Vanessa Sacchet im Gespräch mit Melpomeni Seeh
24.09.2022 HagenbuchMelpomeni Seeh, geboren am 23. Mai 1984 in Bülach, wuchs zusammen mit ihrem jüngeren Bruder auf. Die gelernte Haustechnikplanerin Fachrichtung Heizung, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Als kleines Kind hat sie zu Hause mit ihren Eltern nur griechisch gesprochen. Wie es für sie war, in zwei Kulturen aufzuwachsen, ohne auch nur ein Wort Deutsch zu sprechen, die Spielgruppe zu besuchen und die schulische Laufbahn zu meistern, erzählt mir die heute 38-Jährige.
«Meine Grosseltern waren Griechen und kamen 1950 in die Schweiz. Meine Mutter ist hier geboren und ging die ersten beiden Jahre hier zur Schule. Die restliche Zeit wuchs sie in Griechenland auf. Mit 18 Jahren lernte sie meinen Vater, der ebenfalls Grieche ist, kennen. Sie heirateten und kamen 1983 in die Schweiz. Wir sprachen in der Familie nur griechisch.
Mit der deutschen Sprache kam ich erst in Berührung, als ich die Spielgruppe besuchte. Dort lernte ich ein wenig Deutsch. Als ich in den Kindergarten kam, sprach ich noch nicht allzu gut und verständigte mich mehr schlecht als recht. Als einzige Ausländerin fiel ich mit meinem südländischen Aussehen auf und wurde von den anderen Kindern gehänselt. Mir wurden Sachen weggenommen und versteckt. Auf dem Weg zum Kindergarten musste ich immer darauf achten, dass ich vor oder nach den anderen Kindern ankam. Das war keine schöne Zeit. Ich fühlte mich wie eine Aussenseiterin, da ich wegen etlichen Dingen ausgelacht wurde. Das zog sich durch meine gesamte Schulzeit. In der ersten Klasse sprach ich etwas besser Deutsch, wurde jedoch weiterhin von den Mitschülern gehänselt. So musste ich mich durch meine schulischen Leistungen beweisen, was mir gelungen ist, da ich eine gute Schülerin war. Verbal habe ich mich nie gegen die Hänseleien gewehrt, sondern mich eher zurückgezogen. Auch einen Deutschförderkurs besuchte ich nie und erlernte die Sprache auf eigene Faust. In zwei Kulturen aufzuwachsen, war nicht einfach und gestaltete sich als schwierig. Ich wollte mit meinen Schulkolleginnen mithalten und dabei sein, wenn sie am Abend länger draussen bleiben durften. Um 21.30 Uhr musste ich spätestens daheim sein. Am Samstag besuchte ich die griechische Schule, während sich die anderen treffen konnten. Am Sonntag war es mir nicht möglich abzumachen, da ich die griechische Tanzschule besuchte.
All diese Dinge führten dazu, dass ich ausgegrenzt wurde, weil ich einfach nie mit dabei war. So verpasste ich den Anschluss und gehörte, einmal mehr, nicht dazu. Ich erinnere mich, dass ich mit meinen Eltern unzählige Gespräche führte, weil ich darum kämpfte, abends eine halbe Stunde länger draussen bleiben zu können. Es gab immer wieder Konfliktsituationen. Doch am Ende hat es mir nicht geschadet. Im Gegenteil. Es hat mich gestärkt und gelernt, mich durchzusetzen.»
In der Lehre kam der Wendepunkt
«Als es darum ging, eine Lehrstelle zu suchen, hatten meine Eltern keine Ahnung wie man vorgehen muss. In der Schule erhielt man zwar Informationen, mit denen sie jedoch nichts anfangen konnten. Vor allem meine Mutter nicht, weil sie das alles sprachlich gar nicht verstand. So nahm ich alles selbst in die Hand und machte eine Schnupperlehre als Coiffeuse und in einer Bäckerei. Zwei ganz unterschiedliche Berufe. Ich merkte schnell, dass das alles nichts für mich ist. So besuchte ich das BIZ (Berufsinformationszentrum) und nahm dort verschiedene Gesprächstermine wahr.
Ich wollte etwas mit den Händen tun. Es kristallisierte sich heraus, dass das Baugewerbe etwas für mich wäre. Weshalb mich genau diese Branche faszinierte, kann ich im Nachhinein nicht sagen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass meine ganze Familie im Baugewerbe tätig ist und mich dies in meinem Unterbewusstsein beeinflusste. Man fand heraus, dass ich geeignet wäre für den Beruf Haustechnikplanerin Fachbereich Heizung. Diesen Beruf zu erlernen und die vierjährige Lehre anzutreten, hat mir enorm Spass gemacht. Ich muss an dieser Stelle erwähnen, dass es damals nicht viele Lehrmeister gab, die bereit waren, einer Frau diese Chance zu geben. Zusätzlich absolvierte ich das mehrmonatige Baustellenpraktikum.
In der Berufsschule wurde ich zur Klassensprecherin ernannt und immer mehr zum Mittelpunkt. Von den insgesamt 25 männlichen Schülern waren wir nur vier Frauen. In der Männerdomäne lernte ich, mich durchzusetzen und zu beweisen. Auf dem Bau musste ich mir Respekt erarbeiten, was gar nicht so einfach war. Mit meinen 1,53 Metern bin ich keine grosse erscheinung», meint Melpomeni Seeh lachend und ergänzt: «Schlussendlich setzte ich mich durch. Ich glaube, dass ich aufgrund meiner Art und Weise weiter gekommen bin. ich bin einfühlsam, empathisch und suche selbst nicht den Konflikt, sondern bin um ein harmonisches Zusammensein bemüht. All das hat zu meinem beruflichen Erfolg beigetragen. Mit 21 Jahren zog ich von zu Hause aus und bereitete meine Eltern schon eineinhalb Jahre im Voraus darauf vor, dass das mein Plan sein wird.
Als ich später meinen Mann kennenlernte und wir eine Familie gründeten, merkte ich, dass der Spagat zwischen Familie und Arbeit nur schwierig zu gestalten ist. So schaute ich, was ich an der Situation ändern konnte. Ganz mit der Arbeit aufzuhören, kam für mich nie in Frage, da ich keine Vollzeit-Mami sein wollte. Während ich noch in der Baubranche tätig war, liess ich mich zur Spielgruppenleiterin ausbilden. Das dauerte ein Jahr und ich ging monatlich einmal samstags zur Schule. Als ich das Diplom im Sack hatte, fiel mir sozusagen alles in den Schoss. Ich konnte gleich mit meiner eigenen Spielgruppe starten und machte mich selbstständig. Mittlerweile leite ich Teilzeit die Spielgruppe im Dorf und bin parallel dazu in der Baubranche tätig. Meine Arbeit bereitet mir viel Freude. Am Ende muss das Gleichgewicht zwischen Beruf und Familie stimmen. So wie es jetzt ist, ist es perfekt.»
Erziehung der eigenen Kinder
«Mein Mann und ich sprechen zu Hause mit unseren Kindern nur schweizerdeutsch. Die griechische Sprache lernen die beiden bei ihren Grosseltern. Ich selbst werde als Schweizerin wahrgenommen, fühle mich auch als solche und vertrete typisch schweizerische Werte. So bin ich zum Beispiel sehr pünktlich. Mein Temperament ist jedoch eindeutig griechisch. Wenn ich fluche, dann in meiner Muttersprache. Sie ist die Sprache meines Herzens, es stecken Emotionen dahinter.
Für uns als Elternteil ist es wichtig, den Kindern Werte wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Respekt mit auf den Weg zu geben. Wenn ich heute als erwachsene Frau auf meine eigene Kindheit zurückblicke, kann ich sagen, dass ich mich durchzusetzen lernte. Ich wäre wohl untergegangen, wenn ich introvertiert, schwach oder nicht charakterstark wäre. Auf Menschen zugehen, ist für mich kein Problem, denn ich bin taff und kommunikativ. Diese Eigenschaften haben mir dazu verholfen, die Person zu werden, die ich heute bin. All das Erlebte sehe ich als Lebensschule und schaue gestärkt auf meine Lebenserfahrungen zurück.»
VANESSA SACCHET