenfeld geboren und wuchs gemeinsam mit seinen zwei jüngeren Geschwistern auf. Er lebt in Elgg und befindet sich in der Ausbildung zum Sanitärinstallateur. Seit seiner Geburt ist er taub, doch dank Cochlea-Implantaten kann er ...
Sven Fankhauser wurde am 14. Januar 2009 in Frauenfeld geboren und wuchs gemeinsam mit seinen zwei jüngeren Geschwistern auf. Er lebt in Elgg und befindet sich in der Ausbildung zum Sanitärinstallateur. Seit seiner Geburt ist er taub, doch dank Cochlea-Implantaten kann er hören.
«Ich selbst habe keine Erinnerungen daran, wie es war, nichts zu hören. Das weiss ich nur aus Erzählungen meiner Eltern. Sie berichteten mir, dass ich auf bestimmte Geräusche nicht ansprach. Bei den Routine-Tests im Spital fiel zunächst auf, dass ich auf den Klang einer Rassel nicht reagierte. Auch sehr laute Töne, zum Beispiel mit einer Trompete, blieben für mich unhörbar. Ich öffnete nicht einmal die Augen. Da war klar, dass etwas nicht stimmt. Zuerst erhielt ich ein Hörgerät, das ich etwa ein bis zwei Jahre getragen habe. Da mein Hörvermögen damit aber sehr eingeschränkt blieb, entschieden sich meine Eltern schliesslich für ein Cochlea-Implantat. Mein erstes CI habe ich im Alter von einem Jahr und zwei Monaten bekommen, das zweite mit drei Jahren. Mit dieser Operation sterben zwar die feinen Härchen im Innenohr ab, sodass ich ohne Implantat gar nichts mehr hören kann, dafür mit Implantat umso besser. Damals waren Cochlea-Implantate noch wenig verbreitet. Ich erinnere mich an einen Kollegen, der heute 18 Jahre alt ist. Er gehörte in Zürich zu den ersten Kindern, die ein solches bekamen. Inzwischen ist die Technik viel verbreiteter, und viele Kinder wachsen heute damit auf.»
Normalität statt Sonderbehandlung
«Ich habe mich an meine Implantate gewöhnt und bin sozusagen ganz normal mit meinen beiden Geschwistern aufgewachsen. Ich wusste einfach, dass ich etwas schlechter höre und etwas am Kopf trage, habe mir aber nicht viele Gedanken darüber gemacht. Meine jüngere Schwester trägt ebenfalls ein Hörgerät, allerdings in einer abgeschwächtem Form von dem, das ich habe. Sie ist nicht taub, hört aber ebenfalls nicht gut. Es ist Zufall und hat nichts mit Vererbung zu tun. Denn in unserer Verwandtschaft gibt es sonst niemanden mit Hörproblemen. Jeden Sommer besuche ich ein Lager, in dem Kinder und Jugendliche mit ähnlichen Beeinträchtigungen zusammenkommen. Dort wird mir oft bewusst, dass einige von ihnen deutlich schlechter hören als ich. Einige Kinder besuchen Spezialschulen, in denen nur Hochdeutsch gesprochen wird, Gebärdensprache gelernt wird und Lippenlesen.
Das ist auf der einen Seite gut, weil dort individuell auf die Kinder eingegangen wird. Um aber wirklich mit der Beeinträchtigung umzugehen, war es für mich besser, normal aufzuwachsen. Das muss nicht für jeden passen, aber für mich war es die richtige Entscheidung. Auch dass ich die normale Regelschule in Elgg besucht habe und nicht die Spezialschule. Niemand hat mir gesagt: Du hast eine Beeinträchtigung, wir müssen dich anders erziehen.»
Direkt im Kopf:
Musik, Geräusche und Stille
«Das Cochlea-Implantat ist zweiteilig aufgebaut. Innen im Kopf befindet sich das Implantat selbst, ein Magnet mit einem Kabel, das in die Hörschnecke führt. Dort sind kleine Elektroden angebracht, die Signaltöne abgeben. Aussen am Kopf befindet sich der Teil, den man sieht. Er ähnelt einem Hörgerät, ist aber grösser. Dort kann ich die Batterien auswechseln, oder die Akkus. Es gibt beide Varianten. Ich habe ein schwarzes Gerät, man kann aber auch andere Farben wählen, manche bevorzugen Hautfarbe. Der äussere Teil ist magnetisch befestigt und lässt sich abziehen. Dann höre ich gar nichts. Keine gedämpften Geräusche, einfach absolut nichts. Normalhörende Menschen können sich das kaum vorstellen. Einige meiner Kollegen legen ihr Cochlea-Implantat zu Hause den ganzen Tag ab. Das mache ich nicht. Aber über ein App auf meinem Handy, kann ich das Implantat komplett ausschalten und laut Musik hören. Da ich sie direkt über das CI höre, kommt der Klang direkt in meinen Kopf. Am liebsten höre ich Pop, manchmal auch Rap, je nach Stimmung. Abends ziehe ich das Implantat immer aus, weil es beim Schlafen stören würde. Dreht man sich im Bett, könnte es sonst wegfallen. Zudem schlafe ich ohne deutlich besser, da ich wirklich nichts höre und durch nichts gestört werde. Ich habe einen Wecker, der vibriert, den ich unter mein Kopfkissen lege. Es ist schon vorgekommen, dass ich im Traum dachte, ich werde durchgeschüttelt und ich einfach weiterschlief. Verschlafen habe ich jedoch noch nie, denn meine Mutter kam mich rechtzeitig wecken. Sie ist zuverlässiger als jede Technik.»
Von der Schnupperlehre zur festen Ausbildung
«In der Sekundarschule hatten wir eine Schnupperwoche, und ich habe mich für mehrere Betriebe angemeldet. Unter anderem war ich bei der Firma Baier, dem Sanitärbetrieb in Elgg. Dort habe ich gemerkt, dass mich dieser Beruf wirklich interessiert. Daraufhin habe ich in Wiesendangen eine Schnupperlehre absolviert. Sie boten mir an, für eine weitere Schnupperwoche zu bleiben. Was ich gerne tat. Anschliessend bewarb ich mich erfolgreich um die Lehrstelle. Ich habe von Anfang an klar kommuniziert, dass ich mit meinem Cochlea-Implantat eigentlich gut höre, es aber vorkommen kann, dass ich etwas nicht richtig verstehe und man es wiederholen muss. Das war nie ein Problem und funktioniert sehr gut. Bei Arbeiten, bei denen es besonders laut wird, zum Beispiel beim Spitzen, schalte ich mein CI aus, damit ich den Lärm nicht ertragen muss und höre dazu Musik und habe meinen Frieden. Das sage ich vorher immer, dann wissen die Kollegen Bescheid und tippen mich an, wenn sie etwas von mir brauchen. Etwas störend ist der Staub, denn das CI ist eine sehr feine Technik, die ich regelmässig abblasen und abstauben muss. Letzthin musste ich Staubsaugen mit unserem Akku-Staubsauger. Ich habe mein CI ausgeschaltet, da ich das Sauggeräusch überhaupt nicht mag. Ich schaltete also den Staubsauger ein und saugte los. Nach einer Weile merkte ich plötzlich: Hä, der saugt ja gar nicht richtig. Ich machte trotzdem weiter, bis ich meine Hand vorne hingehalten habe, und mir bewusst wurde, dass gar kein Sog da ist. Der Akku war leer. Ich habe ja nicht gehört, dass er gar nicht lief und musste über mich selbst schmunzeln. Auch in der Freizeit gab es eine lustige Situation, als ich mit meinen Kollegen am Bodensee war, wo wir zu einer aufgeblasenen Hüpfburg geschwommen sind. Ich hatte dafür mein CI abgelegt, weil ich keine Lust hatte es einzupacken und eine Badekappe zu tragen. Wir lagen auf der Hüpfburg, und jemand erzählte einen Witz. Als die Pointe kam, habe ich zufällig genau in diesem Moment begonnen zu lachen. Die anderen schauten sich verwundert an und sagten: Hä, jetzt hört der plötzlich?»
Mit dem Cochlea-Implantat die Welt der Geräusche meistern
«Bis vor etwa sechs Jahren musste ich alle paar Monate zum Arzt, um mich regelmässig kontrollieren zu lassen und das Cochlea-Implantat einzustellen und zu justieren. Damals war das noch ein fester Bestandteil meines Alltags, aber mittlerweile sind die Abstände viel grösser, da ich inzwischen sehr gut höre und das CI zuverlässig funktioniert. Es ist ein gutes Gefühl, dass ich so viel selbstständiger geworden bin und nicht ständig darauf angewiesen bin, dass mein Implantat neu eingestellt werden muss. Bei meiner letzten Untersuchung habe ich einen Test absolviert, bei dem überprüft wird, wie gut Jugendliche in meinem Alter hören. Dort sagte man mir, dass sie bisher noch nie jemanden gehabt hätten, der so gut hört, wie ich. Darauf bin ich wirklich stolz. Es war ein schöner Moment, in dem ich realisierte, wie gut das Implantat für mich funktioniert und wie sehr es mir im Alltag hilft. Es gibt mir die Freiheit, in einer Welt voller Geräusche mitzuhalten und dafür bin ich dankbar. Und wird mir der Lärm zu viel, schalte ich es einfach ab und geniesse die Stille.»
VANESSA SACCHET


