Vanessa Sacchet im Gespräch mit Matthias Studer

  19.03.2022 Leute aus der Region

Matthias Studer, geboren am 5. Dezember 1996 in Winterthur, wuchs zusammen mit seiner älteren Schwester in Aadorf auf. Der gelernte Fahrradmechaniker lebt in einer Partnerschaft und wollte einst Radprofi werden. Doch eine Viruserkrankung machte seinen Traum zunichte. Wie er damit umgegangen ist und wie es ihm heute geht, erzählt der 25-Jährige:
«Mein Vater besass früher ein Fahrradgeschäft und ich verbrachte viel Zeit in seinem Laden und wuchs sozusagen umgeben von Fahrrädern auf. Als ich meinen sechsten Geburtstag feierte, klingelte es an der Haustür und als ich öffnete, stand ein Velo da. Mit etwa sieben Jahren trat ich dem Biketeam Aadorf bei. Jeden Montagabend fand nach der Schule das Training statt. Geleitet hat es mein Vater und es dauerte jeweils eineinhalb Stunden. Wir hatten Techniktraining, fuhren durch den Wald und machten Velotouren. Wir waren viele Kinder und es machte grossen Spass. Ich hatte nie laut den Wunsch geäussert, einmal Radprofi zu werden; stellte mir aber vor, dass es schon cool wäre. Vor allem, weil mir das Radfahren enorm Freude bereitete. Als ich 14 Jahre alt war, hatten wir gemeinsam mit Elgg eine Radsportschule gebildet. Wir trainierten am Dienstag und Freitag zusammen. Die restliche Zeit hat man mit Kollegen oder alleine geübt und nicht in einem geführten Training. Beim Velofahren gibt es verschiedene Kategorien: In der Kategorie U17 fahren die 15- und 16-Jährigen, in der U19 die 17- und 18-Jährigen. Danach tritt man zu den Amateurfahrern über. Dort versucht man das ganze Jahr hindurch an den Rennen viele Punkte zu sammeln, damit man im nächsten Jahr in der Elite fahren kann.
Nach der Lehre wurde ich Fahrer im Eliteteam und bestritt dort verschiedene Rennen. Es gab Spesen und Preisgeld, jedoch keinen Lohn. Den absoluten Höhepunkt erreichte ich anfangs 20. Der grösste Teil der Wettbewerbe fand in der Schweiz statt, aber auch in Italien, Frankreich und Deutschland. Das gesamte Team fuhr mit einem Auto und einem Bus dorthin. Wir waren meistens sechs bis acht Fahrer. Wenn ich zurückschaue, gab es einige Rennen, die ich gewonnen habe. Was mir wirklich in Erinnerung geblieben ist, sind die Momente davor und danach. Wir hatten es im Team extrem lustig. Wenn wir beispielsweise in Italien einen Kurs gefahren sind und wir gut waren, herrschte eine tolle Stimmung. Wir hatten vier Stunden Rückfahrt vor uns und waren alle sehr müde; ist man müde, spricht man direkt und offen, aber auf eine gute Art. So sind ehrliche Gespräche entstanden, die sonst nie stattgefunden hätten. Ich erinnere mich an ein Rennen in Genf, wo ich gestürzt bin und mir das Schlüsselbein gebrochen hatte. Ich musste ins Spital zum Röntgen. Meine Teamkollegen haben mehrere Stunden auf mich gewartet, aber keiner war mir deswegen böse. Es herrschte ein toller Zusammenhalt. Wir sind als Team angereist und als solches wieder nach Hause zurückgekehrt.»

Mein Ziel war es, im Profiteam zu fahren

«Als ich das erste Jahr im Eliteteam war, fuhr ich auf einem guten Level. Trotzdem, um wirklich Profi zu werden, hätte es schon noch etwas mehr gebraucht. Es muss alles passen und auch die Gesundheit spielt eine wichtige Rolle. Wir waren im Trainingslager in Spanien und haben ziemlich viel trainiert. Ich gehörte zu den Trainingsstärksten. Ende des Lagers wurde ich krank und hatte einen trockenen Rachen und ein bisschen Husten. Wieder zu Hause, habe ich mich eine Woche lang auskuriert und wieder mit den ersten Rennen begonnen. Da habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr die Leistung bringen konnte, wie zuvor. Es war ein schleichender Prozess. Am Anfang hatte ich einen schlechten Tag und dachte mir, das kommt vor. Dann konnte ich wieder gut trainieren und am nächsten Tag war ich erneut extrem müde. Ich hatte einfach keine Energie mehr und war oft nicht einmal fit genug, zehn Minuten lang Velo zu fahren. Wir hatten einen Teamarzt, der mich mehrmals untersuchte. Es dauerte jedoch lange, bis er herausfand, dass ich seit drei Monaten am Pfeiffer-Drüsenfieber, einer Viruskrankheit, litt. Oft bekommt man dieses sehr hartnäckige Fieber, wenn man relativ viel trainiert und dadurch das Immunsystem geschwächt ist. Die einen sind nach wenigen Wochen wieder fit, bei mir hat es länger gedauert. Am Morgen konnte ich gut aufstehen; das war nie ein Problem, aber abends um 20 Uhr war ich extrem müde. Der optimale Weg wäre gewesen, einen Monat lang zu pausieren. Ich hatte jedoch schnell wieder mit viel Training begonnen. So konnte ich mich nie richtig auskurieren. Mitte desselben Jahres kam aus, dass es unser Team per Jahresende nicht mehr geben würde. Um in ein anderes gutes Team zu kommen, hätte ich anschauliche Ergebnisse benötigt. Weil ich aber in jenen Rennen, die ich gefahren bin, nie richtig fit war, fehlte mir die gute Leistung. Ich machte mir dann selber Druck, noch ein paar Wettbewerbe zu bestreiten und habe viel zu früh wieder angefangen, richtig zu trainieren. So bin ich Rennen gefahren, obwohl es mein Zustand eigentlich gar noch nicht zugelassen hätte. Ich fuhr zwei Stunden an einen Ort, um einen Kurs zu fahren und wurde nach fünf Minuten von Mitstreitern überholt, die ich früher alle abgehängt hatte. Das war kein schönes Gefühl und raubte mir die Lust. Im Frühling ging erneut gar nichts mehr und die Krankheit kam zurück. Ich hatte mir mit 17 Jahren vorgenommen, Profi zu werden. Wenn man es bis zum Alter von 23 Jahren nicht schafft, wird es schwierig. Da es jüngere Fahrer gibt, die gleich gut sind, werden diese von den Teams vorgezogen. Nach der Lehre hatte ich nur noch Teilzeit gearbeitet, damit ich mehr Zeit hatte, mich auf das Training zu fokussieren. Als ich zum zweiten Mal krank wurde, wusste ich, dass es mein letztes Jahr sein würde. Wenn es klappen sollte, wäre alles gut. Wenn nicht, dann hätte ich es wenigstens versucht. Ich war so krank und geschwächt, dass für mich klar war, dass es damit definitiv gelaufen war. Der Traum, Radprofi zu werden, war geplatzt.
Im Nachhinein ist es schwierig zu sagen, ob es für mich gereicht hätte, in einem Profiteam zu fahren. Aber die Voraussetzungen wären da gewesen. Heute fahre ich nur noch zum Spass. Ich bin viel auf dem Velo und fahre oft meinen einstündigen Arbeitsweg damit. Auch mit Kollegen habe ich letztes Jahr ein paar Touren gemacht und einige Hobbyrennen bestritten. Meine Leistung war relativ gut, jedoch nicht vergleichbar mit zuvor.»

Ein «Ferrari» unter den Rennvelos

Das Radfahren hat Studer schon immer viel bedeutet; da drängt sich die Frage auf, ob er grossen Wert darauf legt, ein teures Velo zu besitzen? Und ob dies vergleichbar wäre, mit einem Ferrari? Der 25-Jährige lacht und meint: «Ja, das ist tatsächlich so. Ich besitze einen Ferrari unter den Fahrrädern. Mein Rennvelo kostet ungefähr 11’000 Franken und ist wirklich das Beste vom Besten! Es gefällt mir extrem gut und ich finde es absolut cool. Ich habe den Plausch am Velofahren wiedergefunden. Wenn man Profi werden möchte, muss man einen strengen Trainingsplan befolgen. Vielleicht fehlt einem da zum Teil ein wenig die Lockerheit. Jetzt kann ich machen, was ich möchte. Manchmal fahre ich mit dem Auto zur Arbeit. Gerade bei schlechtem Wetter. Aber zwei- bis dreimal in der Woche lege ich die Strecke mit dem Velo zurück. Das ist mir wichtig. Dass ich damals am Pfeiffer-Drüsenfieber erkrankt bin, gehört der Vergangenheit an. Ich hadere nicht damit. Aber cool wäre es schon gewesen, wenn ich Radprofi geworden wäre. Fährt man Rennen, profiliert man sich sozusagen über seine Resultate und die Persönlichkeit wird daran gemessen, wie gut man gefahren ist.
In der Zeit, als ich im Bikeshop Aadorf bei Sandro Tanner gearbeitet habe, war es ihm egal, wie gut ich am Wochenende gefahren bin. Er hatte Spass an mir als Mensch. Ich glaube, das hat mir die Augen geöffnet. Am Ende ist es nicht wichtig, dass die Leute von mir sagen, das war der, der schnell Velo gefahren ist. Viel lieber ist mir, wenn es heisst, das ist der Typ, mit einem guten Charakter, der immer ein offenes Ohr hatte. Dass Sandro mich nicht bewertet hat, wie gut ich Rennen gefahren bin und wie oft ich gewonnen habe, hat mir bei der Arbeit sehr geholfen. Am Ende interessiert es niemanden, wie oft ich aufs Podest gefahren bin. Wichtig ist, wie ich als Mensch bin. So gesehen geht es mir heute besser als früher und ich kann mein Leben leben, wie ich möchte und mich über meinen Charakter profilieren.»

VANESSA SACCHET


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