Vanessa Sacchet im Gespräch mit Roger Dubler
05.03.2022 Leute aus der RegionRoger Dubler, geboren am 25. August 1976 in Bülach, wuchs als Einzelkind in Bassersdorf auf. Der gelernte Bauzeichner mit theologiestudium ist verheiratet und wohnt in Dickbuch. Musik spielte schon immer eine grosse Rolle in seinem Leben. Der Frontmann der Band Pigeons on the Gate spielt zusammen mit seiner Frau Lajescha und zwei weiteren Mitgliedern irische Volks- und Popmusik. Wie alles begann, erzählt er mir bei einem gemütlichen Beisammensitzen.
«In der Schule hat mir das Singen schon immer gut gefallen und ich spielte Xylophon. Weil ich es nicht richtig spielen konnte wurde ich hässig und habe das Instrument an die Wand geschmissen. So kam ich nur ein einziges Mal in den Genuss, die Musikstunde zu besuchen. Mit acht Jahren nahm ich ein Jahr lang Schlagzeugunterricht. So richtig mit der Musik angefangen habe ich mit elf. Zu dieser Zeit starb mein Vater. Meine Tante kam oft zu uns, um zu helfen, da ich mit meiner Mutter alleine war. Sie brachte eine alte Gitarre mit und liess sie bei uns zu Hause. Ich klaute meinem Onkel ein Songbuch der Beatles und war ab sofort täglich fünf Stunden am Gitarre spielen und brachte mir alles selber bei. Ich kannte alle Beatles-Songs und wusste, wie sie klingen müssen. Nach einem Jahr hatte ich es drauf. Das Spielen war meine emotionale Verarbeitung, vor allem auch, um den Tod meines Vaters zu verkraften. Für mich war von Anfang an klar, dass ich Musik machen möchte und Songs schreiben wollte. Bevor mein Vater gestorben ist, hat er für mich immer in einen Fonds einbezahlt. Als ich zwölf Jahre alt war, erhielt ich daraus 20‘000 Franken. Ich lief direkt in den nächsten Musikladen und habe mir ein Mischpult und ein Aufnahmegerät gekauft, wo man zum ersten Mal acht verschiedene Spuren aufnehmen konnte. Meine Mutter ist fast durchgedreht. Für mich war das völlig normal und genau das, was ich machen wollte. Sie hat deswegen einen ganzen Monat lang nicht mehr mit mir gesprochen», erinnert sich Dubler lachend zurück und erzählt stolz weiter: «Mit 13 Jahren habe ich meine erste Band gegründet. Ich ging zu meinen Schulkolleginnen und -kollegen, und zwar nur zu denen, die am besten ausgesehen haben und fragte sie, ob sie irgendein Instrument spielen oder singen könnten? Dann seien sie dabei! Wir waren dann zu viert und alles, was wir gespielt haben, klang furchtbar. Aber dafür sahen wir verdammt gut aus! Das war in den 90er-Jahren in Bassersdorf. Die Leute sind voll auf unsere Musik abgefahren und fanden uns super. Wir erhielten Unterstützung und konnten an jedem Fest spielen. Zu Hause hiess es, ich müsse einen anständigen Beruf lernen. Ich wäre am liebsten gleich mit der Musik durchgestartet, hatte aber nicht wirklich eine Ahnung davon, wie ich das anstellen sollte. Meine Mutter meinte, ich müsse zuerst eine Lehre machen, um eigenes Geld zu verdienen.»
Vierjährige Lehre als Bauzeichner
«Da ich früher gerne und oft gemalt habe, meinte damals der Berufsberater, ich solle Bauzeichner werden. In dIesem Alter hatte ich keine Ahnung und tat, was man mir empfohlen hatte. Fünf Jahre später absolvierte ich ein Theologiestudium. Einfach, weil es mich interessiert hat. Ich wurde katholisch erzogen und wollte mehr über die horizontale und vertikale Religion wissen. Mir war von Anfang an klar, dass ich nicht Pfarrer werden wollte. Nebenbei war die Musik weiterhin ein grosses Thema. Meine Frau Lajescha und ich gingen des Öfteren nach Irland. Es hat uns dort so gut gefallen, dass Irland unser zweites zu Hause wurde. Teilweise verbrachten wir ein halbes Jahr dort, haben nächtelang in diversen Pubs gespielt und so die irische Musik und verschiedene Musiker kennengelernt. Ein Kollege von uns meinte, wir sollten das doch auch daheim in der Schweiz machen. Damals hatten wir eine Rockband und fingen daraufhin mit der Irish-Folk-Band an. Das ging durch die Decke. Wir spielten an Hochzeiten, Geburtstagen, kleineren Festen und Kulturveranstaltungen und verdienten gutes Geld. Es hat Spass gemacht, in dieser Pub-Atmosphäre zu spielen, doch wir hatten Grösseres vor. Wir wollten auf den grossen Bühnen spielen. So suchten wir uns je eine Halbtagsarbeit, um unser Grundeinkommen zu sichern und wir so unser Ziel anvisieren konnten. Für unser Album ‚Chasing Suns‘ benötigten wir ein Titelbild und hatten genaue Vorstellungen davon, wie dieses auszusehen hatte. Wir teilten dem Bauern hier in Dickbuch mit, dass wir gerne auf seinem Feld Fotos machen wollten. Mit einer selbstgebastelten, zehn Meter hohen Endlosleiter, die das ganze Bild ausfüllen sollte und zwei gemieteten Nebelmaschinen, gingen wir auf besagtes Feld und nebelten es einen halben Tag lang ein. Wir verbrauchten zwei riesige Kanister mit diesem ‚liquid Fluid‘ und mussten noch Nachschub holen. Es war Winter und wir standen einen ganzen Tag lang im Hemd draussen; wir froren wahnsinnig. Wir hatten das Auto geheizt und mussten uns immer mal wieder darin aufwärmen gehen», erinnert sich der Musiker zurück.
«2014 hatten wir einen tollen Manager, der uns vorangetrieben hat. Durch seine Kontakte traten wir am Open-Air St. Gallen und dem Heitere Open-Air auf. Unser grosses Glück war, dass wir in Irland bei einem Freund zu Hause mit dem grössten Konzertveranstalter der irischen Folk-Szene der Schweiz, Deutschland und Österreich am selben Tisch sassen. Wir wussten damals aber nicht, mit wem wir es zu tun hatten. Plötzlich waren wir mit namhaften Künstlern wie Bono von U2, oder Sinead O’Connor zusammen. Es war völlig normal, dass man sich unter den Musikern kannte. Unser Freund meinte, wir müssten nun ein bis zwei Jahre warten. Der Konzertveranstalter würde unseren Werdegang verfolgen und uns in ein bis zwei Jahren kontaktieren, um uns auf die grossen Bühnen zu bringen. Und genau so war es! Eines Tages kam der Anruf und er fragte, ob wir Lust dazu hätten. So begannen wir 2015/2016 in Deutschland auf den grossen Bühnen zu spielen. Jedes Wochenende. Manchmal vier Tage am Stück. Das war eine unglaubliche Zeit und wir konnten gut davon leben. Uns war bewusst, dass es nun steil aufwärts gehen würde mit der Band und wenn wir es vorantrieben, eine Menge auf uns zukommen würde. Es mussten neue Verträge ausgehandelt, ein neues Album aufgenommen, Fotoaufnahmen und Videoclips erstellt und eine Tour geplant werden. Wir Wussten, wenn wir das alles auf uns nehmen würden, würde es uns killen. 2016 litt ich an einer Erschöpfungsdepression. Wir merkten, dass wir alle müde waren und wir eine Pause brauchten. Da wir das Management ständig um uns hatten, war es auch für unsere Beziehung extrem belastend. Da wir diese nicht an die Wand fahren wollten, entschieden wir alle gemeinsam zu kommunizieren, dass wir mit «Pigeons on the Gate» eine Pause einlegen würden. 2019 waren wir noch einmal auf einer Irland-Abschieds-Tour. Das war gigantisch!»
Mit neuen Projekten gestartet
«Meine Frau arbeitet nun zusammen mit anderen Künstlern auf der klassischen Schiene oder im Pop. Ich bIn ebenfalls gemeinsam mit verschiedenen Musikern daran, Studioaufnahmen zu machen und habe mein erstes Solo Album ‚Roger O’Dubler‘ herausgegeben. Zusätzlich unterrichte ich Gitarrenstunden. ‚Pigeons on the Gate‘ bleibt noch ein Mysterium und wir können noch nicht sagen ob, wie und wann es weitergeht. Nebenbei bauen wir ein Tonstudio auf, das wir für unsere eigenen sowie für Fremdproduktionen nutzen können. Möchten aber gleichzeitig unsere Projekte nicht vernachlässigen. Musik bedeutet mir alles. Ich sehe sie als eine Art der Kommunikation. Viele unserer Liedertexte sind sehr aussagekräftig und es werden diverse Tabuthemen behandelt. Wir haben in der Kunst die Chance, dies auszudrücken. Auf dem neuen Album gibt es den Song ‚Johnny‘. Dort geht es sehr stark ums Loslassen. Egal in welcher Beziehung.»
Eine besondere Beziehung hat Roger Dubler auch zu seinen Fans. Dazu weiss er eine berührende Geschichte: «Ganz am Anfang als wir zu viert in Elsau gespielt haben, kam eine Frau, die wir nicht kannten, an unser Konzert. Sie hat uns später geschrieben, dass sie am selben Tag in der Abklärung war und die Diagnose Brustkrebs erhalten habe. Da sie aber bereits Konzerttickets gekauft hatte, kam sie und stand ganz hinten. Sie habe während der zwei Stunden Konzert alles vergessen und auftanken können, was wichtig für sie war. Das war der Punkt wo ich mir sagen musste, dass es genau darum geht in der Musik. Das sind die schönsten Erlebnisse, die man haben kann. Wir bekommen viele Rückmeldungen von Fans die uns mitteilen, dass unsere Musik ihnen wichtig ist und sie ihnen viel gibt. Bono hat einmal gesagt, es sei ganz einfach, traurige Songs zu schreiben. Aber Lieder zu schreiben, die Hoffnung vermitteln, sei das Schwierigste überhaupt. Nach unseren Konzerten stehen wir jeweils am Merchandise-Stand, verkaufen unsere Artikel, machen Fotos mit den Fans und geben Autogramme. Wir sind teilweise länger dort, als wir am Konzert spielen. Diese Kommunikation ist zwar anstrengend, doch genau so wichtig. Denn sie berührt und ist einer der Gründe, weshalb wir Musik machen.»
VANESSA SACCHET