Vanessa Sacchet im Gespräch mit Raphael Girschweiler
15.07.2023 Hofstetten, Leute aus der RegionRaphael Girschweiler, geboren am 9. Januar 1993 in Münsterlingen, wuchs zusammen mit drei Geschwistern auf. Der gelernte Primarlehrer ist verheiratet und hat zwei Kinder. Zusammen mit vier Freunden betreibt er nebenberuflich eine kleine Bierbrauerei. Wie es dazu gekommen ist, erzählt ...
Raphael Girschweiler, geboren am 9. Januar 1993 in Münsterlingen, wuchs zusammen mit drei Geschwistern auf. Der gelernte Primarlehrer ist verheiratet und hat zwei Kinder. Zusammen mit vier Freunden betreibt er nebenberuflich eine kleine Bierbrauerei. Wie es dazu gekommen ist, erzählt der 30-Jährige.
«Als ich eine Reise nach Schottland machte, kam mir die idee, daheim Whisky herzustellen, weil mich das faszinierte. Ich merkte aber schnell, dass das nicht wirklich Sinn macht, weil man viel zu grosse Mengen herstellen muss. Meine Kollegen und ich fanden, dass Whisky eigentlich wie gebranntes Bier ist, und so kam es, dass wir das Bierbrauen ausprobierten. Einer unserer Freunde versuchte das bereits einmal, lieh uns seine Bierbrauer-Bibel und gab uns Tipps.
So entstand 2015 auf einer Terrasse der erste Sud – ein dunkles Altbier, hergestellt mit einem Bierbrauer-Kit. Wir hatten alle vorher noch nie ein dunkles Bier getrunken, probierten und empfanden es für gut. Dieses Experiment reichte aus, dass wir uns entschieden, in Italien eine 50-Liter-Anlage zu bestellen. Ich schrieb ein Rezept und so entstand unser meistverkauftes Bier: Roter Hecht. Mit der Anlage inklusive Gasbrenner waren wir mobil und konnten unseren Gerstensaft brauen, wo wir gerade Lust dazu hatten – sei dies im Garten, in der Garage oder auf einer Alphütte. Wir kauften im Top CC und in der der Landi Bügelflaschen, die wir mühsam wuschen, füllten unser Bier ab und versahen alles mit Etiketten. Vorne war das Logo mit der entsprechenden Farbe aufgedruckt. Das Amber hatte beispielsweise ein rotes, das helle Bier ein gelbes Logo. Hinten drauf waren ein paar Inhaltsangaben und die Sorte vermerkt.
Das Gebräu verteilten wir hauptsächlich an unsere Kollegen. Einmal konnten wir bei einem grösseren Anlass unser Bier liefern. Dafür mussten wir eine Palette Flaschen bestellen und neue Etiketten entwerfen. Denn jetzt hatten wir ein richtiges Produkt, nicht nur etwas, das wir selbst tranken. Wir produzierten 2500 Flaschen. Da zog es uns den Ärmel rein. Ab diesem Moment wussten wir: Das Produkt ist gut, man kann es verkaufen und die Leute trinken es. Es folgten weitere Anfragen und wir benötigten Platz für die Harassen, Flaschen, die Anlage zum Gären, sowie einen Wasseranschluss.
Wir suchten nach einem geeigneten Ort. Zuerst wollten wir bei einem Kollegen etwas einrichten, sind dann aber bei meinem Schwiegervater auf den alten Milchraum in Hofstetten gestossen. Dort wurden vor einigen Generationen die Kühe gemolken. Jetzt war es eine Abstellkammer, die leer stand. Wir bauten von Grund auf alles selbst aus, plättelten, isolierten und stellten einen Kühlraum rein. Zusammen mit dem Freund, der Architekt ist, verputzte ich die Wand im Raum. Die anderen Vereinskollegen spitzten sie eine Woche später wieder herunter, weil sie der Meinung waren, dass wir das nicht richtig hinbekommen hätten», erzählt Girschweiler lachend und fügt hinzu: «Der ganze Umbau dauerte fast zwei Jahre, und wenn es während den Arbeiten nicht stob, begannen wir bereits zu brauen.»
2019: Gründung des Vereins Braustetter Craft
«In der Gastronomie beliefern wir das Restaurant Zum hinteren Hecht in Winterthur mit dem Hausbier Roter Hecht. Wir dachten, wenn wir schon in diesem Bereich tätig sind und ein Patent benötigen wäre es sinnvoll, einen Verein zu gründen, da damals alles auf meinen Namen lief. So entschlossen wir uns zur Gründung eines solchen, mit dem Zweck, die Biervielfalt zu fördern und gemeinsam zu brauen.
Wer von uns was macht, ergab sich wie von selbst und hat damit zu tun, aus welcher beruflichen Ecke wir kommen. Ich als Lehrer bin der Kommunikator und jener, der Rezepte entwirft. Einer ist Architekt, kennt sich mit Programmen und Design aus und entwirft die Etiketten. Einige von uns sind Ingenieure und technisch sehr begabt. Sie verrichten Arbeiten an der Anlage. Im Brauprozess macht jeder von uns alles, und wir sind immer zu zweit am Brauen. Da wir alle zu 100 Prozent arbeiten und unseren Berufen nachgehen, machen wir das in der Freizeit, sprich an den Wochenenden. Unsere Biere benennen wir nach der Sorte und haben eigentlich nur für den Roten Hecht einen Namen.
Im Jahr 2020 konnten wir das Schlachthaus nebenan mieten und besitzen nun einen grossartigen Kühlraum. Im Lagerraum gibt es jetzt genügend Platz, den wir nutzen können, wenn wir einen Anlass planen. Anfangs Jahr wird ein Brauplan erstellt und nach Erfahrungswerten festgelegt, wie viele Sude wir ungefähr produzieren müssen. Im Zweiwochenrhythmus wird gebraut, zwei Wochen später alles abgefüllt und weitere zwei danach etikettiert. Pro Sud brauen wir 200 Liter, die in 600 Flaschen abgefüllt werden. Da wir nicht immer vor Ort sind, kann das Bier über unsere Website bestellt und nach Vereinbarung abgeholt werden. Ist die Kundschaft in der Nähe, liefern wir auch aus, wenn wir es mit der Lieferung für die Wirtschaft Zum hinteren Hecht und dem Kaffee Theodor in Oberwinterthur verbinden können. Wir beliefern auch Firmenanlässe und Hochzeiten. Während Corona warben wir stärker für unser Bier und gingen auf grosse Auslieferungstour.
Zurzeit tüfteln wir nicht an weiteren Variationen. Eigentlich möchten wir gerne Neues ausprobieren und uns weiterentwickeln. Gleichzeitig ist es so, dass wir produzieren müssen, um die Fixkosten zu decken. Das Geschäft ist null rentabel, aber selbsttragend, sodass wir gewisse Investitionen, die wir privat leisteten, zurückbezahlen können. Die Arbeit ist damit jedoch nicht bezahlt. Deshalb sind wir darauf angewiesen, Bier zu verkaufen. Da produziert man nicht 200 Liter von einem Testbier, bei dem man nicht weiss, was dabei herauskommt.
Ich musste schon eigenhändig 600 Flaschen Bier wegen eines Gärungsfehlers wegleeren. Das war zeitaufwendig und schäumte über das ganze Lavabo hinaus. Ich trinke ja so einiges, wenn ich weiss, wie viel Arbeit dahintersteckt. Aber das war wirklich ungeniessbar. Es ist wie mit jedem Rückschlag: Im Moment stresst einem das extrem und man denkt: ‹Warum machen wir das eigentlich?› Aber im Nachhinein lacht man über solche Situationen. Nichtsdestotrotz sind wir an der Entwicklung und Qualitätssicherung der aktuellen Biere immer dran und verbessern den Prozess.»
Sie lieben Biervielfalt
«Zurzeit haben wir vier bis sechs Sorten – von ganz hell und relativ leicht zu tiefschwarz, und eine mit über zehn Prozent Alkohol.» Ich frage Raphael Girschweiler nach seinem Lieblingsbier und wie die Zukunft der Brauerei aussehe. Er antwortet: «Ich mag alle unsere Biere sehr. Es kommt jedoch auf die Situation drauf an. Ich bin der Meinung, dass es für jeden ein passendes Bier gibt, wie auch für jedes Essen und jeden Moment. Da kann ich mich nicht auf ein einziges einschränken. Was die Zukunft betrifft, passt es im Moment für uns als Verein so wie es ist. Jetzt kommt es darauf an, wie sich alles weiterentwickelt – auch privat. Wir werden alle älter und haben Familie. Klar wollen wir es gerne in dieser Form weiterführen. Der eigentliche Plan ist, noch mehr vor Ort für den Ort zu brauen und den einen oder anderen Anlass zu planen, damit die Leute die Möglichkeit haben, vorbeizukommen und eines unserer Biere zu geniessen.
Das Schönste für mich ist, das Bier zu brauen und es jemandem zum Probieren zu geben. Wenn ich dann noch eine gute Rückmeldung erhalte, ist es umso besser. Unsere Philosophie ist nicht, möglichst viel Bier nach Winterthur zu liefern und dann das Leergut wieder abzuholen. Wir investieren viel Zeit und was am Ende unter dem Strich bleibt, ist etwas Geld in der Vereinskasse. Uns liegt mehr daran, mit den Leuten in Kontakt zu treten und sich auszutauschen. Der nächste Anlass findet am 26. August statt. Es gibt zu essen und trinken und alle sind herzlich dazu eingeladen.»
VANESSA SACCHET